Ein verführerischer Duft nach Vanille und Zimt verbreitet sich in der Küche, ich muss schlucken, um nicht auf den Boden zu sabbern. Ob Herr Beck und ich auch etwas abbekommen? Wobei – ob Herr Beck etwas bekommt, ist mir eigentlich wurscht. Hauptsache, die beiden denken an mich. Ich bin mir auch nicht sicher, ob Katzen sich für Süßspeisen überhaupt erwärmen können.
Luisa hockt auf einem Stuhl neben dem Herd, die Knie unters Kinn gezogen, und beobachtet Willi, der in diesem Moment einen der Pfannkuchen durch die Luft fliegen lässt. Tatsächlich landet er Sekunden später wieder in der Pfanne – wuff! Wie hat Willi das bloß gemacht? Luisa ist davon offenbar genauso begeistert, endlich lächelt sie wieder, obwohl auf ihrem rechten Knie ein riesengroßes Pflaster über einer noch größeren Beule klebt.
»Willi?«
»Ja?«
»Woher kannst du das so gut?«
»Du meinst das super-duper-spitzenmäßige Pfannkuchenin-der-Luft-Wenden?« Willi grinst.
»Genau.«
»Weißt du, früher habe ich fast jedes Wochenende Pfannkuchen gebacken. Für ein Mädchen, das war ungefähr so alt wie du.« Obwohl Willi immer noch lächelt, mischt sich jetzt ein anderer Ton in seine Stimme. Fast so etwas wie … ja, fast so etwas wie Traurigkeit. Auch Luisa scheint das zu bemerken.
»Wer war denn das Mädchen?«, will sie wissen.
Willi zögert eine Sekunde; als er antwortet, klingt seine Stimme richtig traurig.
»Ach, weißt du, ich war auch mal ein Papa, und das war meine kleine Tochter. Aber das ist lange her, und seitdem ist viel passiert. Sehr viel.«
Luisa holt Luft, als wolle sie noch etwas fragen, aber dann schweigt sie. Auch Willi sagt nichts mehr, sondern verfrachtet den fertigen Pfannkuchen auf einen Teller und gießt neuen Teig in die Pfanne. Als der letzte Pfannkuchen goldbraun gebrutzelt und auf dem Haufen mit den restlichen Kuchen gelandet ist, stellt Willi den Teller auf den kleinen Esstisch, auf den genau zwei Teller passen. Ich mache Männchen, nicht, dass ich hier vergessen werde!
»Na, da hat aber jemand auch Appetit! Komm, kriegst auch etwas auf einen kleinen Teller.« Willi holt ein Schälchen aus dem Küchenschrank und legt ein paar Pfannkuchenstreifen hinein. Wie das duftet! »Aber Vorsicht! Die sind noch ganz warm. So, Luisa, greif zu!«
Luisa legt sich einen Pfannkuchen auf den Teller und fängt an zu essen.
»Hm, die schmecken super, Willi!«
»Dann ist der kleine Unfall jetzt vergessen?«
Luisa nickt, und jetzt lächelt Willi wieder.
»Aber was rede ich da? Unfall? Das war doch eher ein Anschlag, oder, Herr Kater?«
Herr Beck, der faul auf einer der Fensterbänke liegt, schaut nur kurz hoch. Eine Katze muss tun, was eine Katze tun muss, scheint er damit zu sagen. Luisa schaut verlegen zu Boden, ihr Blick streift mich kurz.
»Na ja, wahrscheinlich haben die beiden sich um mich Sorgen gemacht.«
»Hm, glaubst du, sie wussten, dass du abhauen willst?«
»Klar! Ich habe es Herkules doch erzählt! Und Herkules versteht alles – wirklich jedes Wort! Zuerst wollte ich heute Morgen ganz früh los, aber da hat Herkules so einen Radau gemacht, dass Papa wach geworden ist. Also musste ich meinen Plan verschieben.«
Willi guckt nachdenklich.
»Und du willst es dir nicht noch einmal überlegen?«
Luisa schüttelt den Kopf.
»Nein. Ich will weg.«
»Aber Papa und Carolin werden sich große Sorgen machen.«
»Deswegen habe ich ihnen einen Brief hingelegt und geschrieben, dass sie jetzt ein paar Tage nichts von mir hören werden.«
»Hast du ihnen auch gesagt, wohin du willst?«
»Nein. Dann würde Papa gleich denken, dass das Mamas Idee war. Und dann streiten die beiden sich wieder. Nein, das will ich nicht.«
»Na gut. Wenn du so wild entschlossen bist, dann helfe ich dir. Es ist bestimmt besser, wenn du nicht alleine losziehst. München ist sehr weit weg, ich will nicht, dass dir unterwegs etwas passiert.«
Luisa springt von ihrem Stuhl auf und drückt Willi einen Kuss auf die Wange.
»Danke, Willi! Mit dir zusammen wird das bestimmt kein Problem. Außerdem passen Herr Beck und Herkules noch auf mich auf. Da kann gar nichts passieren.«
Willi seufzt.
»Also, die beiden Kameraden würde ich aber lieber in Hamburg lassen. Ich finde, das verkompliziert die Sache nur unnötig.«
Bitte? Es ist immer gut, einen Dackel dabeizuhaben! In jeder Lebenslage, absolut jeder! Gut, über den Kater können wir von mir aus diskutieren, aber ich bin doch wohl gesetzt! Genauso scheint das auch Luisa zu sehen, denn sie schüttelt energisch den Kopf.
»Nein, die beiden müssen unbedingt mit. Außerdem können wir Herkules auch nicht einfach zu Hause abliefern. Papa oder Caro haben meinen Brief bestimmt schon gelesen. Wenn ich Herkules jetzt zurückbringe, schnappen die mich garantiert. Das will ich auf keinen Fall riskieren. Und aussetzen können wir die beiden schlecht.«
Wuff – dass sie das überhaupt erwähnt! Frechheit! Willi seufzt noch einmal, diesmal klingt es irgendwie gottergeben.
»Na gut, versuchen wir es also mit Hund und Katze. Hast du dir denn überlegt, wie genau du hinkommen möchtest?«
Luisa zuckt mit den Schultern.
»Weiß nicht. Vielleicht mit dem Zug? Ich habe fast fünfzig Euro in meinem Umhängebeutel.«
»Hm, wir können nach dem Essen zum Bahnhof fahren und nachsehen, was ein Ticket kostet. Ich habe noch ein bisschen Geld auf der hohen Kante, vielleicht kann ich sogar mitfahren, damit du sicher dort ankommst.«
Rührend, wie besorgt Willi um Luisa ist. Oder ist Bahnfahren irgendwie gefährlich? Ich bin noch nie mit der Bahn gefahren, aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr erinnere ich mich, dass der alte von Eschersbach in der Tat größte Vorbehalte dem Bahnfahren gegenüber hatte. Seiner Meinung nach arbeiteten dort nur Idioten, die von nichts Ahnung hätten, von ihren Kunden schon gar nicht, und wer darauf vertraue, dass ein Zug pünktlich käme, müsse schon besonders gutgläubig sein. Deswegen fuhr der Alte auch nie mit dem Zug, sondern immer mit seinem Chauffeur. Und der fuhr genau dorthin, wohin von Eschersbach wollte. Eigentlich also ein sehr praktisches Prinzip, und wenn ich reden könnte, würde ich Willi vorschlagen, einfach einen Chauffeur anzurufen. Der könnte uns dann nach München fahren. Zumal, wenn er so ein großes Auto hätte wie der Chauffeur vom Alten. Einmal durfte ich dort mitfahren, und es kam mir riesig vor. Es gab sogar etwas zum Trinken für unterwegs. Leider nix für Hunde, aber für von Eschersbach gab es im hinteren Wagenteil ein kleines Schränkchen mit einer Flasche voll scheußlich riechendem Zeug. Cognac, wie ich heute weiß. Und aus eben jener Flasche goss sich der Alte bei meiner einmaligen Fahrt mit ihm ein Glas ein – obwohl die Fahrt nur sehr, sehr kurz war, muss er damals unheimlich Durst gehabt haben, denn er trank gleich noch ein zweites Glas davon. Also, praktisch war das Schränkchen allemal. Und wenn es nach München so weit ist, dann wäre es doch gut, einen Chauffeur mit großem Auto und ausreichend Proviant zu haben, oder? Aber es ist wie immer: Auf die naheliegenden Dinge kommen die Menschen nicht von allein, und so wird hier weiter die Zugfahrt ins Auge gefasst. Na ja, Willi wird schon wissen, was er tut. Dann machen wir uns jetzt eben zum Bahnhof auf.
Am Bahnhof ist es ziemlich voll. Menschen hasten scheinbar ziellos hin und her, und da viele zudem noch Koffer hinter sich herschleifen oder schwere Taschen in jeder Hand haben, ist man als Dackel gut beraten, sich ihnen nicht in den Weg zu stellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen einen unter diesen Umständen bemerken und rechtzeitig bremsen, schätze ich äußerst gering ein. Fast herrscht eine Stimmung wie in dem furchtbaren Kaufhaus kurz vor Weihnachten. Ich merke, wie sich meine Nackenhaare langsam zu sträuben beginnen. Ein Blick zu Herrn Beck – der sieht noch völlig entspannt aus. Kein Wunder. Der wird auch getragen, und zwar von Willi, der sich außerdem noch einen Beutel mit ein paar Sachen für die Reise unter den Arm geklemmt hat. Ich bemühe mich derweil, möglichst an Willis Hosenbein zu kleben. Herr Beck guckt mitleidig auf mich herunter. Und ein bisschen abfällig, wie mir scheint.