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»Wie? Nein, ich verstehe dich inhaltlich nicht. Mein Empfang ist ausgezeichnet. Ach, mit zwei I? Ach, das Ding heißt so? Wii? Was meinst du denn mit der letzte Mensch? Nur, weil ich diesen ganzen Elektronik-Scheiß …. Grundsatzdiskussion? Hör mal, ich stehe hier in einem knallvollen Kaufhaus. Selbst Herkules ist hier schon unter die Räder gekommen … Nein, nein, ist ja gut. So habe ich das doch gar nicht gemeint. Ich weiß, dass dir schnell schlecht wird. Okay. Ja, ja. Reg dich nicht auf. Mach ich. Tschüss.«

Er steckt sein Telefon in die Jackentasche und schüttelt den Kopf. Dann beugt er sich zu mir herunter.

»Echt, Herkules. Weiber. Vor allem, wenn sie in anderen Umständen sind. Aber da musste Rücksicht nehmen, ob es dir nun passt oder nicht.«

Ehrlich, ich bin ENTSETZT. Wie kann Marc nur so gefühllos sein? Carolin ist dem Tod offensichtlich näher als dem Leben, und Marc tut so, als sei das die normalste Sache der Welt. In Umständen. Caro ist doch nicht umständlich, weil sie mit einer schweren Krankheit ringt! Soll sie sich etwa in ihrem Zustand in dieses Chaos stürzen? Um ein Geschenk für seine Tochter zu kaufen? Und überhaupt – wo steckt eigentlich der Weihnachtsmann? Wieso müssen wir hier seinen Job erledigen? Wahrscheinlich hat Marc verpennt, ihm rechtzeitig zu sagen, dass wir dieses Jahr zusammen mit Luisa feiern. Als mich Marc unter dem Kinn kraulen will, zwicke ich ihn spontan in die Hand.

»Autsch! Sag mal, spinnst du jetzt völlig, Herkules?« Marc reißt die Hand zurück, nur um mich den Bruchteil einer Sekunde später am Genick zu packen und zu schütteln. »Mach das nicht noch mal, du böser Hund!«

He, nicht so grob! Ein wenig Kritik wird doch noch erlaubt sein, oder? Und ich war wirklich vorsichtig, das hat garantiert nicht besonders weh getan. Marc steht wieder auf und zerrt an meiner Leine. Ich setze mich einfach auf den Po. Wenn der glaubt, dass ich so mit mir umspringen lasse, täuscht er sich. Es war schließlich nicht meine Idee, mich an diesen furchtbaren Ort mitzunehmen.

»Nun komm schon, du sturer Dackel! Los, auf geht’s! Wir haben keine Zeit mehr. Gleich kommt Luisa, dann müssen wir fertig sein!«

Ist mir wurscht. Ich bewege mich keinen Millimeter von der Stelle. Soll er mich doch tragen, wenn es so eilig ist. Auf die Idee kommt Marc aber nicht, stattdessen zerrt er noch doller an der Leine. Langsam wird es unangenehm, ich stemme mich mit den Vorderläufen gegen den Zug. Leider hat Marc offenbar beschlossen, etwas Grundsätzliches daraus zu machen, denn er gibt nicht nach, sondern zieht unvermindert weiter. Der Boden ist so glatt, dass ich auf meinem Po in seine Richtung rutsche. Mist! Das passt mir gar nicht. Das Recht des Stärkeren ist ja so was von ungerecht! Ich fange an zu jaulen. Wenn Marc hier schon auf Powerplay setzt, soll wenigstens jeder mitkriegen, was mir hier widerfährt. Tatsächlich dauert es nicht besonders lang, bis sich ziviler Widerstand regt.

»He, Sie! Was machen Sie denn mit dem Hund? Sie tun dem Tier doch weh!«, empört sich eine ältere Dame, die neben uns stehen bleibt.

»Gnädige Frau, ich kann Ihnen versichern, dass ich ihm nicht weh tue. Im Gegenteil, mein kleiner Freund hier hat mich gerade in die Hand gebissen.«

»Na und? Kein Wunder, bei dem Stress, dem Sie das Tier hier aussetzen. Sie haben ja von Hunden offenbar gar keine Ahnung. Schlimm, solche Menschen wie Sie, die sich ohne Sachverstand ein Tier anschaffen.« Die Frau ist so aufgeregt, dass sie beim Sprechen richtig schnauft.

»Also, erstens gehört mir der Hund nicht. Und zweitens bin ich Tierarzt, ich kenne mich also sehr wohl mit Vierbeinern aus. Und ich sage Ihnen – dieses Exemplar leidet nicht, es ist einfach stur. Typisch Dackel.«

Jetzt schnappt die Dame regelrecht nach Luft.

»Sie wollen Tierarzt sein? Das glauben Sie doch wohl selbst nicht! Kein Fachmann würde einem Tier so etwas antun.«

Marc lacht, und zwar ziemlich gepresst.

»Tja, glauben Sie es, oder lassen Sie es bleiben, davon hängt mein Seelenheil nun wirklich nicht ab. Schlimmer als unfähige Tierärzte sind meiner Meinung nach übrigens Leute wie Sie. Vermeintliche Tierfreunde, die mit ihrer übertriebenen Fürsorge allen auf den Senkel gehen. Die Tiere eingeschlossen.«

»Was für eine Unverschämtheit! Sie haben dem Tier weh getan, eindeutig!«

»Ach was! Herkules ist ein echtes Raubein, der kann so einiges ab. Eben ein echter Dackel! Und jetzt kümmern Sie sich gefälligst um Ihren eigenen Kram, Sie alte Schachtel. Ich jedenfalls habe zu tun.« Oh, oh – ich bin zwar kein Experte, was die menschliche Etikette anbelangt, aber mir scheint, dass Marc sich hier nicht als Kavalier zeigt. Eher ziemlich unhöflich. Der Stress in diesem vollgestopften Haus scheint ihm gar nicht zu bekommen.

»Was fällt Ihnen ein!«, erbost sich die alte Frau auch prompt. »Ich werde die Geschäftsleitung informieren.«

Geschäftsleitung? Ich verstehe nicht, wovon sie redet, aber langsam wird mir ihre Solidarität und Anteilnahme etwas unangenehm. Zumal die Erwähnung des Wortes »Geschäftsleitung« vermutlich nichts Gutes verheißt.

»Bitte, tun Sie, was Sie nicht lassen können. Ich setze jetzt meinen Einkauf fort. Es hat schließlich nicht jeder so viel Zeit wie Sie als Rentnerin.« Spricht’s, beugt sich zu mir, nimmt mich auf den Arm und dreht sich zum Gehen. Dabei streift er die Frau an der Schulter, ihre Handtasche fällt zu Boden. Normalerweise würde Marc sich jetzt bücken und sie aufheben, aber diesmal geht er einfach weiter.

Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, dass die Frau noch etwas rufen will, aber dann sind wir schon weg. Und zwar wieder in die Richtung, in der sich die geheimnisvollen Tische befinden. Inmitten der Traube von Kindern steht ein Mann, Marc steuert direkt auf ihn zu.

»Entschuldigen Sie, ich brauche fachkundige Hilfe. Ich suche ein Spiel namens Wii. Sagt Ihnen das etwas?«, will Marc von dem Mann wissen. Der nickt.

»Klar. Ist ein echter Verkaufsschlager dieses Jahr. Mit wie vielen Spielern wollen Sie es denn spielen?«

»Zu dritt. Oder nein – perspektivisch eher zu viert. Also, sehr perspektivisch zwar, aber immerhin.« Marc lächelt, das kann ich deutlich sehen. Und ich würde jetzt auch lächeln, wenn ich könnte. Denn egal, was perspektivisch bedeutet – offensichtlich bin ich wieder wohlgelitten und werde schon als Spielpartner eingeplant. Na gut, wenn man mir die Hand zur Versöhnung hinstreckt, will ich mal nicht so sein. Als Zeichen der großen, unverbrüchlichen Freundschaft zwischen Dackel und Mann lecke ich Marc über das Gesicht.

»Herkules, hör auf mit dem Quatsch! Du nervst heute richtig!« Marc setzt mich sehr abrupt wieder auf den Boden.

Hey, Friede! Was soll das denn? Ich dachte, der wollte sich wieder mit mir vertragen! Wenn ich nicht wüsste, dass Marc im Grunde genommen ein netter Kerl ist, wäre ich nun mehr als vergrätzt. Zu seinen Gunsten nehme ich an, dass es natürlich auch die Sorge um Carolin ist, die ihn so eklig werden lässt. Vermutlich kann er seine wahren Gefühle nicht zeigen und reagiert deswegen hilflos-aggressiv. Genau. So wird es sein. Bei diesem Gedanken bin ich ein bisschen stolz auf mich, zeigt es doch, wie sehr ich mittlerweile zum Menschenkenner geworden bin. Allerdings habe ich mir auch schon zahllose Gespräche zu diesem Thema zwischen Carolin und ihrer Freundin Nina anhören müssen. Warum können Männer ihre Gefühle nicht zeigen? ist ein absoluter Dauerbrenner bei ihren Frauengesprächen. Zu Recht, wie sich jetzt zeigt.

»Da, das ist der Mann!« Eine schrille Stimme unterbricht meine zweifelsohne wichtigen Gedanken über mein Verhältnis zu Männern im Allgemeinen und Marc im Besonderen. Die ältere Dame, die eben zu meiner Hilfe eilen wollte, ist uns gefolgt. Und zwar nicht allein, zur Verstärkung hat sie einen finster und entschlossen dreinblickenden Mann mitgebracht. Jedenfalls deute ich seinen Gesichtsausdruck, soweit ich ihn von hier unten erkennen kann, so. Er ist eben nicht … freundlich. Das beunruhigt mich allerdings gar nicht, denn er ist ein kleines, dürres Männlein. Mit dem würde selbst ein Hund meiner Größe spielend fertigwerden.