„Es tut mir leid“, sagte er. „Du bist eine gute Ausbilderin, Aerin. Ich bin mir sicher, ich werde mich verbessern.“
„Ja, ich weiß, dass du das wirst“, sagte sie und winkte ihm zu. Zum ersten Mal erkannte er, dass sie wirklich hübsch war. Er lächelte zurück und bedauerte es, sie belogen zu haben. Anduin war sich absolut nicht sicher, dass er sich verbessern würde. Er spürte, wie seine Stimmung sich verdüsterte, weil er bereits erwartete, Aerin zu enttäuschen. Sie hatte schon damit begonnen, ihre Ausrüstung zusammenzusuchen, und pfiff fröhlich vor sich hin. Er half ihr, hängte die Übungswaffen auf und klopfte die gepolsterte Rüstung aus. Dabei versuchte er nicht zu keuchen, während seine überanstrengten Muskeln protestierten.
„Ich glaube, ich gehe in meine Unterkunft zurück und nehme ein Bad“, sagte er und wischte sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn.
„Aye, aber etwas wollte ich noch loswerden“, sagte Aerin geradeheraus. Anduin starrte sie eine halbe Minute lang an, gedemütigt von ihrem verräterischen Grinsen, das ihre Lippen umspielte, und er erkannte, dass sie ihn gerade neckte – wieder einmal. Er lachte unsicher. „Lass mich wissen, wenn du etwas brauchst“, sagte Aerin. „Ich nehme dich gern später auf einen Ritt mit.“
Der Gedanke daran, auf einem der riesigen Widder, die von den Zwergen als Reittiere benutzt wurden, hin- und hergeworfen zu werden, ließ Anduin erbleichen. „Nein, ich werde ein Weilchen drinnen bleiben und mich meinen Studien widmen.“
„Nun, wenn dir nach etwas frischer Luft ist, schick einfach nach mir.“
„Das werde ich. Vielen Dank noch mal.“
„Gerne, jederzeit!“ Mit einem fröhlichen Pfeifen verließ Aerin den Raum. Anduin kam nicht umhin zu bemerken, dass sie noch nicht einmal richtig ins Schwitzen geraten war. Er seufzte und kehrte in seine Unterkunft zurück.
Ein gutes heißes Bad und der Wechsel seiner Kleidung verbesserten seine Stimmung, und er beschloss, einen Spaziergang zum Mystikerviertel zu unternehmen. Er brauchte ein wenig Licht.
Als er dort eintraf, wusste Anduin, dass er eine gute Entscheidung getroffen hatte. Er spürte, wie der Druck auf seiner Brust nachließ. Irgendwie erschien ihm das Mystikerviertel strahlender, obwohl er sich nicht sicher war, ob es nur ein Lichtspiel war oder an den Materialien lag, die bei der Konstruktion des Viertels verwendet worden waren. Auch der sanft leuchtende Teich wirkte beruhigend. Er wusste nicht, welchem Zweck er diente, wenn er denn überhaupt einen solchen haben sollte. Anduin holte eine Münze hervor, formulierte einen Wunsch und warf sie in das Wasser. Gespannt beobachtete er, wie sich das goldene Glitzern für eine Sekunde im Licht brach, bevor die Münze langsam hinabsank. Er war beruhigt, als er in die Tiefe blickte und sah, dass bereits viele Münzen auf dem Grund des Teiches lagen. Stufen führten in das Wasser hinein. Diente der Teich nur zum Schwimmen oder auch rituellen Zwecken? Er würde Aerin irgendwann einmal danach fragen. Im Augenblick jedoch wollte er unbedingt jedes unangemessene Verhalten vermeiden.
Durch den offenen Durchgang begab er sich in die Halle der Mysterien und lächelte, als das blaue, purpurne und weiße Licht ihn umfing. Fünf Säulen, jede verziert mit einem sich wiederholenden geometrischen Muster in Gold und Blau, trugen die Decke. Dieser Ort schien ihm nicht mehr ganz so heilig wie die Kathedrale, aber das Licht war immer noch da. Gestern und auch noch an diesem Morgen hatte er den Eindruck gehabt, dass jedermann in Eisenschmiede eine Plattenrüstung trug, selbst bei der Verrichtung ganz alltäglicher Dinge. Erleichtert stellte er fest, dass diese Räume voller Gnome und Zwerge waren, die sich in weiche, fließende Gewänder gehüllt hatten.
Etwas Kleines, Festes, das sich schnell bewegte, stieß gegen seinen Oberschenkel, und er taumelte zurück. „Was...“
„Oje!“, erklang ein leises Quieken. „Dink sucht nach...“
„Autsch!“ Ein zweites Irgendetwas, klein, hart und sich ebenfalls rasch bewegend, rammte Anduins Oberschenkel, worauf seine Beine – die noch von den Übungsstunden mitgenommen waren – einknickten. Bevor er sich wieder fangen konnte, war er auf den kalten Steinboden gestürzt. Er zuckte zusammen, gab jedoch keinen Laut von sich, als er sich wieder erhob.
„Tut mir schrecklich leid!“ Anduin blickte auf zwei Gnome hinab. Es schien sich um Bruder und Schwester zu handeln. Die beiden hatten weißes Haar und blaue Augen, die jetzt vor Verlegenheit weit aufgerissen waren, und trugen gelb-blaue Roben. Die Frau hielt ein Buch in der Hand und errötete. „Es tut mir leid, ich habe hier reingeschaut und nicht gesehen, wo ich hintrat. Ich weiß nicht, wie Dinks Entschuldigung lauten wird!“
„Ich bin dir gefolgt, Bink!“, sagte der Mann, der offensichtlich Dink hieß. „Tut mir ebenfalls leid, junger Freund. Manchmal konzentrieren wir uns mehr auf eine bestimmte Sache, als gut für uns ist!“
„Für Euch und uns“, sagte Bink, und lächelte gewinnend. Sie versuchte, den Staub von Anduins Knien zu wischen, doch Anduin zuckte kurz vor Schmerz zusammen, trat einen Schritt zurück und zwang sich zu einem Lächeln.
„Mir tut es auch schrecklich leid! Ist schon in Ordnung. Ich hätte auch besser aufpassen sollen.“
Die beiden Gnome strahlten ihn an, dann verneigten sie sich und huschten fort. Amüsiert, aber leicht angeschlagen sah Anduin ihnen nach.
„Ah, hier seid Ihr, Junge“, erklang eine tiefe, freundliche Stimme. „Lasst mich Euch helfen.“
Plötzlich durchströmte Anduin eine angenehme, sanfte Wärme, und er wandte sich um. Ein älterer Zwerg stand leise singend vor ihm und bewegte dabei seine Hände hin und her. Sein langer weißer Bart war in zwei Zöpfe und einen Pferdeschwanz geteilt. Sein Kopf war kahl, doch im Nacken prangte ein weiterer Pferdeschwanz. Seine grünen, faltigen Augen verzogen sich zu einem Lächeln. Einen Herzschlag später erkannte Anduin, dass der Schmerz fort war – das Stechen in seinen Knien, das Brennen seiner Muskeln und die Steifheit in seinen Gliedern, die von den Kampfübungen herrührten. Er fühlte sich erholt und erfrischt, als hätte er die ganze Nacht geschlafen und wäre gerade aufgewacht.
„Danke.“
„Gern geschehen, Junge. Seid Ihr vielleicht der junge Prinz aus Sturmwind, den wir erwartet haben?“
Anduin nickte und streckte die Hand aus. „Angenehm, Euch kennenzulernen...“
„Hohepriester Rohan. Das Licht sei mit Euch. Wie findet Ihr unsere ruhmreiche Stadt?“
„Indem ich die Tiefenbahn benutze“, witzelte Anduin. Der uralte Witz entfuhr ihm, bevor er es bemerkt hatte. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, und seine Wangen röteten sich. „Ich... entschuldigt... ich wollte nicht...“
Zu seiner Überraschung und Erleichterung warf der Hohepriester seinen kahlen Kopf in den Nacken und lachte herzlich. „Oh, den habe ich schon lange nicht mehr gehört. Bin darauf reingefallen, oder?“ Sein Gelächter ging in ein Kichern über.
Anduin entspannte sich und grinste. „Es ist ein wirklich schlechter Witz. Ich entschuldige mich.“
„Gut, ich vergebe Euch, wenn Ihr mir einen besseren erzählt“, sagte Rohan.
„Ich werde es versuchen...“
„Heutzutage wird viel zu wenig gelacht, sage ich immer. Oh, das Licht ist eine ernsthafte Sache, aber ohne Witz gibt es keine hellen Köpfchen, oder?“