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Ich will gerade einwerfen, dass es wirklich kein Wunder ist, wenn ich bei dieser völlig wirren Erklärung nicht folgen kann, als Willi so scharf bremst, dass ich von der Rückbank fliege, gegen den Sitz vor mir pralle und schließlich im Fußraum lande. Aua! Was soll das denn? Auch Herr Beck ist sehr unsanft neben mir gelandet und faucht nun noch lauter. Willi dreht sich zu uns um.

»Entschuldigt, Jungs! Ich wollte eigentlich auf die Autobahn auffahren, aber ich komme nicht so recht darauf. Die anderen fahren doch ganz schön schnell, und ich bin etwas aus der Übung.«

Luisa scheint sich ebenfalls ziemlich erschreckt zu haben, jedenfalls klingt ihre Stimme ganz zittrig, als sie Willi etwas fragt, was mich nun auch brennend interessiert.

»Aber wie lange bist du denn schon nicht mehr Auto gefahren?«

Willi räuspert sich.

»Hm, also, so ungefähr zwanzig Jahre, schätze ich. Aber keine Sorge, das ist wie Fahrradfahren, man verlernt es nie wirklich. Nur das mit der Autobahn, das lasse ich vielleicht erst mal. Auf der Landstraße kommen wir schließlich auch nach München. Das dauert zwar etwas länger, ist aber landschaftlich viel reizvoller.«

Luisa sagt dazu nichts. Möglicherweise geht es ihr wie mir, und der Unterschied zwischen Autobahn und Landstraße ist ihr sowieso nicht klar. Die Aussicht, dass diese Fahrt nun aber noch länger als ohnehin schon dauern könnte, stimmt mich allerdings nicht gerade froh. Übel ist mir zwar nicht mehr, aber dafür habe ich mir bei der unfreiwilligen Flugübung den Nacken verzogen und kann den Kopf nicht mehr ohne Schmerzen zur Seite drehen. Herr Beck hat sich wieder aufgerappelt, aber glücklich sieht er auch nicht aus.

»Wir hätten besser in Hamburg bleiben sollen. Die Flucht ist ja lebensgefährlich. Ich weiß wirklich nicht, was ich hier verloren habe.«

»Aber du wolltest doch unbedingt mit«, erinnere ich Beck an seine großmäuligen Sprüche am Bahnhof.

»Na, wenn ich gewusst hätte, dass ich die nächsten Tage in einer totalen Rostbeule über die Lande würde eiern müssen, noch dazu mit einem Fahrer, der seit Katzengedenken kein Lenkrad mehr angefasst hat – ja, wenn ich das alles gewusst hätte, ich hätte dankend verzichtet.«

Hätte, hätte, Fahrradkette – ich kenn mich mit Schulhofsprüchen von Luisa normalerweise nicht gut aus, aber ich glaube, hier passt das. Erst behaupten, man sei wild entschlossen, Luisa bei allen Problemen beizustehen, und dann bei der ersten Kleinigkeit kneifen. Typisch Katze, hätte mein Opili dazu gesagt. Schlau und gerissen, aber eben nicht tapfer und mutig.

Willis Fahrstil normalisiert sich langsam, und auch meinem verspannten Nacken geht es besser. Ich bin wieder auf die Rückbank gehüpft und betrachte die Landschaft, die am Wagenfenster vorbeizieht. Ab und zu ein Wäldchen, dann wieder Felder, auf denen schon ziemlich hohes Korn steht. Irgendwie sieht es so aus wie die Gegend um Schloss Eschersbach. Ob wir ganz in der Nähe sind? Aber eigentlich kann das nicht sein, denn Schloss Eschersbach liegt zwar auf dem Land, aber man fährt nicht so lange dorthin, wie wir jetzt schon unterwegs sind. Ich habe Marc ein paarmal begleitet, wenn er als Tierarzt die Dackelzucht vom alten von Eschersbach untersucht hat, und außerdem hat Luisa dort ein Wochenende mit ein paar Freundinnen verbracht, und ich durfte mit – und jedes Mal kam mir die Fahrt eher kurz vor. Das kann natürlich auch daran gelegen haben, dass Marc besser Auto fahren kann als Willi.

Die Straße, auf der wir nun unterwegs sind, wird auf einmal ganz holprig, und wir werden gehörig durchgeschüttelt. Das Auto wird erst langsamer, dann hält es an. Willi dreht sich zu Luisa.

»Ich glaube, wir haben uns verfahren. Guck mal im Handschuhfach, da müsste eine Straßenkarte liegen.«

Luisa greift nach vorne und öffnet eine Art Schublade. Aha, in diesem Auto gibt es also auch ein Schränkchen! Ich kann von der Rückbank aus nicht genau sehen, was sich darin befindet, aber für eine Flasche Cognac und Gläser dürfte es zu klein sein. Luisa zieht ein großes Buch heraus und gibt es Willi. Och nee, der will doch jetzt nicht anfangen, hier ganz gemütlich zu lesen, oder? Wenn Carolin sich erst mal mit einem Buch auf das Sofa gelegt hat, ist es um den Rest des Tages meistens geschehen. Ich hoffe nicht, dass Willi nun auf einmal beschlossen hat, es für heute mit unserer Flucht bewenden zu lassen.

»Ja, tatsächlich. Ich bin eben falsch abgebogen. Aber das macht nichts, hier gibt es eine Abkürzung. Wenn wir die nehmen, sind wir fast keinen Umweg gefahren. Ist zwar ein Feldweg, aber das macht ja nichts. So, ich wende mal eben.«

Wieder ein Ruckeln und Poltern, dann fährt Willi weiter. Nach kurzer Zeit biegt er auf eine sehr, sehr kleine Straße ab. Ob das so richtig sein kann? Dieser Weg scheint wirklich direkt durch die Felder zu führen. Ich will nicht in Herrn Becks allgemeines Lamento mit einstimmen, aber ein bisschen mulmig wird mir langsam auch. Hoffentlich weiß Willi, was er da tut. Was mich wieder daran erinnert, dass ich diese Sache mit dem Führerschein immer noch nicht richtig verstanden habe. Allerdings habe ich auch keine Lust, Beck noch einmal danach zu fragen, denn der muss …

»Scheiße!« Willi schreit laut auf und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich gucke nach vorne und sehe, dass ein riesiges Etwas direkt auf uns zurollt.

»Was ist das?«, will Herr Beck wissen, aber bevor wir noch genauer hinschauen können, reißt Willi das Lenkrad herum, und das Auto fährt eine scharfe Kurve. Wir landen direkt im Feld, um uns herum auf einmal nur noch fensterhohe Ähren. Ein paar Meter rollen wir noch, dann gibt es einen Knall, und das Auto steht. Ich kenne mich zwar nicht aus, aber: Dieses Fahrmanöver war mit Sicherheit keine Absicht.

»Scheiße«, zischt Willi noch einmal, aber deutlich leiser.

»Ist unser Auto jetzt kaputt?«, will Luisa wissen.

»Ich hoffe nicht! Aber ich musste dem Trecker ausweichen, der hätte uns sonst gerammt. So eine verfluchte Sch… äh, so ein Mist! Wie kommen wir jetzt wieder aus diesem Feld heraus?«

Ich hoffe doch sehr, dass Willi diese Frage nicht ernst meint! Von den Anwesenden kann sie außer ihm selbst mit Sicherheit niemand beantworten. In diesem Moment taucht ein dunkler Schatten neben dem Fahrerfenster auf, und eine Faust klopft an die Fensterscheibe.

»Hallo? Alles in Ordnung bei euch?«

Wer ist das? Willi kurbelt die Fensterscheibe herunter. Herein guckt ein lustig aussehendes Männlein mit einem noch lustiger aussehenden Hut.

»Habt ihr das Schild denn da vorne nicht gesehen? Der Weg ist eine Privatstraße, Durchfahrt verboten. Und das aus gutem Grund – wenn ich mit meinem Trecker da längs komme, passt niemand an mir vorbei.«

Aha. Lustiger Hut, Felder, Trecker: Der Fall ist klar. Bei dem Männlein handelt es sich um einen Bauern. Genau wie unser Nachbar auf Schloss Eschersbach. Willi hebt die Hände, lässt sie dann wieder auf das Lenkrad sinken.

»Entschuldigen Sie, ich habe mich verfahren und gar nicht auf irgendwelche Schilder geachtet. Tja, und jetzt haben wir den Salat.«

Das Männlein wiegt den Kopf hin und her.

»Hauptsache, es hat sich niemand weh getan, oder?«

Willi dreht sich zu Luisa, die schüttelt den Kopf.

»Nein, alles in Ordnung. Ich weiß nur nicht, wie wir wieder aus diesem Feld herauskommen. Ich bin auch gegen irgendetwas gefahren.«

»Jau, da ist noch ein kleiner Wall direkt am Feldrand. Meinen Trecker stört der nicht, aber so ein Auto kann da schon mal ein Problem bekommen. Raus krieg ich euch da schon, ich habe ein Tau dabei, damit kann ich euch schleppen.«

Er drückt die Ähren zur Seite, geht einmal um unser Auto herum und lugt neugierig in unser Wageninneres.

»Nanu, du hast ja richtig viele Passagiere dabei. Wo wolltet ihr denn hin?«

»Nach München!«, ruft Luisa. »Zu meiner Mama. Aber das ist geheim. Sonst ist Papa sauer. Willi, Herkules und Herr Beck wollten nur aufpassen, dass ich auch heil ankomme.«