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»Sagen Sie, sind Sie Wilhelm Schamoni?«

Willi nickt.

»Und das Kind ist Luisa Wagner, zehn Jahre, aus Hamburg?« Wieder Nicken.

»Dann muss ich Sie jetzt bitten mitzukommen.«

SECHSUNDZWANZIG

Luisa!« Als Sabine Wagner uns sieht, rennt sie los und stürzt sich mit weit ausgebreiteten Armen auf ihre Tochter.

»Gott, ist diese Frau melodramatisch«, flüstert Herr Beck mir zu. Ich weiß nicht, was melodramatisch bedeutet, finde aber trotzdem, dass der Kater Unrecht hat. Denn egal, was es heißt – eine Mutter, die sich Sorgen um ihr Kind macht, hat mit Sicherheit jedes Recht der Welt, alles Mögliche zu sein. Von mir aus auch melodramatisch.

Auch Marc steht am Bahnsteig. Nachdem seine Exfrau Luisa wieder freigegeben hat, kommt er heran und umarmt seine Tochter ebenfalls. Er wirkt sehr nachdenklich.

»Schatz, was machst du denn für Sachen?«

Luisa blickt verlegen zu Boden. Die Polizistin, die uns auf der ganzen Fahrt hierher begleitet hat, streckt Marc die Hand entgegen.

»Grüß Gott, Franziska Niedmayer mein Name. Ich bin von der Kripo in Schweinfurt, wir hatten telefoniert.«

Marc greift die Hand und schüttelt sie.

»Ja! Danke, dass Sie sich um Luisa so lieb gekümmert haben.«

Die Polizistin lächelt.

»Keine Ursache. Hauptsache, es kommt jetzt wieder alles in Ordnung. Und ich habe ja nicht nur Luisa mitgebracht, sondern auch ihre beiden kleinen Freunde, Zeus und Beckmann.« Luisa kichert, sagt aber nichts. »Das war fast schwieriger, als Ihre Tochter in den Zug zu bekommen. Da gibt’s nämlich ganz seltsame Vorschriften für Tiere, Sie würden es nicht glauben. Na ja, das konnte ich dann mithilfe meines Dienstausweises klären.«

»Fahren Sie heute Nacht noch nach Hause?«, erkundigt sich Sabine.

Frau Niedmayer schüttelt den Kopf,

»Nein. Der nächste Zug geht erst morgen früh. Aber die Kollegen haben ein Hotel für mich gebucht. Ich schnappe mir jetzt ein Taxi und sinke gleich in die Federn.«

»Soll ich Sie nicht lieber ins Hotel fahren?«, bietet Marc an.

»Nein, nein, bloß nicht! Ich denke mal, Luisa wird auch völlig erledigt sein, und Sie haben sich bestimmt noch einiges zu erzählen.«

»Na gut, wenn Sie meinen …«

»Ja, ja, das ist völlig in Ordnung, ich nehme ein Taxi. So, Luisa – dann hoffe ich, du hast dein Abenteuer gut überstanden. Und du weißt ja – wenn noch etwas ist, ruf mich an.«

Luisa nickt.

»Danke, Franziska!«

Frau Niedmayer will sich gerade umdrehen, da fällt Luisa noch etwas ein.

»Franziska?«

»Ja?«

»Was wird denn jetzt aus Norbert und den Kühen?«

»Ich glaube, die Kühe stehen erst einmal alle auf einer Weide, denn der Transporter war ja beschädigt. Aber ich fürchte, wenn der wieder repariert ist, geht es für die Kühe weiter nach Italien.«

Luisa schluckt. »Außerdem mach ich mir so Sorgen um Willi. Es ist alles meine Schuld, bestimmt!«

»Luisa, das hast du uns ja genau erzählt, und ich bin mir ziemlich sicher, dass Willi keinen großen Ärger bekommt. Aber wir mussten ihn doch mal kurz dabehalten, damit wir uns morgen in Ruhe mit ihm unterhalten können. Heute war es dafür schon ein bisschen spät.«

Marc mischt sich ein.

»Aber – Herr Schamoni sitzt jetzt hoffentlich nicht in einer Zelle, oder? Ich meine, ich hatte Ihren Kollegen doch extra gesagt, dass er mich von unterwegs angerufen hat, um uns zu beruhigen. Sonst hätte ich Ihnen doch seinen Namen nicht sagen können, weil ich gar nicht gewusst hätte, dass er mit Luisa unterwegs ist! Keinesfalls wollte ich ihm damit Probleme bereiten. Ich bin ja froh, dass er Luisa begleitet hat.«

»Keine Sorge, Herr Wagner. Wir haben Herrn Schamoni in einem Hotel untergebracht, weil er sich in Schweinfurt zu unserer Verfügung halten soll, bis alles ordnungsgemäß zu Protokoll gegeben ist.«

»Ach so. Aber wenn es da irgendwie Probleme für ihn gibt, rufen Sie mich dann bitte an?«

»Das kann ich gerne machen. So, und jetzt lass ich Sie mal alleine. Auf Wiederschauen!« Sie schüttelt Marc noch einmal die Hand.

»Auf Wiedersehen.«

»Wer ist denn dieser Herr Schamoni?«, will Sabine wissen.

»Das ist ein alter Bekannter, der Luisa begleitet hat. Er hat mich von unterwegs angerufen, um uns zu beruhigen.«

»Ja, Mama, den Willi kenn ich schon ganz lange. Der hat früher selbst auf der Straße gelebt, deswegen kennt der sich da so gut aus.«

Sabine Wagner reißt die Augen auf. »Wie bitte? Ein Penner reist mit unserer Tochter quer durch Deutschland, und du findest das beruhigend? Das ist jetzt nicht dein Ernst, Marc!«

Komisch? Was hat diese Frau denn gegen Willi? Die kennt ihn doch gar nicht. Vielleicht ist melodramatisch doch nicht so gut.

»Nun reg dich mal nicht auf, Sabine. Willi Schamoni ist kein Penner, sondern hat geschafft, was zumindest ich in letzter Zeit wohl nicht hinbekommen habe – nämlich, ein offenes Ohr für Luisa zu haben und sich um sie zu kümmern.«

»Tja, mein Lieber, vielleicht bist du mit zwei Kindern eben doch überfordert.«

Marc holt tief Luft, sagt dann aber nichts.

»Papa, wo sind eigentlich Caro und Henri?«, fragt Luisa und guckt sich suchend auf dem Bahnsteig um.

»Henri hat schon geschlafen. Deswegen ist Caro zu Hause geblieben.«

»Außerdem bin ich ja extra gekommen, das ist hier schließlich eine Familiensache«, fügt Sabine hinzu und garniert diese Bemerkung mit einem sehr breiten Lächeln. So kommt es mir jedenfalls vor.

»Aber Caro gehört doch auch zur Familie«, widerspricht ihr Luisa. Genau! Mutterherz hin, Mutterherz her – Sabine ist nicht besonders nett. Wieso genau wollte Luisa noch mal dringend zu der?

»Nun lass uns mal nicht streiten, mein Schatz«, lenkt Sabine ein, »ich habe mir eben auch große Sorgen gemacht. Deshalb bin ich gleich nach Hamburg geflogen, als ich gehört habe, dass du heute Nacht hier ankommst.«

»Ja, das ist schön! Übernachtest du heute bei uns?«, will Luisa wissen.

Sabine schaut Marc fragend an.

»Aber natürlich kann Mama bei uns schlafen. Ich habe schon mit Caro gesprochen, und sie hat das Gästezimmer fertig gemacht. Kein Problem.«

»Juchhu!«, freut sich Luisa. »Dann kann ich dir auch Henri zeigen!«

Sabine verzieht für den Bruchteil einer Sekunde den Mund, ringt sich dann aber ein Lächeln ab.

»Ja, wunderbar. Da freue ich mich natürlich. Ganz doll.«

Es ist schon sehr, sehr spät, als ich endlich in meinem geliebten Körbchen liege. Auch ganz schön, mal ohne den schnarchenden Herrn Beck zu schlafen. Den haben wir nämlich sofort bei Alex abgeliefert, der ihn offenbar schon schmerzlich vermisst hat. Kein Wunder – Frau in Stockholm, Haustier verschollen: Das ist an Trostlosigkeit auch wirklich kaum zu überbieten …

Was habe ich mein Zuhause unterwegs vermisst! Dieser vertraute Geruch, herrlich! Hatte ich jemals die Idee, meine Familie zu verlassen? Meine Familie? Was für ein absurder Gedanke! Denn egal, wie laut oder chaotisch es hier manchmal ist und wie viele Babys Carolin noch bekommen mag: Hier gehöre ich einfach hin. Wuff!

Mit diesem wohligen, heimatlichen Gefühl will ich gerade ins Reich süßer Träume hinüberdämmern, als mich das Klappern einer Tür wieder in die Realität zurückholt. Marc, der eigentlich schon im Schlafzimmer verschwunden war, schleicht über den Flur. Der will doch nicht etwa seiner Exfrau einen Besuch im Gästezimmer abstatten? Ich winde mich gaaanz leise aus dem Körbchen und schleiche Marc hinterher.

Der aber biegt nicht links zum Gästezimmer, sondern nach rechts zum Kinderzimmer ab und öffnet die Tür einen Spalt. Ah, sehr gut! Noch mal schauen, ob Luisa nach all der Aufregung überhaupt schlafen kann. So gehört sich das als guter Vater! Marc will die Tür gerade wieder schließen, als Luisa nach ihm ruft.