„Uns gegen sie durchsetzen? Verhandeln? Pah!“ Garrosh spie tatsächlich auf den Boden, als er sprach. „Ich schäme mich, solches Geschwätz aus dem Mund eines Mitglieds der Horde zu hören! Was an der Pforte des Zorns geschehen ist, hat uns alle verletzt. Oder habt ihr alle schon Saurfang, den Jüngeren, vergessen und die vielen anderen, die mit ihm gefallen sind und als wandelnde Tote wiedererweckt wurden, um gegen uns zu kämpfen? Die Elfen können sich nicht mehr als wir darüber beschweren, angegriffen worden zu sein!“
„Unverfrorener Bengel“, knurrte Cairne und wandte sich an Garrosh. „Ihr benutzt den Namen von Saurfang, dem Jüngeren, zu Eurem Vorteil, obwohl Ihr öffentlich der Weisheit seines hinterbliebenen Vaters den Respekt verweigert.“
„Nur weil ich mit Saurfangs Taktiken nicht einverstanden bin, heißt das noch lange nicht, dass ich das Opfer seines Sohnes schmälere!“, gab Garrosh zurück. „Ihr, der Ihr an so vielen Schlachten teilgenommen habt in Euren vielen, vielen Jahren, solltet das eigentlich verstehen! Ja, ich bin anderer Meinung als er. Das sage ich ihm, wie ich es dir sage, Kriegshäuptling Thrall. Wir sollten nicht wie geprügelte Hunde jaulen und winseln, um die ach so zarten Gefühle der Nachtelfen nicht zu verletzen. Lasst uns jetzt ins Eschental gehen, bevor meine Truppen wieder heimgekehrt sind, und uns einfach nehmen, was wir brauchen!“
Cairne und Garrosh standen nun einander gegenüber und schrien sich an, als wäre Thrall nicht zugegen. Thrall hatte den Streit zwischen ihnen zugelassen, da er sich über das Verhältnis zwischen ihnen klar werden wollte. Doch nun hob er eine befehlende Hand, und seine Stimme war schneidend.
„So einfach ist es nicht, Garrosh!“
Garrosh wollte schon protestieren, doch Thrall blickte ihn warnend an, und der jüngere Orc schwieg widerwillig.
„Hochfürst Saurfang weiß das“, fuhr Thrall fort. „Cairne, ich und Hamuul wissen das. Du hast gerade deine ersten Schlachten gewonnen und dich darin mehr als würdig erwiesen. Doch du wirst schon bald lernen, dass nicht alles auf dieser Welt schwarz oder weiß ist.“
Cairne lehnte sich in seinem Stuhl zurück, scheinbar besänftigt, doch Thrall konnte deutlich sehen, dass Garrosh vor Wut kochte. Immerhin, dachte Thrall, hört er zu und schweigt.
„Varian Wrynns Haltung unserem Volk gegenüber wird immer kritischer.“ Thrall fügte nicht hinzu wegen dir, weil er wusste, dass Garrosh diese unausgesprochenen Worte sehr wohl heraushören würde. „Jaina Prachtmeer ist seine Freundin und ist uns freundlich gesinnt.“
„Sie zählt noch immer zum Abschaum der Allianz!“
„Sie gehört noch zur Allianz, das stimmt“, sagte Thrall. Seine Stimme wurde tiefer und lauter. „Doch wer mit mir gedient hat oder wer sich jemals die Mühe gemacht hat, eine historische Schriftrolle zu lesen, weiß, dass sie ein Mensch von großer Integrität und Weisheit ist. Glaubst du, dass Cairne Bluthuf nicht loyal ist?“
Garrosh schien durch den plötzlichen Themenwechsel aus der Fassung gebracht worden zu sein. Sein Blick schoss zu Cairne, der sich aufsetzte und laut schnaubte.
„Ich... natürlich nicht. Niemand in diesem Raum stellt seine Hingabe und die Treue zur Horde in Frage.“ Garrosh sprach vorsichtig. Er suchte die Falle. Thrall nickte. Garroshs Worte schienen der Wahrheit zu entsprechen.
„Das wäre auch reichlich dumm. Jainas Loyalität zur Allianz schließt nicht aus, dass sie all denen Frieden und Wohlstand sichert, die in Azeroth leben. Und das gilt auch für Cairnes Loyalität für die Horde. Sein Vorschlag klingt vernünftig. Wenn wir so verfahren, kostet uns das wenig, aber wir können viel gewinnen. Wenn die Nachtelfen offenen Verhandlungen zustimmen, schön und gut. Wenn nicht, müssen wir andere Wege suchen.“
Cairne blickte hinüber zu Hamuul Runentotem, der nickte und sagte: „Danke, Kriegshäuptling. Es ist meine tiefste Überzeugung, dass dies der richtige Weg ist, um sowohl die Erdenmutter zu ehren, die so erschüttert ist, als auch gleichzeitig das zu bekommen, was die Horde braucht, um sich von diesem schrecklichen Krieg zu erholen.“
„Wie immer, mein Freund, danke ich Euch für Euren Dienst.“ Thrall wandte sich an Garrosh. „Garrosh, du bist der Sohn von jemandem, der mir sehr teuer ist. Ich habe gehört, dass du der Held von Nordend genannt wirst. Das scheint mir ein passender Titel zu sein. Aber wie ich selbst erfahren musste, fällt es einem Kämpfer nach dem Krieg oft schwer herauszufinden, wo sein Platz ist. Ich, Thrall, Sohn von Durotan und Draka, verspreche dir, dass ich eine passende Position für dich finden werde, in der du deine Fähigkeiten und Kenntnisse zum Nutzen der Horde einbringen kannst.“
Er meinte das genau so, wie er es sagte. Thrall bewunderte Garrosh für seinen Einsatz in Nordend. Doch Garroshs Talente waren begrenzt, und Thrall brauchte Zeit, um darüber nachzudenken, wo er Garrosh am besten einsetzen konnte.
Offensichtlich verstand Garrosh Thralls Absichten nicht. Seine Augen verengten sich, und er knurrte leise.
„Wie der Kriegshäuptling es wünscht. Mit deiner Erlaubnis, großer Thrall, empfinde ich die Luft im Saal als ein wenig zu stickig.“
Ohne abzuwarten, erhob sich Garrosh, nickte Thrall gerade höflich genug zu, um den Regeln des Anstands zu entsprechen, und verließ den Saal.
„Der Junge ist ein Kodo, der sein Zaumzeug nicht mag“, murmelte Cairne.
Thrall seufzte. „Aber er ist zu wertvoll, als dass wir ihn verlieren dürfen.“ Er hob den Arm, räusperte sich und verkündete: „Die Luft ist wirklich stickig. Bringt mehr Flüssigkeit, um die trockenen Kehlen zu befeuchten!“
Jubel brandete auf, und die Menge war für den Moment abgelenkt. Thrall dachte über Cairnes und seine eigenen Worte nach und fragte sich, wie um alles in der Welt er einen wilden Kodo zähmen könnte, ohne ihn zu brechen.
Garroshs Rolle in der Horde stand nicht ganz oben auf Thralls Prioritätenliste, obwohl sie von einiger Bedeutung war. Es war das Wohl seines Volkes, die Horde als Ganzes und das Unglück der Elemente, was ihn am meisten beschäftigte. Sein Volk verlangte nach mehr Holz, um Häuser zu bauen, doch die ganze Welt schien beunruhigt.
Er hatte Durotar aus genau den Gründen ausgewählt, die er genannt hatte: weil es seinem Volk ermöglichte, für den Schaden zu büßen, den es angerichtet hatte, und weil dieses Land sie härter und stärker gemacht hatte. Doch er hatte nie erlebt, dass so viele Flüsse ausgetrocknet waren und so viele Bäume von einem Krieg verschlungen wurden, der, obwohl dringend notwendig, extrem zerstörerisch gewesen war.
Nein, dachte Thrall, als er an seinem Bierkrug nippte. Das Zähmen eines einzelnen rebellischen Kodos war derzeit das geringste seiner Probleme.
5
Dankbar atmete Garrosh die frische Nachtluft ein. Es war selbst nach Einbruch der Dämmerung noch trocken und warm, ganz anders als die kalte, feuchte Luft von Nordend. Doch dies hier war jetzt seine Heimat, nicht die Boreanische Tundra, nicht Nagrand in Draenor. Dieses ausgedörrte, ungastliche Land – die Stadt, die nach Orgrim Schicksalshammer benannt war, das Land nach Durotan, Thralls Vater. Er dachte einen Moment darüber nach und schnaubte vor Wut. Das Einzige, was seinen Namen trug, war ein kleines Stück der Küste, das ständig von falschen Geistern angegriffen wurde.
Er blieb unter dem Schädel und der Rüstung von Mannoroth stehen und spürte, wie sein aufgewühlter Geist sich etwas beruhigte. Als er sich ansah, was sein Vater erreicht hatte, empfand er großen Stolz. Es war gut, dass er gelernt hatte, stolz auf seine Herkunft zu sein. Doch er wollte seinen eigenen Weg gehen und nicht im Kielwasser der Taten seines Vaters schwimmen. Blutschrei, die Axt, die ihm jetzt gehörte, war auf seinen Rücken gebunden. Er griff danach und hielt die Waffe hoch, die den großen Feind seines Volkes getötet hatte. Seine braunen Hände schlossen sich fest um den Schaft.
„Euer Vater war genau das, was die Horde brauchte, als sie es brauchte“, erklang eine raue, tiefe weibliche Stimme hinter ihm. Garrosh wandte sich um und sah eine alte Taurenfrau. Er brauchte einen Moment, um sie zu erkennen, denn in der Dunkelheit waren nur das Glitzern des Sternenlichts auf ihren aufmerksamen Augen und die vier Streifen auf ihrem Maul sofort sichtbar. Als sich seine Augen den Lichtverhältnissen angepasst hatten, konnte er erkennen, dass sie wie eine Schamanin gekleidet war.