„Zustimmung?“ Jainas Augen weiteten sich. „Ich kenne die blutrünstige Natur der Horde ein wenig, aber ich muss gestehen, dass ich ihr so etwas nicht zugetraut hätte. Ich hatte gedacht, du...“
„Ich habe getan, was ich für das Beste hielt“, sagte Thrall und fügte dann leise hinzu, „obwohl ich das manchmal durchaus in Frage stelle.“ Lauter fuhr er fort: „Wir haben eine gewalttätige Geschichte, Jaina. Und je mehr uns das Schicksal abverlangt, um uns am Leben zu erhalten, desto mehr geht uns das an die Substanz.“
„Hast du Varians Boten empfangen?“
Die Falten auf Thralls Gesicht vertieften sich. „Das habe ich.“ Sie wussten beide, was in Varians Brief gestanden hatte. Varian hatte die Botschaft sehr höflich gehalten – zumindest für seine Verhältnisse – und verlangt, dass Thrall eine förmliche Entschuldigung aussprach, das Abkommen neu bestätigte, die gewalttätigen Handlungen verurteilte und die Verantwortlichen der Justiz der Allianz übergab. Sollte Thrall diese Forderungen erfüllen, wollte Varian über die „himmelschreiende Verletzung des Abkommens, das den Frieden und die Zusammenarbeit zwischen unseren Völkern fördern soll“ hinwegsehen.
„Was willst du tun? Weißt du, wer es getan hat?“
„Ich habe keinen Beweis, aber einen Verdacht. Ich kann diese Tat nicht gutheißen.“
„Nein, natürlich kannst du das nicht“, sagte Jaina und blickte ihn unsicher an. „Thrall, was ist los?“
Er seufzte. „Ich kann sie nicht billigen“, wiederholte er, „aber ich werde nicht tun, was Varian verlangt.“
Den Mund vor Schreck leicht geöffnet, starrte sie ihn einen Augenblick lang an. „Was meinst du damit? Varian glaubt, dass du absichtlich das Abkommen verletzt hast. Seine Forderung ist nicht unvernünftig, und wenn du so reagierst, lieferst du ihm einen Grund, die Situation eskalieren zu lassen. Das könnte schon bald zu einem Krieg führen!“
Thrall streckte seine große grüne Hand aus. „Bitte hör mich an. Ich werde Varian einen Brief schreiben, in dem ich ihm mitteile, dass ich den Überfall nicht genehmigt oder gar befohlen habe. Ich übernehme jedoch dafür die Verantwortung. Natürlich will ich keinen Krieg, aber ich kann mich nicht für die Gewalttat entschuldigen, noch werde ich die Verdächtigen der Allianz übergeben. Sie gehören der Horde an und werden von ihr gerichtet. Sie Varian zu überlassen wäre... nein. Das wäre Verrat am Vertrauen meines Volkes. Und mal ehrlich: Es wäre einfach falsch. Varian würde eine solche Forderung von mir auch nie erfüllen, noch sollte er es.“
„Thrall, wenn du den Befehl nicht gegeben hast, dann bist du nicht verantwortlich, und...“
„Ich bin verantwortlich, denn ich führe mein Volk. Es ist eine Sache, mein Volk dafür zu rügen, das Gesetz gebrochen zu haben. Es ist jedoch eine ganz andere Sache, wenn der Eindruck entsteht, ich würde das Selbstwertgefühl meiner Leute angreifen, ihre ureigenste Identität. Du verstehst nicht, wie die Horde denkt, Jaina“, sagte Thrall ruhig. „Wenn ich meiner außergewöhnlichen Jugend etwas verdanke, dann ist es die Fähigkeit, die Dinge von beiden Seiten betrachten zu können. Mein Volk hungert, es dürstet nach sauberem Wasser, es braucht Holz für den Bau von Häusern. Meine Leute glauben, dass ihnen Unrecht angetan wurde, als die Nachtelfen den Handel mit uns eingestellt haben. Sie sehen den Unwillen, unsere grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen, als einen brutalen Akt an, und irgendwo hat sich irgendjemand entschlossen, es ihnen mit gleicher Münze heimzuzahlen.“
„Nachtelfen abzuschlachten und ihnen die Haut abzuziehen als Rache für eine Handelsblockade – bezeichnest du das als mit gleicher Münze heimzahlen!“ Jainas Stimme wurde lauter.
„Handelsblockaden sind dafür verantwortlich, dass Kinder verhungern, dass sie den Elementen ausgesetzt sind und krank werden. Diese Logik ist mir nur zu verständlich, und das gilt auch für andere. Wenn ich diesen Angriff öffentlich verurteile, nachdem er uns erfolgreich mit den Gütern versorgt hat, die wir so verzweifelt brauchen, wäre das, als würde ich das Bedürfnis nach diesen Waren selbst verdammen. Ich würde schwach wirken, und glaub mir, es gibt genügend Kräfte bei uns, die aus einem solchen Moment der Schwäche ihren Vorteil zu ziehen wissen. Es ist ein tückischer Weg, den ich gehe, meine Freundin. Ich muss mein Volk tadeln – jedoch nur bis zu einem gewissen Punkt. Für die Verletzung des Abkommens werde ich mich entschuldigen, jedoch nicht für den Diebstahl. Und auch nicht für den Mord oder die Art, wie die Täter vorgegangen sind.“
„Ich bin... enttäuscht, dass du diesen Weg wählst, Thrall“, sagte Jaina ehrlich.
„Deine Meinung ist mir wichtig. Das ist sie immer. Dennoch werde ich nicht vor Varian kriechen oder das verzweifelte Verlangen meines Volkes nach diesen Gütern herunterspielen.“
Jaina schwieg eine kurze Zeit lang. Sie hatte die Arme fest um ihre Brust geschlungen und blickte zu Boden. „Ich glaube, ich verstehe“, sagte sie schließlich. Die Worte kamen ihr nur langsam über die Lippen und klangen bitter. „Licht, wie ich es hasse, das zu sagen. Aber eine Sache, die du verstehen musst, ist, wie sehr der Zwischenfall an der Pforte des Zorns der Beziehung zur Allianz geschadet hat. Wir haben allein dort beinahe fünftausend Männer und Frauen verloren, Thrall. Besonders der Tod von Hochlord Bolvar Fordragon wurde von sehr vielen Menschen persönlich genommen.“
„Das Gleiche gilt für den Tod von Saurfang, dem Jüngeren“, entgegnete Thrall. „Der beste und klügste Vertreter der Horde wurde im Zenit seines Leben niedergemetzelt und dann wiederbelebt als... Denk nicht, dass die Horde in diesem Konflikt keine Verluste erlitten hätte.“
„Oh, das tue ich keineswegs. Aber... es ist schwer zu ertragen. Und das besonders, da so viele unserer Toten auf das Konto der Horde gehen. Das war nicht die Geißel.“
„Putress gehörte nicht zur Horde!“, knurrte Thrall.
„Diesen Unterschied machen nicht viele. Und selbst jetzt noch bestehen Zweifel daran, und das weißt du.“
Thrall nickte und knurrte leise. Jaina wusste, dass Thralls Wut nicht ihr galt, sondern Putress und den anderen, die hinter diesem Angriff gesteckt hatten, denjenigen, die der Horde Treue gelobt hatten und hinter ihrem Rücken Ränke schmiedeten.
„Zuerst dies und jetzt das. Es wird schwer für die Führung der Allianz, dir zu trauen“, fuhr Jaina fort. „Nicht wenige Leute, darunter auch Varian, sind der Meinung, dass du nicht genug unternimmst, um den Vorfall aufzuklären. Ein öffentlicher Tadel aller Aspekte dieses Überfalls würde für lange Zeit das Bild, das die Allianz von dir und der Horde hat, verbessern. Und seien wir ehrlich: Es war keine unbedeutende Rauferei. Es war ein schreckliches Gemetzel.“
„Das stimmt. Doch wenn ich die mutmaßlichen Täter der Allianzjustiz übergebe, wäre dies ein Schock, von dem sich meine Leute nie wieder erholen. Es würde sie beschämen, und deshalb werde ich das nicht tun. Sie würden mich absetzen, und das völlig zu Recht.“
Jaina betrachtete ihn ruhig. „Thrall, ich glaube nicht, dass du dir des Ernstes der Lage bewusst bist. Es ist keine gute Idee, etwas, das du ablehnst, aus taktischen Gründen gutzuheißen, denn es wird der Horde letztlich nur Krieg bringen. Und Varian...“
„Varian ist ein Hitzkopf“, zischte Thrall.
„So wie Garrosh.“
Thrall lachte plötzlich. „Die beiden sind sich ähnlicher, als ihnen klar ist.“
„Und genau das könnte dazu führen, dass noch mehr Leute getötet werden. Das ist viel zu früh nach dem Feldzug in Nordend.“
„Du weißt, dass ich keinen Krieg möchte“, sagte Thrall. „Ich versuche, mein Volk vor sinnlosen Konflikten zu bewahren. Aber um ehrlich zu sein, und nach allem, was du gesagt hast, habe ich nicht den Eindruck, dass Varian geneigt ist, mir zuzuhören. Er würde mir nicht glauben, selbst wenn ich den Angriff öffentlich verurteilen würde. Oder doch?“