„Ich bin froh, dass du die Möglichkeit nutzt, Jaina zu besuchen“, sagte Varian und wischte seinen mittlerweile leeren Suppenteller mit ein wenig Brot aus. Dann nickte er den Dienern zu, die sich sofort daranmachten, das Geschirr und das benutzte Besteck abzuräumen. „Ich glaube, das ist eine wirklich gute Idee.“
Anduin blickte zu ihm auf. Varian erkannte schmerzlich berührt, dass der Gesichtsausdruck seines Sohnes vorsichtig, ja beinahe misstrauisch war. „Aber?“, fragte Anduin offen.
Varian lächelte. „Aber“, wiederholte er und betonte das Wort absichtlich, „ich glaube, es wäre ebenfalls eine gute Idee, wenn du auch ein wenig Zeit woanders verbringen würdest, und zwar mit anderen Leuten als Jaina und mir.“
Der misstrauische Gesichtsausdruck Anduins verwandelte sich in Neugier. „Was meinst du?“
„Ich denke an Magni Bronzebart“, sagte Varian. „Du magst ihn doch, oder?“
Anduin schien erleichtert. „Sehr sogar. Ich mag die Zwerge und bewundere ihren Mut und ihre Verlässlichkeit.“
„Gut! Würdest du gern eine Zeit lang bei ihm in Eisenschmiede bleiben? Du warst noch nie länger dort, und ich glaube, es wäre gut, wenn du das tust. Die Zwerge – mit Ausnahme der Dunkeleisenzwerge natürlich – stehen in enger Verbindung zu uns. Magni mag dich, und ich bin mir sicher, er kann dir alles Mögliche beibringen. Außerdem wärst du nicht allzu weit entfernt, für den Fall, dass du deinen einsamen alten Vater besuchen möchtest.“
Anduin grinste breit, und Varian fühlte sich nun deutlich besser. Das war eine wirklich gute Idee gewesen. „Die Tiefenbahn kann mich direkt nach Sturmwind zurückbringen“, meinte Anduin.
„Genau“, sagte Varian. „Also ist es beschlossene Sache?“
„Ja, das klingt nach einer Menge Spaß“, sagte Anduin. „Ich wollte etwas Zeit damit verbringen, mehr über die Forscherliga zu erfahren, und die Ausstellung ihrer wertvollsten Exponate ist in Eisenschmiede. Vielleicht kann ich sogar mit einigen der Mitglieder sprechen.“
Die Diener kamen mit dem zweiten Gang, geröstetes Wildbret in einer gehaltvollen Sauce. Anduin aß mit gesundem Appetit. Sein Hunger, der, wie es Varian schien, zwischenzeitlich ein wenig nachgelassen hatte, war offensichtlich zurückgekehrt.
Wenn der Junge einige Zeit mit der Forscherliga verbringen wollte, um etwas dazuzulernen, würde Varian ihn nicht aufhalten. Das war eine gute Beschäftigung für einen zukünftigen König. Er hatte jedoch bereits mit Magni gesprochen, und sie waren übereingekommen, Anduins Kampftraining ein wenig zu forcieren. Magni würde es verstehen, Anduin dafür zu begeistern. Varian selbst hatte unter der fachmännischen Führung des Zwergs gestanden und wusste, dass dieses Training seinem Sohn von Nutzen sein würde. Vielleicht würde es helfen, aus diesem vielversprechenden, aber feinfühligen Jungen einen Mann zu machen.
10
Thrall wurde durch den warnenden Klang der Hörner aufgeschreckt und erwachte. Sofort sprang er von seiner Schlafstatt auf. Der beißende Rauch verriet ihm die Natur des Notfalls, noch bevor er die Worte hörte, die Entsetzen und Schrecken in die Herzen der Bürger von Orgrimmar pflanzen würden.
„Feuer! Feuer!“
Als er gerade seine Kleidung überwarf, stürmten zwei Kor’krons in den Raum.
„Kriegshäuptling! Was sollen wir tun?“
„Bringt mir einen Wyvern! Alle Mann zum See nahe der Geisterhütte, außer den Schamanen! Weckt sie und bringt sie zum Ort des Feuers! Bildet eine Löschkette, um die nahe liegenden Gebäude zu schützen!“
„Ja, Kriegshäuptling!“ Einer der Kor’krons hielt Schritt mit Thrall, während der andere vorauslief, um die Befehle des Kriegshäuptlings weiterzugeben. Thrall hatte kaum die Burg verlassen, als ihm auch schon die Zügel des Wyvern in die Hand gedrückt wurden. Er sprang auf das große Tier und ließ es augenblicklich abheben.
Thrall hielt sich an dem Tier fest, als es beinahe senkrecht aufstieg. Von dort oben hatte er einen guten Überblick und sah sofort, wo das Feuer bereits außer Kontrolle geraten war. Er hatte befohlen, dass die meisten der Feuer, die für gewöhnlich Tag und Nacht in Orgrimmar brannten, wegen der extremen Dürre gelöscht wurden. Besser wäre es jedoch gewesen, jegliches Feuer zu verbieten.
Mehrere Gebäude hatten bereits Feuer gefangen. Thrall verzog das Gesicht, als ihm der Gestank verbrannten Fleisches in die Nase stieg. Wahrscheinlich wehte er vom Schlachthaus herüber. Drei Gebäude standen in hoch auflodernden Flammen, die die Nacht erleuchteten.
Im Lichtschein des Feuers konnte Thrall herumhuschende Gestalten erkennen. Die Schamanen versammelten sich wie befohlen an der Brandstelle, während andere die umliegenden Gebäude mit Wasser bespritzten, um ein Übergreifen der Flammen zu verhindern.
Er lenkte das Tier in Richtung des Feuers und tätschelte liebevoll seinen Hals. Der Wyvern musste den Rauch riechen und die Gefahr spüren, aber dennoch gehorchte er Thralls Befehlen und widersetzte sich nicht, als sein Herr ihn immer näher an das Zentrum des Feuers herantrieb. Der Rauch war dicht und schwarz und die Hitze so stark, dass Thrall sich einen Moment lang fragte, ob sie seine Kleidung entzünden oder das tapfere Tier versengen würde. Doch er war Schamane, und er war imstande, diesen Brand zu zähmen.
Er landete, sprang von dem Wyvern und entließ ihn wieder in die Luft. Die Echse hob augenblicklich wieder ab, froh, einige Entfernung zwischen sich und die Gefahr bringen zu können, nachdem er seinem Reiter brav gedient hatte. Die Gestalten wandten sich Thrall zu und bildeten eine Gasse, um ihren Kriegshäuptling hindurchzulassen. Nur die Schamanen rührten sich nicht. Sie standen bewegungslos, die Augen geschlossen, die Arme erhoben, und kommunizierten mit dem Feuer, so wie auch Thrall es nun tun würde.
Er trat zu ihnen, beruhigte sich und griff mit seinem Geist nach dieser einzelnen elementaren Flamme.
Bruder Feuer... Du kannst großen Schaden anrichten, aber auch den Lebenden viel Gutes tun, wenn du sie mit deiner Berührung erwählt hast. Du hast die Häuser der anderen als Brennmaterial benutzt. Dein Rauch brennt in unseren Augen und Lungen. Ich bitte dich, kehre zurück zu den Orten, wo wir dich dankbar beherbergen. Verletze keinen weiteren unserer Leute.
Das Feuer antwortete. Dieses Element war nur eines von vielen, die wütend und launisch handelten, wild und unkontrollierbar.
Nein, wir wollen nicht zurück in die Gefangenschaft der Lagerfeuer, Kohlenpfannen oder kleinen Feuerstellen. Wir mögen es, frei zu sein, und wollen über diesen Ort rasen und alles auf unserem Weg verschlingen.
Thrall spürte ein Flackern der Besorgnis. Niemals zuvor war eine Bitte, die direkt aus dem Herzen kam und von der Sorge um die Sicherheit anderer erfüllt war, so rundweg abgelehnt worden.
Er fragte erneut, legte mehr von seinem eigenen Willen in die Bitte und verdeutlichte den Schaden, den das Element seinem Volk antat – einem Volk, das dieses Element in seiner Stadt stets willkommen geheißen hatte.
Widerstrebend, unwillig wie ein mürrisches Kind begann das Feuer zu ersterben. Thrall spürte, wie seine Schamanen ihn dabei unterstützten, ihm ihre Konzentration liehen, sein Bitten förderten, und er war dankbar dafür.
Das Feuer verschlang mehrere Gebäude und umfangreichen persönlichen Besitz, bevor es schließlich nachließ. Glücklicherweise fand niemand den Tod, doch Thrall wusste, dass einige seiner Leute durch den Rauch Schaden davongetragen hatten. Er würde...
„Nein“, flüsterte er. Ein aufsässiger Funke trieb mit dem Wind und steuerte auf ein weiteres Gebäude zu. Thrall griff nach ihm, spürte seine zerstörerische Absicht, seine Weigerung, ihn zu respektieren.
Thralls Augen standen weit offen, beobachteten den Weg der kleinen Flamme. Wenn du auf diesem Weg weitergehst, kleiner Funke, wirst du großen Schaden anrichten.