Luisa schüttelt den Kopf.
»Aber das geht doch nicht. Ich habe es dir doch schon erklärt: Dann müssten wir Herkules ja erst nach Hause bringen – und dann weiß Papa ja, dass ich wieder da bin. Das geht nicht.«
Willi nickt.
»Ja, ich weiß, dass das ein Problem ist. Und ich glaube nicht, dass die beiden so lange in meiner Wohnung alleine bleiben können. Das wird ihnen nicht gefallen, und außerdem sind Tiere dort verboten. Wenn das jemand merkt, kriege ich mächtig Ärger. Und das wäre schlecht, es war schwer genug für mich, überhaupt eine Wohnung zu bekommen.«
Luisa lässt die Schultern hängen.
»Aber was machen wir denn jetzt?«
»Tja, oder du musst doch allein Zug fahren, und ich setze die beiden wieder bei der Werkstatt ab. Es ist ja ohne Umsteigen. Meinst du, du schaffst das? Das Ticket kann ich für dich kaufen, ich habe genug Geld dabei – habe extra meinen Notgroschen eingesteckt.« Willi lächelt Luisa aufmunternd an und streicht ihr über die Haare.
Richtig glücklich scheint Luisa aber mit diesem Vorschlag nicht zu sein, denn sie lässt sich von Willis Lächeln nicht anstecken. Dann schluckt sie, als hätte sie mindestens einen Apfel im Hals stecken.
»Ich glaub, ich trau mich nicht allein. Heute Morgen fühlte sich das noch irgendwie anders an, aber jetzt … also, ich habe doch Angst ohne dich.«
Willi seufzt.
»Ja, das kann ich verstehen. Zum Glück habe ich noch eine andere Idee. Sozusagen Plan B.«
ZWANZIG
Warum nicht gleich so? Endlich hat Willi ein Auto besorgt. Zwar ohne Chauffeur, aber immerhin mit vier Rädern. Es steht vor dem Haus, in dem Willis Wohnung liegt, und wartet nur darauf, uns alle nach München zu fahren. Und zwar ohne Transportbox oder Maulkorb. Ich bin begeistert, auch Beck hat wider seiner sonstigen Gewohnheit noch nicht gemeckert – nur Luisa wirkt seltsam zurückhaltend, dabei müsste sie doch glücklich sein, dass Willi nach der Pleite am Bahnhof so schnell ein anderes Fortbewegungsmittel organisiert hat. Stattdessen schleicht sie um das Auto herum und mustert es skeptisch.
»Bist du sicher, dass das noch fährt?«
»Aber natürlich? Wie hätte ich es sonst hier hinbekommen?«
»Schon klar. Ich meine ja auch: bis nach München.«
»Doch, doch. Mein Kumpel Paule sagt, es hat zwar schon so einige Kilometer auf dem Buckel, ist aber ansonsten top in Schuss.«
Willi öffnet die Fahrertür, ich linse hinein. Na also, wer sagt’s denn? Das Auto hat sogar ein Lenkrad, da kann uns doch gar nichts passieren.
»Aber es hat so viele Beulen und rostige Stellen.«
»Weißt du, Luisa, das Auto ist bestimmt nicht so schick wie das von deinem Papa, aber der Paule war damit sogar schon in Afrika. Es ist nicht besonders schnell, aber garantiert zuverlässig.« Er klopft mit einer Hand auf das Wagendach und grinst von einem Ohr bis zum anderen.
Luisa atmet tief ein, dann geht sie um das Auto herum und öffnet die Beifahrertür.
»Na gut, dann los!« Sie steigt ein.
Willi lädt Luisas Rucksack, seinen Beutel und eine Tasche in den Kofferraum und geht wieder auf die Fahrerseite. He! Und was ist mit uns? Herr Beck scheint das Gleiche zu denken, er schlängelt sich von der Seite heran, bereit, durch die Tür auf Luisas Schoß zu springen. Mist, das kriege ich natürlich nicht so einfach hin. Hoffentlich fahren die nicht gleich zu dritt los, und ich werde hier vergessen! Aber schon zwei Sekunden später schäme ich mich fast für diesen Gedanken, denn natürlich steigt Willi nicht einfach ein, sondern klappt seinen Sitz nach vorne, bückt sich und hebt mich auf die Rückbank. So lande ich sogar noch eher im Auto als Beck und kann mich auf der Bank schön breitmachen.
»Echt, du! Rück mal ein Stück!« Typisch Beck. Sich erst superschlau vordrängeln wollen und dann einen auf beleidigt machen, wenn es nicht klappt. Aber ich will mal nicht so sein, wenn dieses München wirklich so weit weg ist, wie alle behaupten, ist eine Fahrt im Fußraum natürlich ein bisschen unbequem. Nicht, dass Herrn Beck noch schlecht wird. Meine Schwester Charlotte zum Beispiel musste sich bei besagter Fahrt mit dem Chauffeur tatsächlich übergeben. Genau auf die Füße vom Alten. Vielleicht war das auch der Grund, warum der auf einmal so viel Cognac trinken musste – gewissermaßen als eine Art Medizin.
Ob es diesen Cognac auch in einer für Vierbeiner verträglichen Variante gibt? Und falls ja: Ob wir wohl welchen dabeihaben? Wir sind noch nicht lange unterwegs, und schon jetzt ist mir so schlecht, dass ich fürchte, mich auch bald übergeben zu müssen. Normalerweise habe ich mit dem Autofahren gar kein Problem, aber Willi fährt irgendwie … komisch! Wenn Caro oder Marc fahren, dann bewegt sich das Auto meistens recht gleichmäßig fort, aber dieser Wagen ruckelt und wechselt ständig zwischen schnell und langsam ab, dass ich es kaum aushalten kann. Herrn Beck geht es nicht viel besser. Während ich aber noch überlege, ob dieses Auto irgendein Problem haben könnte, selbst wenn es schon mal in Afrika – wo auch immer das sein mag – gewesen ist, hat er schon eine andere Fehlerquelle ausgemacht:
»Woah, das ist ja nicht zum Aushalten! Ich bin mir nicht sicher, ob Willi jemals zuvor schon ein Auto gefahren hat. Hoffentlich hat er überhaupt einen Führerschein, wir kommen hier sonst in Teufels Küche!«
Um mich von meiner Übelkeit abzulenken, versuche ich, mich darauf zu konzentrieren, was Beck mir gerade erzählt, auch wenn es mir schon verdammt schwerfällt.
»Was ist denn ein Führerschein?«
»Den braucht man, um Auto zu fahren.«
»Ja, aber Willi fährt doch Auto.« Vielleicht nicht gut, aber immerhin.
»Das muss noch gar nichts heißen. Mein altes Herrchen, der Anwalt, der hatte zwei große Gruppen von Mandanten: Die einen hatten Ärger mit Mann oder Frau und wollten ihn oder sie loswerden.« Oh nein, nicht wieder diese Anwaltsgeschichten! Ich spüre, wie sich der Speichel in meinem Mund sammelt. Gleich muss ich spucken, ganz sicher! »Die andere große Gruppe hatte hingegen immer Probleme mit ihrem Führerschein. Unter anderem, wenn sie gar keinen hatten.«
Ich hebe den Kopf vom Polster der Rückbank.
»Wie kann man denn mit etwas Probleme haben, was man gar nicht hat?«
»Glaub mir: Man kann! Große Probleme sogar. Wenn die Polizei merkt, dass du keinen Führerschein hast und trotzdem Auto fährst, kriegst du richtig Ärger! Mein Herrchen war natürlich ein brillanter Anwalt und konnte das Schlimmste meistens verhindern – aber teuer war es allemal.«
»Stopp, stopp, stopp – ich verstehe kein Wort. Man braucht einen Führerschein, um Auto zu fahren, aber man kann es auch ohne? Äh, wieso braucht man ihn dann?«
»Mann, Herkules, weil Autofahren sonst verboten ist!«
Offenbar gucke ich gerade aus der Wäsche wie ein kariertes Maiglöckchen, denn jetzt setzt Herr Beck ganz grundsätzlich an.
»Also, ein Führerschein ist ein Stück Papier. Und wenn du das nicht hast, darfst du nicht fahren, weil es sonst zu gefährlich ist.«
Ich kann es nicht fassen. Man braucht Papier, um Auto zu fahren? Faszinierend, wie vielseitig dieses Material ist! Menschen brauchen es, um darauf zu schreiben, sie brauchen es, um davon etwas abzulesen, und jetzt brauchen sie es sogar, um eine so große Maschine wie ein Auto zu bewegen. Toll! Wie das wohl funktioniert?
»Sag mal, Beck, und wieso ist es mit Papier weniger gefährlich? Das kann doch kaum schützen, wenn man irgendwo dagegenfährt – dazu ist es viel zu dünn, würde ich denken. Wäre nicht zum Beispiel ein Helm viel besser? So einer wie der, den Luisa zum Radfahren aufsetzt?«
Wenn Katzen jaulen könnten, würde Beck es jetzt offenkundig tun, so reicht es nur für ein heiseres Fauchen.
»Meine Güte, bist du heute begriffsstutzig, du Dackel! Natürlich kannst du fahren, aber du darfst es nicht. Weil du es eben dann auch meistens nicht kannst. Verstanden? Du brauchst eine Erlaubnis.«