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wieder weg war, haben sie sich nat?rlich sofort um das Spielzeug gestritten, das er ihnen mitgebracht hatte. Die Erwachsenen tranken viel Alkohol und stritten sich schliesslich auch. Irgendwann fing Frau Wiese an zu weinen, die Frau des Neffen keifte sehr laut, und der Neffe selbst schlief auf dem Sofa ein. Das ist also Weihnachten. Wenn alle vier Kerzen brennen.«

Wow! Da bin ich geradezu froh, dass bei uns der Weihnachtsmann noch nie da war. Allerdings haben wir bisher auch immer ohne Kind gefeiert. Sondern sehr kuschelig zu dritt, nur Caro, Marc und ich. Gestritten hat niemand, gesungen Gott sei Dank auch nicht. Stattdessen gab es ausgesprochen leckeres Essen, sogar f?r mich. Allerdings gab es auch Geschenke. Ein Punkt, der mich stutzig macht.

»Beck, bei uns gab es aber auch Geschenke f?r Marc und Carolin. Vom Weihnachtsmann hingegen keine Spur.«

Becks Schwanzspitze zuckt wieder hin und her.

»Hm. Wahrscheinlich schickt der Weihnachtmann die den Leuten ohne Kinder mit der Post. Damit er mehr Zeit f?r die Familien hat. Der gute Mann kommt ja ganz sch?n rum.«

Aha. Ob der Weihnachtsmann wegen Luisa diesmal also auch zu uns kommt? Ich muss dringend nachschauen, wie viele Kerzen auf diesem Kranzdings schon gebrannt haben. Vielleicht habe ich noch etwas Zeit, mich zu wappnen. Schliesslich werde ich Luisa wegen Carolin tr?sten und wom?glich diesen Weihnachtsmann im Auge behalten m?ssen. Dieses Weihnachtsfest, so viel ist schon jetzt klar, wird den ganzen Hund erfordern.

DREI

Hatte ich Beck wirklich erz?hlt, dass es in diesem grossen Kaufhausdings neulich voll war? Ich hatte ganz offensichtlich keine Ahnung. Dennjetzt ist es voll. Ich hetze hinter Marc her und versuche, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Das ist keine leichte Aufgabe, vor und neben mir sind dermassen viele Menschenbeine unterwegs, dass ich mich eigentlich in Marcs Hose verbeissen m?sste, um sicher an ihm dranzubleiben. Luisa ist schon vor einiger Zeit verschwunden, ich hoffe sehr, dass das Absicht war und sie einen guten Plan hat, wie sie zu uns zur?ckfinden will.

Es ist im?brigen auch nicht so, dass die anderen Menschen nur einfachda sind und gem?tlich herumstehen oder – gehen. Im Gegenteil – verglichen mit dem sonst eher schwach ausgepr?gten Bewegungsdrang von Zweibeinern scheinen nun gerade hier und heute alle wild entschlossen, den diesbez?glichen Mangel ganzer Monate auszugleichen. Sie rennen wild hin und her, bleiben sehr abrupt stehen, wenn sie etwas entdeckt haben, nur um einen Augenblick sp?ter wieder loszusprinten. Noch dazu schieben sie sehr rigoros andere Menschen zur Seite, die ihnen dabei in die Quere kommen. Ich muss h?llisch aufpassen, dass mir hier niemand auf die Pfoten tritt.

Warum habe ich bloss darauf bestanden, Marc und Luisa zu begleiten? Das war wirklich eine saubl?de Idee – allerdings hatte mich auch niemand gewarnt. Ich dachte, die beiden

gehen einfach ein bisschen in dem frisch gefallenen Schnee spazieren. F?r einen kleinen Kerl wie mich ist das hier der v?llig falsche Ort. Das scheint auch Marc gerade zu d?mmern. Jedenfalls beugt er sich zu mir runter, um mich hinter den ?hrchen zu kraulen, und riskiert dabei, von seinen Mitmenschen ?berrannt zu werden.

»Na, Herkules, geht’s noch? Ganz sch?n viel los hier. So sind die Menschen eben: Jeder will noch auf den letzten Dr?cker Weihnachtsgeschenke kaufen.«

H?? Ich denke, die bringt der Weihnachtsmann? Und wenn er schon nicht pers?nlich vorbeikommen kann, besorgt er sie wenigstens. Irgendetwas stimmt hier doch nicht. An dieser Weihnachtsmanngeschichte ist etwas faul, das sp?re ich genau. Bloss was? Wenn Herr Beck es w?hrend seiner gesamten Karriereals Haustier noch nicht herausgefunden hat, muss es schon sehr, sehr mysteri?s sein. Ich mustere Marc. Bestimmt weiss er mehr. Leider kann ich ihn nicht fragen.

»Aber ich kann dich beruhigen, Kleiner. Ich habe fast alle Geschenke zusammen. Nur eine Sache f?r Luisa fehlt noch, dann machen wir hier die Biege, versprochen!«

Wir sind also hier, um ein Geschenk f?r Luisa zu besorgen. Sehr aufschlussreich! Es kann also auch nicht sein, dass der Weihnachtsmann sich um die Geschenke f?r die Kinder k?mmert und alle anderen selbst sehen m?ssen, wo sie ihren Kram herbekommen. Denn dann m?sste Marc sich ja nicht in dieses entsetzliche Get?mmel st?rzen, sondern k?nnte an Weihnachten sch?n abwarten, was der Weihnachtsmann f?r sein T?chterchen mitgebracht hat. Ich bin verwirrt.

In diesem Moment tritt mir eine grosse, dicke Frau kr?ftig auf die linke Pfote. Autsch! Ich jaule auf und knurre, schnappe aber nicht zu. Bin schliesslich wohlerzogen. Die Frau f?hrt zu uns herum.

»Was war das denn? Wer kommt denn auf die bekloppte Idee, einen Hund in dieses Gedr?nge … oh, hallo, Herr Dr. Wagner! Das ist aber eine ?berraschung! Habe ich etwa gerade Ihren kleinen Hund getreten? Das tut mir leid, aber bei diesen Menschenmassen habe ich den Winzling wirklich ?bersehen.«

Winzling? Unversch?mtheit! Ob es noch als Reflex durchgeht, wenn ich sie jetzt doch beisse? Bevor ich mich entscheiden kann, hat mich Marc schon hochgehoben.

»Sind noch alle Pfoten dran, S?sser?«

Er h?lt mich vorsichtig in seinen Armen, ich jaule so mitleiderregend, wie ich nur kann. Nat?rlich bin ich im engeren Sinne nicht schwer verletzt, aber erst getreten und dann auch noch geschm?ht zu werden, ist eindeutig zu viel. Es gibt folglich keinen Grund, besonders tapfer zu sein. Die Frau stellt sich neben Marc und grinst bl?de. Jetzt erst dreht sich Marc zu ihr um.

»Hallo, Frau Winkelmann. Sie haben Recht, es war keine gute Idee, ihn hierher zu schleifen. Gassigehen und Powershopping vertragen sich nicht besonders gut.«

»Ja, ja, Weihnachten, das Fest der Liebe – Zeit f?r Ruhe und Besinnlichkeit.«

Beide lachen. Warum, verstehe ich nicht. Das ist wohl wieder menschliche Ironie. Also, das Gegenteil von dem sagen, was man meint. Um deutlich zu machen, dass man das garantiert nicht meint. Und das finden Menschen dann auch noch komisch. Verr?ckt, oder? Ich lebe jetzt schon drei Jahre mit ihnen zusammen und kann bis heute nicht nachvollziehen, was an Ironie lustig sein soll. Eine wertvolle Information ist allerdings, dass Frau Winkelmann vom Fest der Liebe gesprochen hat. Klingt vielversprechend. Aber wie passt der Weihnachtsmann da rein? Vielleicht, weil alle behaupten, dass

er die Geschenke bringt? Und Geschenke ein Zeichen von Liebe sind? Ist das etwa die heisse Spur, die ich brauche, um das R?tsel zu l?sen.

Frau Winkelmann ist ein St?ck an uns herangekommen und streichelt mir ?ber den Kopf. Pah, plumpe Vertraulichkeit! Von hier oben kann ich sehen, dass sie ein sehr rundes Gesicht hat, versehen mit einem Paar ziemlich kleiner Augen. Letztere kneift sie nun zusammen und mustert mich eindringlich. Dabei erinnert sie mich an irgendein Tier. Eine Bulldogge vielleicht? Nein, kein Hund. Irgendetwas anderes auf vier Beinen. Ich komm schon noch drauf.

»Ach, das muss doch der Dackelmix sein, von dem mir Ihre Frau Mutter mal erz?hlt hat. Herbert, richtig?«

Marc lacht. Was bitte ist daran so lustig? Es betrifft einen der dunkelsten Flecken meines bisherigen Lebens!

»Na ja, fast richtig. Er ist tats?chlich ein Dackelmix, aber er heisst Herkules.« Frau Winkelmann prustet laut los.

»HERKULES? Das ist aber ein grosser Name f?r ein so kleines Kerlchen!«

»Finden Sie? Immerhin stammt Herkules aus einer bedeutenden Dackelzucht. Zwar das Ergebnis eines kleinen Betriebsunfalls, aber m?tterlicherseits mit einer Ahnengalerie von hier bis an die Ostsee.«

Ja, mindestens bis an die. Obwohl ich nicht weiss, wer oder was die Ostsee ?berhaupt ist. Auch egal, der Rest stimmt. Meine Mama, ihres Zeichens deutscher Jugendchampion und versehen mit dem Pr?dikat »vorz?glich 1«, hatte sich eines Tages unsterblich in den Terrier des Nachbarn verliebt. Das Ergebnis waren meine Schwester Charlotte und ich. Charlotte durfte auf Schloss Eschersbach bleiben – die K?chin hatte sich erbarmt. Ich hingegen wurde ins Tierheim abgeschoben. Eine Schmach, an die ich ?usserst ungern erinnert

werde. Schon gar nicht von einer Frau, die aussieht wie … wie … genau: wie ein Schwein! Diese Frau siehtaus wie ein Schwein! Nat?rlich riecht sie anders, aber der Rest stimmt. Die aufdringliche Art, das Vorwitzige, Neunmalkluge.