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»Sind noch alle Pfoten dran, Süßer?«

Er hält mich vorsichtig in seinen Armen, ich jaule so mitleiderregend, wie ich nur kann. Natürlich bin ich im engeren Sinne nicht schwer verletzt, aber erst getreten und dann auch noch geschmäht zu werden, ist eindeutig zu viel. Es gibt folglich keinen Grund, besonders tapfer zu sein. Die Frau stellt sich neben Marc und grinst blöde. Jetzt erst dreht sich Marc zu ihr um.

»Hallo, Frau Winkelmann. Sie haben Recht, es war keine gute Idee, ihn hierher zu schleifen. Gassigehen und Powershopping vertragen sich nicht besonders gut.«

»Ja, ja, Weihnachten, das Fest der Liebe – Zeit für Ruhe und Besinnlichkeit.«

Beide lachen. Warum, verstehe ich nicht. Das ist wohl wieder menschliche Ironie. Also, das Gegenteil von dem sagen, was man meint. Um deutlich zu machen, dass man das garantiert nicht meint. Und das finden Menschen dann auch noch komisch. Verrückt, oder? Ich lebe jetzt schon drei Jahre mit ihnen zusammen und kann bis heute nicht nachvollziehen, was an Ironie lustig sein soll. Eine wertvolle Information ist allerdings, dass Frau Winkelmann vom Fest der Liebe gesprochen hat. Klingt vielversprechend. Aber wie passt der Weihnachtsmann da rein? Vielleicht, weil alle behaupten, dass er die Geschenke bringt? Und Geschenke ein Zeichen von Liebe sind? Ist das etwa die heiße Spur, die ich brauche, um das Rätsel zu lösen.

Frau Winkelmann ist ein Stück an uns herangekommen und streichelt mir über den Kopf. Pah, plumpe Vertraulichkeit! Von hier oben kann ich sehen, dass sie ein sehr rundes Gesicht hat, versehen mit einem Paar ziemlich kleiner Augen. Letztere kneift sie nun zusammen und mustert mich eindringlich. Dabei erinnert sie mich an irgendein Tier. Eine Bulldogge vielleicht? Nein, kein Hund. Irgendetwas anderes auf vier Beinen. Ich komm schon noch drauf.

»Ach, das muss doch der Dackelmix sein, von dem mir Ihre Frau Mutter mal erzählt hat. Herbert, richtig?«

Marc lacht. Was bitte ist daran so lustig? Es betrifft einen der dunkelsten Flecken meines bisherigen Lebens!

»Na ja, fast richtig. Er ist tatsächlich ein Dackelmix, aber er heißt Herkules.« Frau Winkelmann prustet laut los.

»HERKULES? Das ist aber ein großer Name für ein so kleines Kerlchen!«

»Finden Sie? Immerhin stammt Herkules aus einer bedeutenden Dackelzucht. Zwar das Ergebnis eines kleinen Betriebsunfalls, aber mütterlicherseits mit einer Ahnengalerie von hier bis an die Ostsee.«

Ja, mindestens bis an die. Obwohl ich nicht weiß, wer oder was die Ostsee überhaupt ist. Auch egal, der Rest stimmt. Meine Mama, ihres Zeichens deutscher Jugendchampion und versehen mit dem Prädikat »vorzüglich 1«, hatte sich eines Tages unsterblich in den Terrier des Nachbarn verliebt. Das Ergebnis waren meine Schwester Charlotte und ich. Charlotte durfte auf Schloss Eschersbach bleiben – die Köchin hatte sich erbarmt. Ich hingegen wurde ins Tierheim abgeschoben. Eine Schmach, an die ich äußerst ungern erinnert werde. Schon gar nicht von einer Frau, die aussieht wie … wie … genau: wie ein Schwein! Diese Frau sieht aus wie ein Schwein! Natürlich riecht sie anders, aber der Rest stimmt. Die aufdringliche Art, das Vorwitzige, Neunmalkluge.

Ich sage nur ungern etwas Schlechtes über andere Tiere, im Gegenteil, ich bin ein entschiedener Verfechter von Solidarität unter Haustieren – aber bei Schweinen mache ich eine Ausnahme. Ich mag sie nicht. Nicht, dass ich in meinem täglichen Leben viel mit ihnen zu tun hätte. Schweine scheinen nicht die Sorte Tier zu sein, die in der Stadt wohnen. Aber als Welpe bin ich bei einer Erkundungstour auf dem benachbarten Bauernhof einmal mit diesen unangenehmen Zeitgenossen aneinandergerasselt. Ich kam in friedlicher Absicht und wollte mit den Ferkeln spielen – die Sau hatte dafür kein Verständnis und jagte mich quer durch den Koben. Hinterher durfte ich mir hämische Bemerkungen der ganzen Truppe anhören. Die taten gerade so, als seien Schweine die schlausten Vierbeiner der Welt. Lächerlich! Wo doch jeder weiß, dass dieser Titel uns Hunden zusteht. Gut, ich könnte mich mit Herrn Beck auf ein Unentschieden mit den Katzen einigen. Aber Schweine? Auf keinen Fall!

»Na ja, dann grüßen Sie den Weihnachtsmann von mir!«, verabschiedet sich die Schweinefrau jetzt von Marc. Mist! Ich war so in Gedanken, dass ich von der Unterhaltung der beiden nichts mehr mitbekommen habe. Offenbar sind dort weitere wertvolle Informationen über den Weihnachtsmann gefallen. Oder über die Liebe zum Fest. Bloß welche? Ich werde es nie erfahren, denn Marc sagt dazu nichts mehr, sondern nickt der Frau nur freundlich zu, bevor er sich zum Gehen wendet. Wenigstens hält er mich immer noch auf dem Arm. Von hier oben aus sieht das Menschengewimmel nicht mehr ganz so bedrohlich aus. Nur Luisa kann ich auch aus diesem Blickwinkel nirgendwo sehen. Stattdessen einige andere Kinder, Marc steuert jetzt auf eine Ecke zu, wo diese geradezu im Rudel vorkommen. Sie drängen sich vor hohen Tischen und scheinen dort etwas sehr Interessantes zu beobachten, jedenfalls schubsen sie sich fast gegenseitig im Kampf um die besten Plätze. Leider stehen sie so dicht an dicht, dass ich nicht sehen kann, was das sein könnte. Von Zeit zu Zeit blinkt es allerdings, und laute Geräusche kommen auch von den Tischen. Nicht gerade Musik, aber so ähnlich.

Los, Marc, geh mal näher ran! Ich will auch sehen, was die kleinen Zweibeiner da so spannend finden! Meiner Erfahrung nach haben Menschenkinder nämlich einen guten Geschmack. Will sagen: Die meisten Sachen, die Luisa mag, gefallen mir auch. Schokolade in jeglicher Form, Rumtoben im Garten, Zwergkaninchen. Wenn also Marc, ob nun im Auftrag des Weihnachtsmannes oder auf eigene Faust, hier nach einem Geschenk für Luisa sucht, dann wäre vielleicht auch etwas Passendes für mich dabei. Marc steht jetzt direkt hinter den Kindern und lugt über ihre Köpfe. Na prima! Schön, dass der Herr jetzt offenbar einen guten Überblick hat. Ich sehe immer noch rein gar nichts! Einen Moment scheint Marc zu überlegen, dann geht er wieder einen Schritt zurück und verlässt diese Ecke des Raumes. Menno! Diesen Ausflug hätte ich mir echt sparen können – so etwas Langweiliges und gleichzeitig Gefährliches! Hätte ich das vorher gewusst, ich wäre zu Hause geblieben. Notfalls hätte ich mich eben im Designersofa verbissen.

»So, Herkules, jetzt pass auf deine Pfoten auf. Ich muss eben mal Carolin anrufen.«

Mit diesen Worten setzt mich Marc wieder auf den Boden. Der ist ja lustig! Wie soll ich denn hier bitte schön auf meine Pfoten aufpassen? Es sind doch wohl die Zweibeiner, die völlig außer Rand und Band sind. Beleidigt kauere ich mich zwischen Marcs Füße, der mir prompt einen kleinen Schubs gibt. Von wegen Fest der Liebe!

»Hallo, Carolin! Du, ich steh jetzt bei Karstadt. Die haben hier aber lauter verschiedene Spielekonsolen – welche soll ich denn mitnehmen?« Marc klingt gestresst. Offensichtlich macht ihm der Einkauf auch nicht so viel Spaß. Geschieht ihm Recht!

»Hm. Okay. Also gar keine Konsole, sondern nur diese Dinger zum Spielen. Kann man an den Fernseher anschließen. Gut. Wie heißen die? Wie? Nee, ich wollte wissen, wie die heißen. Hä?«

Manno, jetzt klärt das gefälligst schnell, damit ich hier rauskomme! Wie, wie? Warum habt ihr das denn nicht besprochen, bevor wir losgezogen sind? Man geht schließlich auch nicht auf die Jagd und überlegt sich erst vor Ort, was man eigentlich erlegen will. Dann hat man doch unter Umständen gar nicht die richtigen Sachen dabei. Beispielsweise, man entscheidet sich spontan für die Entenjagd, hat aber nur einen Dackel und keinen Wachtelhund dabei. Dann kann man es eigentlich schon vergessen. Denn um so eine wild um sich schlagende, schnell schwimmende Ente zu packen, bin ich mit meinen kurzen Beinen im Wasser viel zu langsam. Da saufe ich eher ab, als mit einer Ente wieder an Land zu kommen. Andererseits bringt einen der Wachtelhund bei der Kaninchenjagd nun so gar nicht weiter. Also: Gute Vorbereitung ist alles! Ich kenne das zwar nur aus Erzählungen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der alte von Eschersbach jemals so schlecht organisiert zur Jagd gegangen ist, wie es gerade bei Marc der Fall ist. Der hat offenbar immer noch nicht verstanden, was er besorgen soll.