Ich HASSE es, ein Haustier zu sein!
SECHZEHN
Draußen regnet es in Strömen. Ich liege in meinem Körbchen, das nun wieder im Wohnungsflur steht, und lausche dem Regen, der ans Fenster schlägt. Seit Stunden geht das nun schon so. Außerdem ist es saukalt, obwohl doch Sommer ist. Keine guten Voraussetzungen also, um einen meiner Menschen zu einer ausgedehnten Runde um die Alster oder durch den Park zu bewegen. Tatsächlich erbarmt sich höchstens Luisa hin und wieder. Dann läuft sie kurz mit mir um den Block – wenigstens etwas! Caro hingegen ist völlig abgetaucht. Nein, falsch. Abgetaucht ist sie natürlich nicht, sie ist selbstverständlich noch da. Aber es scheint, als sei sie durch ein unsichtbares Band mit Henri verbunden. Ständig hat sie ihn auf dem Arm, trägt ihn herum, lässt ihn trinken, kuschelt mit ihm, wickelt ihn und, und, und … So geht das, seit sie mit Henri aus dem Krankenhaus gekommen ist. Also ganz schön lang. Zwei Wochenenden sind seitdem schon verstrichen. Wochenenden, an denen wir nichts, aber auch rein gar nichts miteinander gemacht haben. Dieser winzige Mensch hat von ihr regelrecht Besitz ergriffen, für ihren treuen Dackelfreund Herkules hat sie überhaupt keinen Blick mehr.
Mit Marc ist es nicht viel besser – auch er scheint sich nur noch für Klein-Henri zu interessieren. Zudem hat er weite Teile seines normalerweise beachtlichen Sprachschatzes eingebüßt. Wenn er sich mit dem Baby unterhält, dann klingt das in etwa so: Dudududu, lalalala, eieieiei, killekillekille, dutzidutzidutzi und so weiter und so fort. Kein Wunder, dass Henri nie antwortet. Dieses Gesäusel ist kaum zu ertragen. Und völlig unverständlich. Wenn Caro schläft, trägt Marc das Baby herum. Stillen kann er es natürlich nicht, aber ansonsten macht er alles, was Caro auch so mit dem kleinen Hosenscheißer treibt. Als wäre er auch eine Mama. Komisch. Kein Rüde würde sich dermaßen in die Jungenaufzucht einmischen. Und apropos Hosenscheißer: Herr Beck hatte es mir ja schon mal erzählt, und damals konnte ich es nicht glauben – aber es stimmt tatsächlich. Kleinen Menschen bindet man eine Art Tuch um den Po, damit sie nicht überall hinkacken. Also, Welpen machen das ja auch, aber niemand käme doch auf die Idee, ihnen deswegen etwas um das Hinterteil zu binden. Wenn sie irgendwo ein Häufchen oder eine Pfütze hinmachen, dann wird ganz doll geschimpft, der alte von Eschersbach hat uns sogar mit der Nase hineingetunkt. Das hat er ein paarmal gemacht, schon war ich stubenrein. Na ja, jedenfalls fast. Emilia, die Köchin, hat sich zwar ziemlich darüber aufgeregt und gesagt, dass das eine gemeine Quälerei ist – war dem Alten aber wurscht.
Marc und Caro allerdings schimpfen noch nicht mal mit Baby Henri. Wenn er anfängt zu stinken, macht Marc wieder sein blödsinniges Dutzidutzi-Geräusch, Caro guckt auch ganz beseelt, und dann tüdeln sie beide mit ihm rum und loben ihn dafür, dass er etwas in die Windel gemacht hat. Als ob das eine Kunst wäre! Aber, was rege ich mich über menschliche Eltern auf. Tierische sind auch nicht viel besser. Cherie wohnt immer noch in unserer Praxis, weil die sowieso geschlossen hat. Marc will nämlich momentan nicht arbeiten, sondern das Baby genießen. Verrückt, oder? Und dann waren sich alle einig, dass es für Cherie sowieso nicht gut ist, mit ihren kleinen Welpen in den ersten Tagen nach der Geburt das Quartier zu wechseln. Daniel und Claudia war’s recht, die hatten anscheinend gar nicht so große Lust, sich rund um die Uhr um die neu entstandene Hundefamilie zu kümmern. Also, Claudia kommt zwar regelmäßig und schaut nach Cherie. Aber ansonsten kümmert sie sich doch lieber um Daniel. Glaube ich jedenfalls und bin mir da auch ziemlich sicher, denn jedes Mal, wenn ich Daniel sehe, klebt Claudias Geruch an ihm. Und ich weiß inzwischen, was das zu bedeuten hat!
Wie komme ich da gerade drauf? Ach ja – tierische Eltern. Demzufolge bin ich momentan der Einzige, der ständig mit Cherie zu tun hat, denn wenn Marc nach ihr und den Kleinen guckt, nimmt er mich meistens mit runter in die Praxis und lässt mich eine Weile bei ihr. Was soll ich sagen? Cherie hat sich sehr verändert. Die Welpen sind ihr Ein und Alles. Sie knurrt mich zwar nicht mehr an, wenn ich näher an die Kleinen rankomme. Aber richtig entspannt ist sie nicht dabei. Und sie weiß auch alles besser. Obwohl sie vorher auch noch nie Welpen hatte.
Mittlerweile haben ihre Jungen die Augen auf und tapsen schon durch die Gegend, aber spielen darf ich immer noch nicht mit ihnen, weil Cherie meint, dass das noch zu anstrengend für die Kleinen ist. Sie bewacht die fünf mit Argusaugen wie ein Schäferhund seine Schafherde. Als der Zuchtwart am dritten Tag zur Eintragung vorbeikam, hat sie sich aufgeführt, als habe er vorgeschlagen, aus dem Fell der Kleinen einen Pelzmantel für Oma Hedwig zu schneidern. Marc musste sogar seinen Maulkorb rausholen und Cherie in eine Transportbox sperren, sonst hätte es noch ein Unglück gegeben. Ob meine Mama auch so war? Falls ja, kann ich mich jedenfalls nicht mehr daran erinnern. Und ich hoffe sehr, dass Herr Beck mit seiner Einschätzung des Mutterinstinkts Recht hatte und Cherie irgendwann wieder die Alte wird.
Platter, platter, platter – der Regen schlägt immer stärker gegen die Fenster. Sehr ungemütlich. Heute wird wahrscheinlich nicht mal Luisa mit mir spazieren gehen. Uah. Langweilig. Ich beschließe, eine Runde zu schlafen, wohl das Beste, was ein Dackel bei diesem Wetter machen kann. Vielleicht scheint die Sonne, wenn ich wieder wach bin. Tatsächlich hat das Geräusch des Regens auch etwas Einschläferndes. Ich rolle mich zusammen und bin schon fast weggedämmert, als die Tür zum Wohnzimmer mit einem Schlag auffliegt und Luisa hereinstürmt. So schnell, wie sie erschienen ist, verschwindet sie auch wieder, denn sie rennt in ihr Zimmer und haut ihre Tür mit einem lauten Knall hinter sich zu. Wuff! Was war denn das?
Eine Sekunde später taucht Marc auf, der ebenfalls vom Wohnzimmer zu Luisas Zimmer läuft. Er wartet kurz, dann klopft er an die Tür.
»Mäuschen, nun lass uns nicht streiten. Ich möchte gerne in Ruhe darüber mit dir sprechen.«
Keine Antwort.
»Luisa?«
Er will die Tür öffnen, aber sie ist offenbar abgeschlossen. Also wieder Klopfen.
»Luisa, bitte lass mich rein. Das ist doch albern!«
Nichts passiert.
»Mach bitte die Tür auf. Ich möchte mit dir reden.«
Caro kommt aus dem Wohnzimmer und geht zu Marc.
»Hat sie abgeschlossen?«
Marc nickt.
»Soll ich es mal versuchen?«
Er zuckt mit den Schultern.
»Wenn du meinst, dass du erfolgreicher bist als ich – nur zu!« Marc klingt angespannt, fast ein bisschen eingeschnappt.
Carolin lässt sich davon aber nicht beirren und klopft nun selbst an die Tür.
»Luisa, ich bin’s. Wollen wir nicht doch noch mal reden? Kannst du mich bitte reinlassen?«
»Nein! Haut ab, alle beide! Ihr seid total blöd!«
Luisas Stimme dröhnt dumpf hinter der Tür hervor. Na immerhin. Eine Reaktion. Wohl aber nicht die erhoffte. Davon lässt sich Caro jedoch nicht abschrecken.
»Wieso sind wir total blöd? Das musst du mir mal erklären.«
»Das weißt du ganz genau! Ihr habt gesagt, dass ich nach zwei Wochen meine Freundinnen einladen darf. Und daran haltet ihr euch nicht.«
Marc und Caro gucken sich an, Marc schüttelt den Kopf. Caro seufzt und klopft noch einmal.
»Luisa, nun komm schon. Kannst du das denn nicht verstehen? Lass mich bitte rein, dann erkläre ich es dir noch mal in Ruhe. Bitte, Süße!«
Erst passiert nichts, aber dann dreht sich tatsächlich der Schlüssel im Schloss, und Luisa öffnet die Tür. Schnell laufe ich zu ihr, ich will schließlich wissen, worüber die drei sich hier streiten. Luisa beugt sich zu mir und streichelt mir über den Kopf. Ich kann sehen, dass sie geweint hat, ihre Wangen sind noch nass. Sofort fühle ich mich schlecht – wenn es meiner Freundin nicht gut geht, geht es mir auch nicht gut! Außerdem schäme ich mich ein bisschen, denn über das Lamento betreffs meiner eigenen Situation habe ich offenbar völlig das Gespür dafür verloren, dass andere in meiner Umgebung auch unglücklich sind. Opili würde das gar nicht gefallen. Er war der festen Überzeugung, dass ein guter Jagdhund schon weiß, dass es Herrchen oder Frauchen schlecht geht, bevor diese es selbst merken. Umso genauer muss ich jetzt die Schlappohren spitzen. Soweit das möglich ist.