„Danke, ahm...?“ Er wartete darauf, dass sie sich ihm vorstellte. Sie lächelte.
„Ich bin die Ältestengreisin Magatha vom Grimmtotemstamm“, sagte sie.
Grimmtotem. Er hatte den Namen bereits einmal gehört. „Interessant, dass Ihr davon sprecht, was die Horde braucht, wo doch Euer Stamm der einzige Taurenstamm ist, der sich weigerte, der Horde offiziell beizutreten.“
Sie lachte leise. Ihre raue Stimme klang merkwürdig melodisch. „Die Grimmtotems tun, was sie wollen und wie sie es wollen. Vielleicht sind wir nicht der Horde beigetreten, weil wir keinen ausreichenden Grund dazu hatten.“
Garrosh nahm Anstoß an ihrer Bemerkung. „Was? Das reichte nicht aus?“ Er richtete seinen braunen kräftigen Finger auf den Schädel und die Rüstung des Grubenlords. „Unser Krieg gegen die Brennende Legion reichte nicht aus? Die Kriegshymnenoffensive war nicht genug, um die mächtigen Grimmtotems zu befriedigen?“
Gelassen beobachtete sie ihn. Sie schien von seinem Wortschwall nicht beeindruckt zu sein. „Nein“, sagte sie leise. „Es gefiel mir nicht. Doch die Geschichten darüber, was Ihr in Nordend getan habt... nun, das sind wirklich die Taten eines Helden. Wir Grimmtotems beobachten und warten. Wir erkennen Stärke, List und Ehre, wenn wir sie sehen. Es könnte sein, dass Ihr, Garrosh Höllschrei, wie Euer Vater genau das seid, was die Horde braucht. Wenn die Horde das herausgefunden hat, glaube ich, könnt Ihr Euch auf die Unterstützung der Grimmtotems verlassen.“
Garrosh war sich nicht sicher, worüber sie sprach, aber eine Sache war klar. Ihr gefiel, was er in der Feste gesagt hatte. Das konnte bedeuten, dass sie begrüßte, wie er die Dinge handhaben wollte. Das war möglich. Vielleicht würde endlich jemand anfangen, hier etwas zu tun.
„Habt Dank, Ältestengreisin. Ich nehme Eure Worte dankend an und hoffe, dass ich schon bald mehr als nur Worte der Unterstützung wert bin.“
Er dachte bereits darüber nach, den friedliebenden Thrall zu umgehen und dem mürrischen alten Cairne und der Horde zu geben, was sie brauchten. Der Trick war, dabei gewisse Grenzen nicht zu überschreiten.
Es war nicht die Zeit, um vorsichtig zu sein. Jetzt musste man mutig handeln. Das würden sie verstehen, wenn er Ergebnisse präsentierte.
Cairne und sein Gefolge waren früh auf den Beinen und bereits vor dem Morgengrauen reisefertig. Und das, obwohl die Feier bis in die ersten Morgenstunden gedauert hatte und er, als Ehrengast, bis zum Ende des Festes hatte ausharren müssen. Er wollte endlich nach Hause zurückkehren. Die Truppen, die er nach Nordend entsandt hatte, als Thrall zu den Waffen gerufen hatte, waren wilde Kämpfer und hatten sich gut geschlagen. Doch auch sie waren des Blutvergießens und der endlosen Strapazen müde. Einst ein nomadisches Volk, besaßen die Tauren jetzt eine Heimat, Mulgore, und sie war ihnen lieb und teuer. Heute begannen sie den letzten Teil der Reise zu den sanften Hügeln, stolzen Kuppen und ihren Lieben, die sie hatten zurücklassen müssen.
Sie hatten beschlossen, ihren Weg zu Fuß fortzusetzen, um noch ein wenig länger beisammenbleiben zu können, und empfanden das keineswegs als Mühsal. Als der Morgen anbrach und die anderen Hordekämpfer entweder noch ihren Rausch ausschliefen oder sich wegen ihrer Kopfschmerzen vor die Köpfe schlugen, hatten die Tauren Durotar bereits verlassen und marschierten in Richtung des Brachlands. Cairne schickte Perith Sturmhuf voraus, um Baine über ihr Kommen in Kenntnis zu setzen. Perith war einer der wenigen ausgewählten Kundschafter, die Weitläufer genannt wurden. Sie unterstanden allein Cairnes Kommando, und er vertraute ihnen die wichtigsten Informationen an. Nicht einmal Thrall verfügte über das Wissen, das Cairne mit den Weitläufern teilte. Dies war zwar kein wichtiger Auftrag, von dem Leben abhingen, doch Periths Augen leuchteten glücklich auf, als Cairne ihm diese besondere Aufgabe anvertraute. Er lief mit seiner üblichen Leichtigkeit voraus.
Der späte Nachmittag badete die Ebene von Mulgore in ein goldenenes Licht. Perith traf wieder auf Cairnes Gruppe, als sie sich der Abzweigung von Camp Narache und dem Dorf der Bluthufe näherte. Er ging neben Cairne her, während sie gemächlich nach Hause marschierten.
„Ich habe Baine informiert, wie Ihr befohlen habt“, sagte Perith. „Er versicherte, dass alles bereit sein wird.“
„Gut“, sagte Cairne. „Die Bewohner der Dörfer sollen wissen, dass bald viele Reisende einkehren werden. Ich will keinen meiner Leute hungrig sehen.“
„Ich glaube, Ihr werdet das, was Baine geplant hat... akzeptabel finden.“
Neugierig blickte Cairne seinen Boten an. In diesem Moment erklangen mehrere Hörner, und einige Kodos trampelten auf sie zu. Cairnes schwächer werdende Augen konnten nicht erkennen, wer auf den großen Tieren saß, doch seine Ohren konnten das Jubeln der anderen hören. Die Tauren sprangen von den Kodos, riefen, lachten, warfen Blumen und Kräuterbündel auf die ankommenden Helden.
„Willkommen daheim, Vater“, sagte Baine Bluthuf. Cairne wandte sich dem Klang der vertrauten Stimme zu, blinzelte und lächelte, als er den Umriss seines Sohns erkannte, der auf einem der großen Kodos saß.
Tränen brannten einen Moment lang in den Augen des alten Bullen. So sollte man zu Hause willkommen geheißen werden! Mit den glücklichen Rufen der Kinder und Familienangehörigen, mit dem Segen der natürlichen Welt. Einfacher, besser... auf Taurenart eben.
„Gut gemacht, mein Sohn“, sagte Cairne und schaffte es nur mit Mühe, seine Gefühle aus seiner Stimme herauszuhalten. „Gut gemacht!“
Baine, der so ruhig und beständig wie sein Vater war, strahlte vor Freude über Cairnes Rückkehr. Er sprang leichtfüßig von seinem Kodo herunter und kam auf seinen Vater zu. Sie ergriffen einander bei den Händen, gingen nebeneinander her und lösten sich ein wenig von der Gruppe der anderen, die ebenfalls von ihren Familien fröhlich empfangen wurden.
„Da sind noch mehr“, sagte Baine und beobachtete mit einem Lächeln, wie mehrere der Krieger die Straße nach Südwesten nahmen. Diese Glücklichen hatten ihr Heim bereits erreicht. „Auf der Straße zu unserem Haus warten noch andere, die dich willkommen heißen wollen.“
„Ich bin gerührt“, sagte Cairne. „Geht es allen gut?“
„Es wird ihnen noch besser gehen, wenn die Veteranen des Krieges zu Hause sind“, sagte Baine. „Wie war die Feier in Orgrimmar?“
„Sie war wie erwartet“, antwortete Cairne. „Es war sehr orcisch. Viele Waffen, viel Feiern, viel Brüllen. Unsere Leute wurden nicht schlecht behandelt.“
Baine nickte. „Das würde Thrall auch nie tun.“
Cairne reckte den Hals über seine Schulter und schwieg einen Moment. Dann fuhr er mit gesenkter Stimme fort: „Das würde er wirklich nicht. Dafür ist er zu weise und zu großherzig. Ich habe einen Auftrag erhalten, den nur wir durchführen können.“
Er berichtete seinem Sohn leise von Hamuuls Vorschlag. Baine hörte aufmerksam zu, und seine Ohren zuckten mehrmals.
„Das ist gut“, sagte er. „Ich bin selbst Krieger, aber ich sage dir, Vater, unser Volk hat genug vom Kämpfen. Wenn Hamuul glaubt, dass diese Gespräche helfen können, dann bin ich dabei, Vater. Ich unterstütze dieses Vorhaben, soweit es in meiner Macht steht.“
Nicht zum ersten Mal war Cairne dankbar, dass die Erdenmutter und seine Lebensgefährtin Tamaala ihm einen solchen Sohn geschenkt hatten. Obwohl Tamaala bereits vor vielen Jahren mit den Geistern gezogen war, lebte sie in ihrem Sohn weiter. Baine war ein großer Trost für seinen Vater. Er hatte die Spiritualität seiner Mutter, eine schnelle Auffassungsgabe, ein großes Herz, die Ruhe seines Vaters und – das musste Cairne eingestehen – eine gehörige Portion Sturheit. Der Taure musste nicht lange überlegen, ob er Mulgore in den fähigen Händen seines Sohnes lassen sollte. Er fragte sich, wie Thrall ein Leben ohne Gefährtin und ohne Nachkommen ertrug. Selbst Grom hatte einen Sohn. Vielleicht würde Thrall, jetzt, da der Krieg vorbei war, seine Gedanken auf solche Dinge wie eine Gefährtin und einen Erben richten.