Ich muss brennen! Ich muss leben!
Es gibt Orte, an denen du glühen kannst und deine Wärme willkommen ist. Finde sie, aber zerstöre nicht die Gebäude oder lösche das Leben meines Volkes aus!
Eine Sekunde lang schien der Funke zu verglimmen, doch dann brannte er wieder mit erneuerter Kraft.
Thrall wusste, was er zu tun hatte. Er hob die Hand. Vergib mir, Bruder Feuer, aber ich muss mein Volk vor dem Schaden bewahren, den du verursachen kannst. Ich habe gefragt, ich habe gebettelt, doch jetzt warne ich dich.
Der Funke schien zu zucken, setzte aber dennoch seinen tödlichen Weg fort.
Thrall verkrampfte seine Hände mit grimmigem Gesicht.
Der Funke brannte aufsässig weiter, bis er schließlich zu einem schwachen Leuchten glimmender Asche verging. Er würde keinen Schaden mehr anrichten.
Die Gefahr war gebannt, doch Thrall war aufgebracht. Auf diese Art durften die Schamanen nicht mit den Elementen sprechen. Ihr Verhältnis war stets von gegenseitigem Respekt geprägt gewesen, nicht von Drohungen, dem Wunsch nach Kontrolle und dem Willen zur Zerstörung. Natürlich konnte der Geist des Feuers niemals ausgelöscht werden, denn er war weitaus größer als alles, was ein Schamane oder eine Gruppe von Schamanen jemals hätte bändigen können. Der Geist des Feuers war ewig, wie all die Geister der Elemente. Doch ein Teil dieser elementaren Manifestation hatte sich aufsässig und unwillig gezeigt, und leider war dies kein Einzelfall, sondern Ausdruck einer beunruhigenden Entwicklung der Elemente, die plötzlich trotzig und rebellisch waren, anstatt zu kooperieren. Aus diesem Grund hatte Thrall sie vollständig seinem Willen unterwerfen müssen. Die anderen Schamanen riefen nun Regen herbei, um für den Fall Vorsorge zu treffen, dass ein weiterer abweichender Funke lebte und sich auf dem Weg der Zerstörung befand.
Thrall stand im prasselnden Regen. Der Orc ließ das Wasser über seine riesigen grünen Schultern laufen und von den Händen herabtropfen. Was im Namen der Ahnen geschah hier?
„Nun, natürlich schaffen wir das“, sagte Gazlowe. „Ich meine, wir sind Goblins, natürlich schaffen wir es. Versteht Ihr, was ich meine? Wir haben es ja auch beim ersten Mal geschafft. Ja, verehrter Kriegshäuptling, selbstverständlich können wir den zerstörten Teil von Orgrimmar wieder aufbauen. Macht Euch keine Sorgen deswegen.“
Zwei Kor’kron standen einige Schritte entfernt, ihre riesigen Äxte trugen sie auf dem Rücken. Mit verschränkten Armen beobachteten sie die Szene und wachten stumm über ihren Kriegshäuptling. Thrall redete mit dem Goblin, der gemeinsam mit anderen einige Jahre zuvor dabei geholfen hatte, Orgrimmar zu errichten. Er war schlauer, intelligenter, skrupelloser und weniger aufdringlich als viele andere Vertreter seines Volkes. Dennoch war er ein Goblin, und aus diesem Grund wartete Thrall auf den Haken an der Sache.
„Nun, das ist gut. Und wie teuer wird das werden?“
Der Goblin griff in einen kleinen Beutel, den er mitgebracht hatte, und holte einen Abakus hervor. Seine langen, flinken grünen Finger flogen über das Rechengerät, während er mit sich selbst sprach, „... nimm die Eins... berücksichtige die Kosten der Materialien zum Nachkriegstarif... plus die Arbeit...“
Nun nahm er ein Stück Kohle und einen Bogen Pergament aus seinem Beutel und schrieb eine Zahl nieder, die die grüne Haut des Orcs erbleichen ließ. „So viel?“, fragte Thrall ungläubig.
Gazlowe schaute unglücklich. „Nun gut... Ich sage Euch etwas: Ihr wart stets außerordentlich gut zu uns und zudem äußerst korrekt bei unseren Geschäften mit Euch. Wie wäre es mit...“
Er schrieb eine zweite Zahl auf den Pergamentbogen. Sie war nicht so hoch wie die erste, doch der Unterschied war nur gering. Thrall gab Etrigg den Bogen weiter, und dieser pfiff beeindruckt.
„Wir brauchen mehr Güter“, war alles, was Thrall sagte. Er stand auf und ging, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Die Kor’kron folgten ihm im Gleichschritt. Gazlowe blickte Thrall und seinen Beschützern stumm nach.
„Ich denke, das war ein Ja. Das war doch ein Ja, oder?“, fragte er Etrigg schließlich. Der Alte nickte, und seine Augen verengten sich. Durch die offen stehende Tür beobachtete er, wie Thralls Gestalt immer kleiner wurde, als der Kriegshäuptling die Feste Grommash verließ.
Obwohl Thrall in Orgrimmar sehr bekannt war, waren die Bewohner der Stadt doch höflich genug, ihrem Kriegshäuptling einen gewissen Freiraum zu lassen. Die Kor’kron, die ihn beschützten, trugen dazu nicht unwesentlich bei. Wenn Thrall die Stadt durchstreifen wollte, nun, dann war das seine Sache. Und so geschah es, dass Thrall die staubigen Straßen hinabschlenderte, die noch immer von Asche bedeckt waren, und die Luft atmete, die noch immer nach Rauch schmeckte. Er musste einfach ein wenig herumlaufen, sich bewegen, um nachdenken zu können. Seine Leibwächter kannten ihn gut genug, um ihn in Ruhe zu lassen.
Die Summe, die Gazlowe genannt hatte, war von einer astronomischen Höhe. Doch Orgrimmar war die Hauptstadt der Horde und musste wiederhergestellt werden. Unglücklicherweise verstärkte die Tragödie die Fragen, die Thrall während des Tages und auch während seiner Träume beschäftigten: Warum waren die Elemente so aufgewühlt, und wie konnte er die Horde nach dem Krieg am besten anführen?
Die Entscheidung, die er während des Gesprächs mit Etrigg getroffen hatte, war richtig. Thrall wusste mit Bestimmtheit, dass er in die Heimat seines Volkes reisen musste, nach Nagrand, wo das Erbe des Schamanismus schon so lange praktiziert wurde, dass seine Wurzeln sich in den grauen Vorzeiten verloren. Geyah war weise und ihr Geist noch immer klar. Sie und alle Nachfolger, die sie selbst ausgebildet hatte, würden die Antworten kennen, die er hier in Azeroth nicht finden konnte – die Antworten auf Fragen, von denen Thrall nicht einmal wusste, dass er sie stellen musste. Je mehr er darüber nachdachte, desto deutlicher wurde es, dass dies das Richtige war, das absolut Richtige. Die Schamanen der Scherbenwelt hatten gelernt, wie man eine auseinandergebrochene Welt retten konnte. Sie waren es, die den verstörten Elementen Azeroths helfen konnten.
Thrall wusste auch, dass er sich die Notwendigkeit der Reise nach Nagrand nicht einredete, um sich selbst zu beruhigen. Sein Volk litt großes Leid. Sogar das grüne Mulgore spürte bereits die Auswirkungen der Dürre, die sich zunehmend nach Westen ausbreitete. Das Feuer der vergangenen Nacht war der Beweis dafür, dass etwas geschehen musste. Das nächste Feuer würde vielleicht Orgrimmar oder Donnerfels verwüsten – oder der nächste Sturm Theramore und damit Jaina Prachtmeer von der Landkarte wischen. Er musste handeln, bevor alles Leben und jegliche Lebensgrundlage verloren waren.
So konnte er der Horde am besten dienen. Er wusste, dass er einzigartig war – ein Krieger und Schamane, der sowohl in der Welt der Menschen als auch bei den Orcs verwurzelt war. Kein anderer konnte das sein, was er war, und niemand sonst konnte tun, was er tat. Denn niemand sonst besaß die Erfahrung und die Fähigkeiten, über die er verfügte.
Doch die Horde durfte nicht handlungsunfähig sein, wenn er nicht an der Spitze stand. Eines Tages würde auch Thrall sterben, wie jeder andere mit den Ahnen gehen. Einen Moment lang gestattete er sich, die Dinge so zu sehen, wie Etrigg es tat. Er dachte über ein Kind und eine Gefährtin nach. Es musste eine tapfere und starke Frau sein, mit einem großen Herzen – eine Gefährtin, wie es Draka für seinen Vater, Durotan, gewesen war. Er hatte seine Eltern nicht kennengelernt, aber er hatte viele Geschichten über sie gehört. Sie hatten gut zusammengepasst, und ihre Herzen hatten wie eines geschlagen. Einander in inniger Liebe zugetan, hatten sie während der dunkelsten Tage Seite an Seite zusammengestanden und sogar ihre Leben gemeinsam hingegeben, um Thrall zu beschützen. Als er über die Straßen der Hauptstadt der Horde schlenderte, wurde Thrall bewusst, dass er letztlich genau das tat, was Etrigg angeregt hatte. Er sehnte sich nach einer tapferen Gefährtin, die mit ihm die harten und die guten Zeiten teilte, und nach einem Kind aus dieser Verbindung, einem guten Sohn oder einer Tochter.