Willi räuspert sich.
»Es tut mir leid, dass wir dich in Schwierigkeiten gebracht haben. Da haben wir nicht richtig nachgedacht.«
»Nee, nee, euch mach ich keinen Vorwurf. Ihr seid ja nicht vom Fach. Aber mein lieber Schwager, der hätte das wissen müssen. Wusste er auch bestimmt. Na ja, es scheint ja alles in Ordnung zu sein mit den Schweinen. Trotzdem ärgert es mich. Ich bin es leid, immer der Buhmann zu sein. Ist ja nicht nur Karl-Heinz mit seinem Öko-Tick. Wenn die Leute hören, dass ich Viehtransporte fahre, kriege ich meistens nur dumme Sprüche. Scheinheilig ist das. Jeder will glückliche Tiere, aber trotzdem soll das Schnitzel ganz billig sein. Wer kauft denn schon das Fleisch bei Karl-Heinz? 35 Euro pro Kilo! Das kann sich doch kaum jemand leisten. Aber Fleisch wollen heute alle essen. Und zwar nicht so wie früher, von wegen Sonntagsbraten. Nee, täglich.«
Norbert regt sich richtig auf, und ich verstehe nur noch Sonntagsbraten. Das klingt allerdings in meinen Ohren sehr erfreulich. Wo also ist das Problem?
Jetzt mischt sich Luisa ein.
»Wisst ihr, ich glaube, ich werde Vegetarierin. Dann muss kein Tier mehr für mich leiden.« Wuff – da ist das Wort schon wieder. Wenn es allerdings »Abhauen« bedeutet, dann wundere ich mich über Luisa. Sie ist doch längst abgehauen. Und was, bitte schön, hat das mit dem Leiden der Tiere zu tun? Den Schweinen ist es doch – pardon – wurscht, ob Luisa in Hamburg oder München wohnt. Offenbar bedeutet Vegetarier also etwas anderes, aber ich würde mir eher die Zunge abbeißen, als mein Unwissen zuzugeben und Herrn Beck nach der wahren Bedeutung des Wortes zu fragen.
Norbert schüttelt den Kopf. Ob er auch nicht genau weiß, was Luisa meint?
»Nee, Lütte, das ist nun echt keine Lösung. So ein schönes Stück Schweinebraten ist doch was ganz was Feines. Wenn wir gleich bei Manni sind, lade ich euch ein. Seine Frau Angela macht nämlich einen ganz hervorragenden Schweinekrustenbraten nach bayerischer Art. Überhaupt können die Bayern gut kochen. Manni hat früher auch bei der Viehvermarktung gearbeitet, dann hat er seine Angela geheiratet und ist in den Süden gezogen. Seitdem hat er mindestens dreißig Kilo zugenommen.« Norbert lacht.
»Ist Schweinfurt nicht eher Franken?«, erkundigt sich Willi.
»Franken, Bayern – das ist doch das Gleiche. Auf alle Fälle schmeckt es dort super. Werdet ihr gleich merken.«
»Kriegen die Kühe auf dem Transporter in der Pause eigentlich auch etwas zu fressen?«, will Luisa wissen.
»Die haben eine Tränke im Wagen, und Heu haben sie auch, um die brauchst du dir keine Sorgen machen.«
»Und wohin fährst du die?«
»Nach Italien. Dort werden die meisten geschlachtet, aber ein paar werden auch in andere Länder weiterverkauft. Ist aber alles ganz legal.«
Luisa runzelt die Stirn. »Legal?«
»Na, erlaubt. Das ist alles hundertprozentig korrekt, keine Sorge.«
Nun sagt Luisa nichts mehr, und diesem Schweigen entnehme ich, dass sie sich sehr wohl Sorgen um die Tiere macht. Sie ist eben ein liebes Kind.
Norberts Lastwagen wird wieder langsamer, wahrscheinlich haben wir Mannis Futterkrippe bald erreicht. Ich richte mich zu voller Größe auf und gucke aus dem Fenster. Die Landschaft, die draußen vorüberzieht, sieht anders aus als zu Hause. Irgendwie … sanfter. Während bei uns alles ganz flach ist und man selbst als Dackelmischling ziemlich weit gucken kann, gibt es hier lauter kleine Hügel. Das sieht eigentlich sehr nett aus. Der einzige Hügel, den ich persönlich kenne, ist der Rodelhang im Helvetiapark hinter Caros Werkstatt. Hier kann man bestimmt viel besser rodeln, wobei ich kein ausgesprochener Freund dieser Sportart bin. Das eine Mal, das mich Luisa auf ihren Schlitten gezerrt hat, habe ich noch in sehr unguter Erinnerung.
Der Lastwagen hält, und Norbert steigt aus.
»So«, er öffnet die Tür auf Willis Seite, »jetzt machen wir erst mal ein Stündchen Pause. Kommt mit, ich stelle euch Manni und Angela vor.«
Willi steigt auch aus, hebt dann mich nach unten und hilft schließlich Luisa heraus. Er will gerade die Tür schließen, als ein für Katzenverhältnisse geradezu lautes Fauchen ihn daran erinnert, dass wir noch einen weiteren Mitreisenden haben.
»Oh, tut mir leid, dich hätte ich fast vergessen, Dickerchen!« Wäre ich ein Mensch, würde ich jetzt grinsen. Dickerchen – das wird Herr Beck sicherlich gerne hören. Willi bückt sich tief in das Wagenhäuschen und fischt meinen Kumpel heraus. Dem sträuben sich tatsächlich gerade die Nackenhaare, ich hoffe sehr, es gibt nun etwas Leckeres zu fressen für ihn! Und natürlich auch für mich!
Wir lassen den nach Rindviech duftenden Transporter hinter uns und laufen über einen riesigen Parkplatz hinter Norbert her. Hier stehen viele Lastwagen, einige noch größer als der von Norbert. Es riecht nach Benzin. Norbert geht direkt auf ein sehr niedriges Haus mit großen Fenstern zu. Auf dem Dach blinken verschiedene Lichter. Als wir näher kommen, höre ich durch die geöffnete Türe schon eine Mischung aus Stimmengewirr und Musik. Scheint mächtig was los zu sein in Mannis Futterkrippe!
Dieser Eindruck hat nicht getäuscht – im Haus findet offenbar gerade eine Art Party statt. Jedenfalls stehen viele Menschen herum, lachen, reden und hören laute Musik. Ich habe in meinem noch kurzen Dackelleben noch nicht so viele Menschenpartys erlebt, um hier verallgemeinern zu können: Aber laute Musik und alkoholische Getränke gab’s da immer. So ist es auch hier, allerdings mit der Besonderheit, dass auch einige Menschen an Tischen sitzen und etwas essen. Tatsächlich riecht es sehr lecker – ganz so, wie von Norbert versprochen. Ich merke, dass mein Hunger mittlerweile so riesig ist, dass ich ganz dringend etwas in den Napf brauche. Hoffentlich ist das meinen Menschen auch klar!
Ein sehr dicker Mann steuert auf Norbert zu, umarmt ihn kurz und klopft ihm auf die Schulter. Das muss Manni sein.
»Grüß dich, Nobbi! Pünktlich wie ein Uhrwerk! Auf dich ist eben Verlass.«
»Hallo Manni! Klar, dein Laden ist für mich immer der Höhepunkt meiner Südtour. Das habe ich auch gerade meinen Passagieren hier erzählt. Darf ich vorstellen – Willi und Luisa. Freunde von meinem bekloppten Schwager. Kalli, kennst du doch noch, oder?«
»Klar. Das ist doch der Bio-Fritze, oder?«
Norbert nickt kurz und guckt grimmig.
»Aber egal. Ich habe Willi und Luisa jedenfalls von Angelas original bayerischem Schweinsbraten vorgeschwärmt, und ich hoffe sehr, der steht heute auf der Karte.«
»Uiuiui, das lass die Angie aber mal nicht hören.«
»Wieso? Ist doch ein Kompliment!«
»Ja, aber die Angie ist doch Fränkin, nicht Bayerin – ein Riesenunterschied!«
Norbert verdreht die Augen.
»Für mich nicht.«
Manni knufft ihn in die Seite.
»Psst! Sonst kriegst du hier Ärger. Denn schlimmer als Bayern sind nur Preußen, die den Unterschied nicht auf die Reihe kriegen.«
Das soll jetzt mal einer verstehen. Bayern, Franken, Preußen? Ich sehe nur Menschen. Und die schauen für mich im Großen und Ganzen alle gleich aus. Will uns Manni jetzt etwa weismachen, dass es da auch solche Unterschiede wie zwischen Dackel, Retriever oder Foxterrier gibt? Das ist doch Unsinn! Und ich hätte es schon längst gemerkt.
Norbert seufzt.
»Na gut. Aber was ist jetzt? Gibt es den leckeren Schweinsbraten mit Kruste?«
Manni grinst.
»Klaro. Das ist das Schöne an deiner regelmäßigen Tour – wir wissen genau, wann du kommst, und sind gut vorbereitet. Also, setzt euch!«
Halt, halt, halt! Was ist denn nun mit Beck und mir? Ich fange an zu bellen. Ist sonst nicht meine Art, aber ohne Proviant ist so eine Flucht wirklich kein Spaß. Manni schaut zu mir herunter.