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»Los, komm da raus, du Verbrecher!«

Der Schwarzbekleidete wehrt sich und versucht, Norbert abzuschütteln. Jetzt erkenne ich, dass noch eine zweite Person im Führerhaus hockt, sie kniet fast neben dem anderen Menschen und ist daher nur schlecht zu sehen. Wieder beginnt der Laster zu würgen.

»Gebt euch keine Mühe«, brüllt Norbert, »den kann man nicht kurzschließen! Ohne Schlüssel riegelt der die Dieselzufuhr ab! Raus da, ihr Vollidioten!«

Aber die beiden denken gar nicht daran. Stattdessen beginnt der eine, von oben auf Norbert einzudreschen.

»Manni, ruf die Polizei! Das sind gewaltbereite Verbrecher! « Norbert wehrt sich jetzt nach Kräften, und schon entsteht das schönste Handgemenge. Der Schwarzgekleidete hängt halb aus der Tür heraus und liefert sich mit Norbert eine Art Ringkampf. Luisa hat sich mittlerweile von der Kuh getrennt und steht neben mir, Willi kommt dazu und legt eine Hand auf ihre Schulter.

»Komm, Luisa, lass uns lieber wieder reingehen. Das sieht hier nach mächtigem Ärger aus!«

»Aber was machen die denn da?«

»Siehst du doch, die streiten sich. Komm jetzt weg da!« Willi versucht, Luisa hinter sich herzuziehen, aber die bleibt stehen.

»Ich glaube, die wollen die Kühe retten. Das finde ich gut!«

»Luisa, wir haben schon genug Schwierigkeiten! Das Letzte, was wir jetzt brauchen, ist eine Begegnung mit der Polizei!« Wuff, Willi kann richtig energisch werden!

Bevor Luisa aber auf diese Ermahnung reagieren kann, fliegt plötzlich die Beifahrertür auf, die zweite schwarze Person springt aus dem Führerhaus und stürzt genau auf uns zu. Ehe ich noch richtig begriffen habe, was passiert, packt sie Luisa am Arm und zerrt sie hinter sich her.

»Komm, Kleene«, ruft die Stimme, die eindeutig einem Mann gehört, »wir beide organisieren uns jetzt ein Auto!«

Luisa schreit laut auf, Willi springt hinterher, ich belle aufgeregt, kurz: Das Chaos ist perfekt. Selbst Norbert lässt seinen Gegner los und läuft zu uns herüber.

»Seid ihr jetzt völlig irre? Lass sofort das Kind los!«

»Das mache ich, sobald wir sicher im Auto sitzen. So lange bleibt sie bei mir.«

Jetzt klettert auch Norberts Gegner aus dem Laster.

»He, was soll der Scheiß! Lass das Mädchen los! Das war so nicht abgesprochen. Ärger mit den Bullen wegen der Tiere kratzt mich nicht, aber das ist zu heftig.« Aha, auch die zweite Person ist ein Mann. Und: Die Verbrecher sind sich offenbar nicht einig.

»Stell dich nicht so an. Ich lass sie los – wenn wir im Auto sitzen.«

Luisa fängt an zu weinen, und endlich löst sich bei mir die Schreckstarre. Ich weiß nun genau, was zu tun ist! Ein kurzer Anlauf, ein Sprung – Treffer, versenkt! In dem Moment, in dem ich Luisas Angreifer in den Unterarm beiße, lässt er sie sofort los.

»Ah, elende Scheißtöle!« Bitte? Und du willst ein Tierschützer sein? Wütend belle ich den Mann an, der soll bloß nicht auf weitere dumme Gedanken kommen. Sonst kriegt er es aber richtig mit mir zu tun! Und ich, Herkules Carl-Leopold von Eschersbach, bin ein Gegner, den man tunlichst nicht unterschätzen sollte!

»Komm, lass uns abhauen«, ruft ihm sein Komplize zu. Bevor sie diese Idee jedoch in die Tat umsetzen können, fährt ein Polizeiauto auf den Parkplatz und stellt sich den beiden direkt in den Weg. Die schwarzen Männer zögern und scheinen zu überlegen, ob sie trotzdem weglaufen sollen, bleiben dann aber stehen. Zwei Polizisten steigen aus dem Polizeiwagen aus. Manni rennt fuchtelnd auf sie zu.

»Endlich sind Sie da! Wir haben es hier mit gefährlichen Verbrechern zu tun. Die wollten das Kind entführen!«

»Erst mal grüß Gott, die Herrschaften«, ruft der ältere der beiden Polizisten. Na, der hat ja die Ruhe weg! Ich winsle aufgeregt. »Was ist denn hier überhaupt los? Was machen die Kühe hier?« Er schaut sich kurz um, spricht dann die Verbrecher an. »Und Sie? Auf dem Weg zum Maskenball? Nehmen Sie mal die albernen Mützen ab!«

Die Männer tun, wie ihnen geheißen. Die Gesichter, die zum Vorschein kommen, sind noch sehr jung. Eher Jungs als Männer, der eine mit strubbeligen roten Haaren, der andere ist blond.

Der Polizist mustert sie.

»So. Und Sie wollten hier Kühe klauen?«

Beide Jungs schütteln empört den Kopf.

»Nein! Wir wollten sie befreien!«

»Befreien?«

»Genau. Und sie vor einem grausamen Schicksal retten. Diese armen Tiere werden durch die ganze Republik nach Italien gekarrt. Wenn sie sogenanntes Glück haben, werden sie dort geschlachtet. Aber wenn sie Pech haben, droht ihnen ein noch schlimmeres Ende: Dann werden sie in den Nahen Osten verschifft, sind tagelang auf dem Meer unterwegs. Viele von ihnen überleben schon die Reise nicht, und die, die lebend ankommen, werden rituell geschlachtet. Das heißt, sie bluten bei vollem Bewusstsein aus.«

Das klingt ja furchtbar! Ich merke, dass ich anfange zu zittern. Luisa schluchzt ganz laut.

»Das ist doch Mumpitz«, regt sich Norbert auf. »Meine Firma hält sich an alle Bestimmungen, die es gibt. Wenn ihr das nicht einsehen wollt, dann ruft doch den Amtstierarzt, anstatt hier unbescholtene Bürger zu überfallen! Herr Wachtmeister, nun tun Sie doch was!«

Der so Angesprochene hebt beschwichtigend die Hände.

»Moment, Moment. Ich ermittle noch! Aber der Herr hat Recht – warum informieren Sie nicht den Amtstierarzt, wenn Sie hier Tierquälerei vermuten?«

Der Blonde lacht bitter.

»Was meinen Sie denn? Das machen wir immer, aber die kommen eigentlich nie. Und das Problem ist ja auch nicht so sehr der Transport in Deutschland, sondern wie es jenseits der Grenze weitergeht. Dagegen protestieren wir.«

Der Polizist nickt und grinst.

»Also seid ihr aufrechte Kämpfer für die gute Sache.«

Die beiden Jungs nicken so heftig, dass ihre verstrubbelten Haare hin und her springen. Der Rothaarige reckt sich jetzt zur vollen Größe auf.

»Genau. Wir sprechen für die gequälte Kreatur, die sich nicht wehren kann! Und wenn man uns dafür bestrafen will, dann soll es so sein. Wir würden es immer wieder tun!«

Nun meldet sich der jüngere Polizist zu Wort.

»Die Rede war hier aber eben auch von einer Kindesentführung. Das ist nun natürlich ein ganz anderes Kaliber.«

»Genau!«, rufen Manni und Norbert jetzt im Chor. »Die beiden wollten Luisa mitschleppen, um sich den Fluchtweg freizupressen.«

»Nein!«, schreit Luisa aufgebracht. Die Erwachsenen schauen sie erstaunt an. »Die wollten mir doch gar nichts tun. Die wollten doch nur die armen Kühe retten! Ich bin freiwillig mitgekommen, weil ich nämlich auch eine Tierretterin bin!«

Der ältere Polizist kniet sich vor Luisa hin und guckt sie ernst an.

»So, so. Du bist also eine Tierretterin. Wie heißt du denn?«

Luisa schluckt. Dann nennt sie ihren Namen.

»Luisa Wagner.«

»Und kommst du aus Schweinfurt?«

Sie schüttelt den Kopf.

»Nein. Aus Hamburg.«

»Und bist du mit deinen Eltern hier?«

Wieder Kopfschütteln.

»Nein. Mit dem Willi. Der hilft mir, nach München zur Mama zu kommen. In Hamburg will ich nicht mehr sein.«

»Aha.« Der Polizist steht wieder auf und geht zu seinem Kollegen. Die beiden tuscheln miteinander, dann geht der jüngere zum Polizeiwagen und setzt sich hinein. Der ältere bleibt bei uns stehen.

»Gut. Also, ich werde jetzt die Personalien aller Beteiligten aufnehmen. In der Zwischenzeit«, er spricht jetzt Norbert an, »versuchen Sie bitte, die Kühe wieder einzufangen. Nicht, dass hier auch noch eine Verkehrsgefährdung entsteht. Brauchen Sie da Hilfe?«

»Ja, allein schaffe ich das nicht.«

Manni macht einen Schritt auf ihn zu.

»Ich helfe dir und sage auch noch ein paar Gästen Bescheid. Zusammen müssten wir das schaffen.«

Der jüngere Polizist steigt wieder aus dem Auto und kommt zu uns zurück. Er deutet auf Willi.

»Hey, Sie, kommen Sie mal näher.«

Willi geht einen sehr zögerlichen Schritt nach vorn. Als er direkt neben mir steht, rieche ich … Angst! Eindeutig. Willi hat Angst.