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„Nein, das habe ich nicht. Aber ich mache denselben Fehler nicht noch einmal, du jedoch schon. Sag mir eines, Jaina: Wenn du gewusst hättest, was aus Arthas werden würde ... hättest du versucht, ihn aufzuhalten? Hättest du den Mut gehabt, deinen Geliebten zu töten, oder hättest du um des lieben Friedens willen zugesehen wie eine jammernde friedliebende kleine Frau, die...“

„Vater!“

Das Wort, von einer hohen Jungenstimme gesprochen, knallte wie eine Peitsche durch den Raum. Varian wirbelte herum.

Anduin stand in der Tür. Seine blauen Augen waren weit aufgerissen, und sein Gesicht war bar jeder Farbe. Mehr noch als der Ausdruck des Schocks lag etwas anderes auf seinem Gesicht. Es war bittere Enttäuschung. Vor Jainas Augen änderte sich Varian schlagartig. Fort war die kalte rasende Wut von Lo’Gosh. Auch seine Haltung änderte sich. Er war wieder Varian.

„Anduin...“ Varians Stimme war fest, jedoch waren die Sorge um seinen Sohn und ein leichtes Bedauern herauszuhören.

„Rette die Situation“, sagte Anduin empört. „Du bleibst hier drin und... tust, was immer du auch hier tust. Ich gehe wieder nach draußen und werde durch meine Anwesenheit unser Volk wissen lassen, dass es jemandem wichtig ist, was es verloren hat. Selbst wenn es nur ein jammernder kleiner Pazifist ist.“

Er machte auf dem Absatz kehrt und umfasste einen Augenblick lang den Türrahmen. Jaina beobachtete, wie sein Rücken sich straffte, wie er sich durchs Haar fuhr, sich zusammenriss und das würdevolle Gesicht so aufsetzte, wie er eine Krone aufgesetzt hätte. Er war so rasch erwachsen geworden. Die beiden Wächterinnen schauten einander kurz an. Varian stand einen Moment lang da und blickte stumm dorthin, wo sein Sohn noch kurz zuvor gestanden hatte. Er seufzte laut.

„Jaina, warum gehst du nicht auch zurück?“ Er lächelte verhalten. „Keine Angst. Die Wächterinnen und ich werden in aller Ruhe besprechen, was getan werden muss.“

Jaina nickte. „Hast du danach einen Augenblick Zeit für mich?“

„Natürlich.“ Er wandte sich wieder an die beiden Elfen. „So, was meintet Ihr, wann die Angriffe stattfanden?“

Die Besprechung wurde mit gedämpften Stimmen geführt. Jaina wandte sich um und verließ leise den Raum. Sie kehrte nicht zu derselben Kirchenbank zurück, auf der sie vorher gesessen hatte, sondern ging in den hinteren Bereich der Kathedrale, stand in den Schatten, beobachtete, hörte zu und tat das, was sie am besten konnte: nachdenken.

7

Eine Stunde später war die Messe vorbei. Jaina hatte eigentlich nicht mehr daran teilnehmen wollen, doch in ihrem Verlauf erkannte sie, dass sie hierbleiben musste, und zwar für zwei Leute. Einer der beiden war sie selbst. Nach der Hälfte der Predigt bemerkte sie, wie sie den Kopf neigte und Tränen ihre Wangen hinabliefen, als sie diejenigen betrauerte, die alles gegeben hatten, um gegen das Böse zu bestehen. Und sie betrauerte den jungen, ernsten Mann, der Arthas Menethil einst gewesen war. Durch die Tränen fand sie einen Frieden, den sie bis zu diesem Moment nicht gekannt hatte.

Und was das andere betraf...

Sie kehrte in den kleinen Raum zurück, in dem Varian die Wächterinnen empfangen hatte. Die Elfen waren fort, doch der König von Sturmwind saß an einem kleinen Tisch und hatte den Kopf in die Hände gestützt. Er blickte auf, als sie eintrat, obwohl sie die Tür so leise wie möglich geöffnet hatte. Varian warf ihr ein müdes Lächeln zu.

„Es tut mir leid, dass ich vorhin die Kontrolle verloren habe.“

„Das sollte es dir auch.“

Er nickte und erkannte die Wahrheit in ihrer Bemerkung. „Das tut es. Was ich gesagt habe, war unangemessen und falsch.“

Jaina wurde ein wenig zugänglicher. „Ich nehme deine Entschuldigung an. Aber ich bin nicht die Einzige, die eine Entschuldigung verdient.“

Varian verzog das Gesicht, nickte jedoch zustimmend. „Ich wünschte, er hätte das nicht gesehen, aber nun ist es leider geschehen.“

Sie setzte sich in den Stuhl ihm gegenüber, bereit, ihm zuzuhören. „Erzähl mir, was du beschlossen hast.“

Varian hatte dem Vorschlag zugestimmt, mehrere Alchemisten ins Eschental zu entsenden, um mit den Nachtelfen sowohl den Ort des Gemetzels als auch das gefundene Blut und die Kleidungsreste zu untersuchen. Ein unbewaffneter Sendbote, der zweifellos vor Angst schlotterte, würde zu Thrall geschickt werden, um die unmissverständliche Forderung nach einer Untersuchung der Vorgänge im Eschental zu überbringen.

„Das ist... sehr maßvoll von dir“, merkte Jaina an.

„Meine Handlungen sollten darauf beruhen, was ich weiß, und nicht darauf, was ich vermute. Sollte sich jedoch herausstellen, dass Thrall hinter dieser Gräueltat steckt, dann sei versichert, dass ich gegen Orgrimmar ziehen werde und mir seinen Kopf hole. Es ist mir egal, ob ich dazu berechtigt bin oder nicht. Ich werde es tun.“

„Wenn er das tatsächlich sein sollte, gehe ich mit dir“, sagte Jaina. Sie war sich sicher, dass Thrall über den Angriff genauso schockiert und erschreckt sein würde wie Varian und sie. Auch wenn er nicht Varians Freund war, so war er doch immer ein ehrenhafter Feind gewesen. Thrall hätte niemals eine Verletzung des Abkommens angeordnet, ganz zu schweigen von einem solch grausamen Überfall.

„Ich wollte mit dir über Anduin sprechen“, sagte sie und wechselte das Thema.

Varian nickte. „Anduin ist der geborene Diplomat. Er versteht die Notwendigkeit, in den Krieg nach Nordend zu ziehen. Aber er sehnte sich noch immer nach Frieden. Und ich scheine nicht in der Lage zu sein, mein Verlangen nach Krieg zu unterdrücken. Die Dinge waren gut, als ich zurückkam, aber...“

„Nun, er ist noch jung“, sagte Jaina leichthin.

„Er hat Bolvars Tod nur schwer ertragen. Sehr schwer.“

Bei dem Namen bewegte sich Jaina unruhig.

„Ich habe erkannt, wie nah sich die beiden gekommen waren, während ich fort war. Bolvar war wie ein Vater für Anduin.“

„Weiß... er es?“, fragte Jaina leise.

Varian schüttelte den Kopf. „Und ich hoffe, dass er das niemals erfahren wird.“

Nach dem Sieg über den Lichkönig war eine schreckliche Neuigkeit enthüllt worden, nämlich die Tatsache, dass es immer einen Lichkönig geben musste, da die Geißel ansonsten zügellos durch die Welt tobte. Jemand musste den Helm tragen, der nächste Lichkönig werden, sonst wäre alles, wofür sie gekämpft hatten, umsonst gewesen. Bolvar, der durch das Feuer des Drachen, das sein Leben gerettet hatte, so schrecklich entstellt war, dass er wie ein Mensch aus lebender Asche aussah, hatte darauf bestanden, diese fürchterliche Aufgabe zu übernehmen. Er trug nun die Krone des Lichkönigs, saß auf dem Dach der Welt und war für immer ein Gefangener der Untoten. Selbst jetzt, in diesem Moment, füllten sich Jainas Augen mit Tränen bei dem Gedanken an ihn.

„Anduin hatte eine schwere Zeit deswegen“, sagte Jaina mit rauer Stimme. Sie räusperte sich und fuhr fort: „Doch Bolvar war nicht sein Vater. Das bist du, und ich weiß, dass er froh ist, dass du zurückgekehrt bist, aber...“

„Aber er will seinen Vater zurück, nicht Lo’Gosh. Das ist völlig verständlich. Jaina... manchmal weiß ich nicht, wo der eine anfängt und der andere aufhört. Ich... mag es nicht, den Jungen um mich zu haben... dass er bei mir lebt, während ich versuche, das herauszufinden.“

„Ich habe dasselbe gedacht. Und ich habe eine Idee...“

Als sie die Kathedrale verließ, zog Jaina ihre Kapuze über den Kopf. Es regnete noch immer, ja, der Regen war sogar noch stärker geworden. Doch das störte sie nicht. Sie lebte in Theramore und war feuchtes Wetter gewohnt.

Weil sie nach Sturmwind teleportiert worden war, hatte sie kein Pferd. Aus diesem Grund ging sie schnellen Schrittes durch die nassen Straßen auf die Burg Sturmwind zu. Es war kein langer Weg, doch sie trat in einige Pfützen, und als sie an der Burg ankam, war sie völlig durchnässt und zitterte vor Kälte.