Doch die Hitze war beim prächtigen Anblick der Schmiede rasch vergessen. Ströme von geschmolzenem Metall plätscherten wie Wasser und leuchteten in allen Schattierungen von Rot, Gelb und Orange. Die Schmiede war so überwältigend groß, dass Anduin sie kaum erfassen konnte. Zumindest hatte sein Kopf Mühe damit.
„Aye, das ist ein großartiger Anblick“, sagte Magni. Anduin stimmte ihm zu. Nach einer Weile wurde ihm die Hitze doch zu viel, und er ging dankbar zu dem relativ kühlen Korridor zurück. Mehrere Zwerge und Gnome bewegten sich zielstrebig durch die Gänge, und die hier postierten Wachen nickten ihrem Herrscher höflich zu.
Anduin wurde langsamer, denn die Richtung, die sie einschlugen, verwirrte ihn. Er vermutete, dass er in den königlichen Gemächern wohnen würde, die nahe dem Hohen Sitz lagen. Er war ein Prinz, also wurde das von ihm erwartet. Er hatte sich schon gefragt, ob er dort überhaupt Schlaf finden würde, weil der Hohe Sitz direkt neben der Schmiede lag. Sie war Tag und Nacht in Betrieb und strahlte diese unglaubliche Hitze aus. Aber es hatte den Anschein, als würden sie diesen Teil von Eisenschmiede verlassen.
Er wollte bereits fragen, wann sie ankommen würden, als er den Mund staunend öffnete. Das Gebäude, das sich vor ihm erhoben hatte, wirkte von außen wie ein gewöhnlicher Bau in der typischen Architektur von Eisenschmiede. Auch an den mit Bogen überspannten Türen war ihm nichts Bemerkenswertes aufgefallen. Doch als er das Gebäude betrat, erspähte Anduin etwas, das sein Herz hüpfen ließ.
An der Decke hing das Skelett eines riesigen geflügelten Reptils, das von Drähten zusammengehalten wurde. Hingerissen ging Anduin darauf zu. „Was ist das?“
„Es ist ein Pteradon“, sagte Aerin. „Ausgegraben im Krater von Un’Goro. Schrecklicher Ort. Ich war selbst lange dort.“
„Nun, Junge, bringen wir dich zu deiner Unterkunft, bevor du die Stadt weiter besichtigen kannst“, unterbrach ihn Magni. Seine Augen leuchteten, als würde er einen Witz machen, den Anduin nicht verstand.
Anduin seufzte, warf einen letzten wehmütigen Blick auf den Pteradon und nickte. „Natürlich, Sire. Ich werde ja wohl einige Wochen lang hier sein. Ausreichend Zeit zum Amüsieren gibt es später noch. Also, auf zu meiner Unterkunft.“
„In Ordnung“, sagte Magni. Er bewegte sich nicht.
„Euer Majestät? Meine Unterkunft?“
Aerins Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen.
Was war hier nur los?
Langsam hob Magni den Finger und wies nach links. „Wir sind bereits da!“ Er warf den Kopf zurück und lachte. Aerin fiel in das Lachen ein, und Anduin spürte, wie sich ein unsicheres Grinsen auf seinem Gesicht breitmachte. „Ich habe für dich und dein Gefolge die Unterkünfte hier einrichten lassen. Genau gegenüber der Bibliothek. Ich habe mir gedacht, dass du der königlichen Gemächer ein wenig überdrüssig bist. Und ich weiß irgendwoher, wofür du dich interessierst.“
„Danke, Euer Majestät!“
„Pfft“, sagte Magni, und winkte mit der Hand ab. „Ich kenne dich schon, seit du ein Säugling warst. Das hier ist meine Heimat. Hier kannst du mich Onkel nennen, wenn du möchtest.“
Ein flüchtiger Ausdruck der Trauer huschte über sein Gesicht. Einen Moment lang dachte Anduin, dass er von dem Begriff „Onkel“ herrührte, doch er erkannte, dass es eine andere Anrede war, die Magni Bronzebart vermisste: Vater. Magni hatte nur ein Kind, eine Tochter namens Moira. Vor einigen Jahren hatten die Diener des Dunkeleisenherrschers Dagran Thaurissan sie entführt. Magni war davon überzeugt, dass Dagran seine Tochter mit magischen Mitteln verführt und sie verzaubert hatte, so dass sie glaubte, ihn zu lieben. Als Magni eine Gruppe aussandte, um Thaurissan zu töten und die verzauberte Moira zu befreien, weigerte sie sich jedoch, nach Hause zurückzukehren. Sie hatte verkündet, dass sie schwanger sei und der Mord an ihrem Ehegatten eine fürchterliche Wut in ihrem Herzen entfacht habe. Magni war am Boden zerstört gewesen. Seitdem hatte er nichts mehr von Moira oder ihrem Kind – dem Erben zweier Königreiche – gehört.
Großvater zu werden hätte ein freudiges Ereignis sein sollen. Magni hätte seine Tochter bei sich in Eisenschmiede haben sollen, sein Enkelkind hätte auf seinen Knien spielen sollen. Anduin wusste nicht einmal, ob es ein Junge oder ein Mädchen war, und er wollte Magni nicht danach fragen. Stattdessen hatten sich Kind und Enkelkind von dem König entfremdet und waren von einem finsteren Zauber gebannt, der bis über den Tod des Herrschers hinaus wirkte. Zumindest glaubte Magni das.
Der düstere Augenblick verging schnell, und Magni lächelte wieder, obwohl das listige Flackern aus seinen Augen verschwunden war. „Das Abendessen gibt es um acht Uhr. Sei pünktlich. Deine Kampfübungen mit Aerin beginnen morgen.“
Anduin war überrascht. Er sollte kämpfen? Enttäuscht ließ er die Schultern sinken. Eigentlich hätte er so etwas erwarten müssen, hatte doch sein Vater diesen Besuch arrangiert. Zumindest schien Aerin eine gute Gesellschafterin zu sein, und er würde sicher noch ausreichend Zeit finden, um die Bibliothek zu durchstöbern und mehr über die Forscherliga herauszufinden.
„Ja, Onkel.“ Anduin lächelte den Zwerg an und bemerkte erleichtert, dass die Anrede Magnis angespannte Gesichtszüge zumindest ein wenig löste. Der Zwerg nickte, tätschelte Anduins Arm, wandte sich um und entfernte sich in Richtung des Hohen Sitzes. Anduin blickte ihm nach und wandte sich dann an Aerin.
„Sind all meine Begleiter angekommen?“
„Ja, schon vor einiger Zeit.“
Er grinste. „Dann gehe ich in die Bibliothek!“
Am folgenden Morgen starrte Anduin auf dem Rücken liegend an die Decke eines abgelegenen Bereichs des Hohen Sitzes. Sein ganzer Körper war zerschrammt, und alles tat ihm weh. Dennoch bewunderte er die Kampfkünste der Zwerge.
„Schon wieder auf dem Boden, kleiner Löwe?“ Ein „Tss, tss“ der Missbilligung folgte. „Das ist jetzt schon das dritte Mal.“
Jeder seiner Muskeln schmerzte. Anduin streckte eine Hand aus und umfasste Aerins kleineren, aber deutlich stärkeren Arm. Sie zog ihn auf die Beine, als wöge er nichts. Sein linker Arm hing an der Seite herunter, der Schild war immer noch daran gebunden. Sein Schwert lag mindestens zwei Schritte weit entfernt auf dem Boden. Seufzend trottete Anduin hinüber, um es aufzuheben. Er schloss die Hand um das Heft, was ihm bereits Schmerzen verursachte, und hob die Waffe mit großer Mühe auf.
Aerins blaue Augen blitzten zu dem Schild, und sie hob bedeutungsvoll eine Augenbraue. Sein Arm hing noch immer schlaff herunter.
„Ich, äh... kann ihn nicht hochheben“, sagte Anduin und spürte, wie sein Gesicht rot anlief.
Aerin sah einen Augenblick lang verärgert aus, dann lächelte sie vergnügt.
„Das macht nichts, kleiner Löwe. Heute wollte ich nur deine Stärke testen und deine Fähigkeiten einschätzen. Du bist eine ganze Weile bei uns. Wenn wir dich zu deinem Vater zurückschicken, bist du ein ganzer Zwerg. Du wirst schon sehen!“
Am Nachmittag des vergangenen Tages, als sie zusammen durch Eisenschmiede geschlendert waren, hatte sie begonnen, ihn „kleiner Löwe“ zu nennen, und er hatte nichts dagegen. Anduin wusste, dass diese Bezeichnung nur dazu angetan war, ihn zu ermutigen. Trotzdem zuckte er innerlich zusammen.
Er wusste, dass sein Vater glaubte, dass er nicht das Zeug zum Krieger hatte. Ihm war klar, dass einer der Gründe, warum Varian ihn hierher geschickt hatte, darin zu suchen war, dass er „härter werden sollte“ und die Zwerge einen „Mann aus ihm machen“ sollten. Anduin war sich schmerzlich bewusst – nun sogar körperlich –, dass er tatsächlich nicht das Zeug zum Krieger hatte. Er war gut im Bogenschießen und Messerwerfen, weil er ein scharfes Auge und eine ruhige Hand hatte. Doch wenn er mit schwereren Waffen umgehen musste, schien sein leichter Körperbau ein Hindernis darzustellen. Die Schwerter und Lanzen fühlten sich nie gut in seinen Händen an. Und egal wie hart er auch trainierte und wie viele Stunden er mit dieser stämmigen, fröhlichen Zwergin übte, aus ihm würde kein „ganzer Zwerg“ werden, ganz gleich, was sie sagte.