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Kann das wahr sein? Das w?re ja sensationell, SENSATIONELL! Nicht, dass mir die Existenz des Weihnachtsmanns irgendetwas bedeuten w?rde, aber zum ersten Mal in meinem Leben als Haustier w?sste ich etwas ?ber Menschen, was Herr Beck noch nicht herausgefunden hat. Es gibt keinen Weihnachtsmann! Ich sp?re ein triumphalesGef?hl in mir hochsteigen, fast w?re ich versucht, sofort zu Carolins Werkstatt

zu laufen, um Herrn Beck das unter die Nase zu reiben. Von wegendie Menschen warten auf den Weihnachtsmann. So’n Quatsch! Tun sie eben nicht!

Wobei: Worauf warten sie dann? Und wieso sind sie alle so nerv?s? Es war ja nicht nur Marc, der kurz davor war, die Nerven zu verlieren. Alle anderen Zweibeiner machten auch einen sehr angespannten Eindruck. Gut, bei Marc f?hre ich das auf Carolins schlechten Gesundheitszustand zur?ck. Aber bei Herrn Bleckede? Oder Frau Goldberg? Und all den anderen, die momentan so kopflos durch die Gegend rennen? Nur an der Geschenkearie kann es ja nicht liegen, denn wenn die meisten Erwachsenen wissen, dass es keinen Weihnachtsmann gibt, haben sie doch ausreichend Zeit, sich auf Weihnachten vorzubereiten und die Geschenke selbst zu besorgen. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist das schliesslich jedes Jahr und kommt somit nicht ?berraschend. Das d?rfte die Menschen nicht vor allzu grosse Probleme stellen.

»Weisst du, Herkules, auch ohne Weihnachtsmann freue ich mich dieses Jahr besonders. Denn diesmal feiern wir als richtig grosse Familie! Oma kommt, und Carolins Eltern kommen auch. Die sind ja auch so ein bisschen wie Oma und Opa f?r mich. In M?nchen habe ich immer nur mit Mama und Jesko zusammen gefeiert. Da gibt’s nat?rlich viel weniger Geschenke. Ach, das wird bestimmt sch?n, wenn sich Oma und die Fast-Oma endlich kennen lernen! Ich mag die beiden so sehr, also m?gen sie sich bestimmt auch gleich. Und meine beiden echten Opas sind ja schon tot, da ist es doch super, dass ich jetzt noch einen Ersatz-Opa bekomme, nicht?«

Ich muss an meinen eigenen Opa denken. Opili war der schneidigste Dackel, den die Welt je gesehen hatte. Schlau, furchtlos und g?tig. Ein exzellenter J?ger. Ein treuer Kamerad. Ich habe nie erlebt, dass sich der alte von Eschersbach

jemals zu einer Gef?hlsregung hat hinreissen lassen. Aber als Opili einmal von einer Wildsau angegriffen und verletzt wurde, da hat sich der Alte wirklich Sorgen um seinen treuen Jagdhund gemacht, so hat es Opili mir erz?hlt. Opili hatte eine grosse Wunde, die gen?ht werden musste, und der Alte hat zwei N?chte an seinem Korb gewacht. So wichtig war Opili f?r ihn. Und f?r mich: Er ist immer noch mein grosses Vorbild. Alles, was ich ?ber die Jagd weiss, weiss ich von ihm.

Wenn der Ersatz-Opa auch nur halb so bedeutend f?r Luisa wird, wie Opili es f?r mich war, dann hat sie wirklich Gl?ck und kann bestimmt viel von ihm lernen. Wobei ich mir gerade nicht so sicher bin, was Menschenkinder ?berhaupt von ihren Ahnen lernen. Wenn ich es richtig verstanden habe, lernt Luisa die meisten Sachen in der Schule. Dort geht sie gemeinsam mit vielen anderen Kindern hin und lernt – ja, was eigentlich? Ich w?rde vermuten, auf alle F?lle die Sache mit dem Lesen und Schreiben. Darum beneide ich sie. Denn damit k?nnen die Menschen sehr viele Sachen machen, die kein Hund jemals bewerkstelligen w?rde. Zum Beispiel kann man sich miteinander verst?ndigen, ohne sich zu sehen. Aber nicht wie am Telefon. Also, die Menschen sprechen nicht miteinander. Sondern sie schreiben ihre Gedanken auf ein Blatt Papier. Und dann kann ein anderer Mensch sie lesen. Und obwohl die beiden Menschen vielleicht kein Wort miteinander gewechselt haben, weiss der Leser, was der Schreiber gedacht hat. Mal angenommen, ich k?nnte schreiben. Dann w?rde ich auf einen Zettel schreiben »Bin im Garten.« Und wenn Herr Beck dann auch noch lesen k?nnte, w?rde er auf den Zettel gucken und w?sste, wo er mich findet. Faszinierend, oder? Und diese F?higkeit, die lernen Kinder in der Schule. Das bedeutet, nicht jedes Kind lernt f?r sich alleine von Mutter oder Vater, sondern alle zusammen von irgendeinem anderen

Menschen. Eines muss ich den Zweibeinern lassen – effektiv sind sie schon. Allerdings fangen sie f?r meinen Geschmack mit der so gewonnenen Zeit nichts Sinnvolles an. Wie etwa entspanntes Rumliegen. Stattdessen rennen sie gleich wieder los undmachen die n?chste Sache. Auch Marc und Carolin liegen sehr selten einfach nur rum, und das, obwohl sie doch so ein sch?nes Sofa haben. Eins steht fest: Gut tut das den Menschen nicht. Womit ich wieder beim Ausgangspunkt meiner ?berlegungen w?re: Was macht diesesWeihnachten bloss mit den Zweibeinern? Die sind wirklich noch hektischer als sonst. Und das, obwohl sie doch anscheinend gar nicht auf den Weihnachtsmann warten.

Die Gelegenheit, die Frage mit dem eigentlich unangefochtenen Meister in puncto Menschenkenntnis zu diskutieren, ergibt sich fr?her als erwartet. Carolin beschliesst, heute doch noch in die Werkstatt zu gehen, und nimmt mich mit. Schon vor dem Hauseingang begegne ich Herrn Beck.

»Kumpel, ich habe sensationelle Neuigkeiten«, raune ich ihm im Vor?bertraben zu.

»Alles klar, ich komme mit.« Beck heftet sich an unsere Fersen und folgt uns bis zur Eingangst?r der Werkstatt.

»Na? Ist Frauchen nicht da? Oder Sehnsucht nach vierbeiniger Gesellschaft?«, will Carolin von ihm wissen. Gewissermassen als Antwort dr?ckt sich Beck noch n?her an ihr Bein, sie schliesst die T?r auf und l?sst uns hineinschl?pfen, bevor sie selbst geht. Wir verziehen uns gleich in Richtung K?che.

»Hey, Herkules, noch so geschw?cht von deinem Einkaufsbummel mit Marc, dass du eine kleine St?rkung brauchst?« Carolin folgt uns und holt tats?chlich eine Dose aus dem Schrank. Oje, hoffentlich wird ihr nicht gleich wieder schlecht! Aber als Carolin die Dose ?ffnet, passiert rein gar

nichts – ausser der Tatsache, dass sie meinen Fressnapf mit einem H?ufchen Futter f?llt. Dann verl?sst sie die K?che, und ich mache mich ?ber den Napf her. Herr Beck schnauft.

»Nun sag bloss, die sensationelle Neuigkeit ist, dass du auf einmal gerne Dosenfutter frisst.«

Hastig schlinge ich den letzten Bissen hinunter, dann sch?ttle ich den Kopf.

»Nat?rlich nicht. Ich habe nur einen so anstrengenden Vormittag hinter mir, dass ich mich kurz st?rken musste. Aber jetzt kommt’s!« Der Bedeutung meiner Entdeckung angemessen recke ich mich zu voller Gr?sse und schaue Herrn Beck direkt an. »Es gibt gar keinen Weihnachtsmann.«

Herr Beck sagt erst einmal nichts. Allerdings schaut er so skeptisch, wie es ein alter, fetter Kater nur kann.

»Wirklich. Das ist mein voller Ernst. Es gibt keinen Weihnachtsmann. Worauf auch immer die Menschen warten, wenn sie Kerzen anz?nden und Schokolade essen – der Weihnachtsmann ist es jedenfalls nicht.«

»Hm.«

Bitte? Ist das etwa alles? Ein schlichtesHm? Ich bin entt?uscht. Bl?der Beck. Der will doch nur nicht zugeben, dass ich etwas ?ber die Menschen herausgefunden habe, was er noch nicht wusste. Ich setze noch einen drauf.

»Also bringt er auch keine Geschenke. Nicht einmal f?r die Kinder. Wenn man welche haben will, muss man sie selbst besorgen. Und dann kann man einen anderen Menschen engagieren,der so tut, als sei er der Weihnachtsmann. Ist er aber gar nicht. Weil es ihn ja, wie gesagt,?berhaupt nicht gibt.« Ha! Und jetzt kommst du, Kater!

»Herkules. Ich habe ihn selbst gesehen. Mit eigenen Augen. Er hatte einen langen, weissen Bart und sehr buschige Augenbrauen. Und er war sehr echt.«