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Anduin beobachtete ihn zweifelnd und fragte sich, ob es respektlos war, wenn er angesichts dieses Kalauers aufstöhnte. Sein Gesichtsausdruck blieb nicht unbemerkt, doch Rohans Grinsen wurde noch breiter. „Aye, ich weiß, das ist ein miserabler Witz. Deshalb würde ich gern ein paar neue von Euch hören. Nebenbei gefragt: Was führt Euch in die Halle der Mysterien?“

Aha, so wurde dieser Ort also genannt. Anduin wurde plötzlich wieder ernst. „Ich... vermisse nur das Licht.“

Der alte Zwerg lächelte sanft, und dieses Mal war seine Stimme weich und ernst, aber keineswegs weniger freundlich. „Es ist niemals weit weg, mein Junge. Wir tragen es in uns selbst, obwohl es natürlich die Seele labt, die Gesellschaft anderer an einem besonderen Ort zu suchen. Ihr seid hier jederzeit herzlich willkommen, Anduin Wrynn.“

Rohan hatte ihn nicht mit seinem Titel angesprochen. Anduin wusste, dass er vor dem Licht keinen Titel hatte, und eben das war auch Rohan bekannt. Er erinnerte sich daran, was sein Vater einst gesagt hatte, nachdem er einige Zeit wieder zu Hause gewesen war. Hätte es Anduin oder das Volk von Sturmwind, das sich auf ihn verließ, nicht gegeben, wäre Varian gerne Lo’Gosh geblieben und hätte weiter im Ring gekämpft. Er hätte die unkomplizierte, wenn auch kurze und brutale Existenz als Gladiator seinem Leben als König mit all seinen Schwierigkeiten und der damit verbundenen Verantwortung vorgezogen.

Als er im sanften blauen Licht die gewundene Treppe zu den etwas ruhigeren Räumen hinaufging, deren angenehme Wärme durch mehrere Kohlenbecken verstärkt wurde, erkannte Anduin, dass er die Sehnsucht seines Vaters verstand. Natürlich sehnte er sich nicht wie Varian nach dem Kampf, der Brutalität im Ring und der ständigen Gefahr eines plötzlichen Todes, nein, was Anduin sich wünschte, war der scheinbar flüchtige Luxus des Friedens. Frieden, um in Ruhe zu lernen und den Menschen zu helfen. Eine Priesterin fegte hinter ihm den Boden und lächelte freundlich und versonnen. Ihr Gesicht strahlte einen großen inneren Frieden aus.

Anduin seufzte. Priester zu werden war nicht seine Bestimmung, denn er war als Prinz geboren worden. Das Schicksal würde Krieg und Gewalt für ihn bereithalten und politisches Taktieren und strategisches Denken von ihm verlangen.

Doch jetzt, hier in der Halle der Mysterien, saß Anduin Wrynn –ohne Titel – ruhig und still da und dachte nicht an seinen Vater oder Thrall, ja nicht einmal an Jaina. Vielmehr stellte er sich eine Welt vor, in der jedermann jede Stadt besuchen konnte und dort mit offenen Armen willkommen geheißen wurde.

12

Drek’Thar wand sich unruhig im Schlaf und warf sich von einer Seite auf die andere. Visionen zerrten an ihm, quälten und ärgerten ihn. Es waren kaum sichtbare, unsichere, unklare Visionen von Frieden und Wohlstand, Katastrophen und Ruin. All das existierte nur in seiner Vorstellung.

In seinen Visionen konnte er wieder sehen. Er stand irgendwo, doch unter seinen Füßen war nichts. Überall um ihn herum, über und unter ihm, waren Sterne, tiefschwarze Sterne. Die Geister der Erde, der Luft, des Feuers und des Wassers – wütend und unglücklich – tobten wild umher, griffen nach ihm und flehten ihn an. Als er sich ihnen mit offenem Herzen zuwandte, stießen sie ihn mit einer solchen Wut zurück, dass er ins Taumeln geriet. Wenn sie Kinder gewesen wären, hätten sie geweint.

Um ihn herum donnerte Wasser herab, gepeitscht von der Luft, die sich als Wind manifestierte. Stürme, stark und mächtig, erfassten die Schiffe und zerbrachen sie wie Spielzeug. Cairne und Groms Jungs waren auf solch einem Schiff... Nein, nein, es war Thrall... Doch dann war es auch schon belanglos, wer auf dem Schiff war, denn es wurde in seine Einzelteile zerschmettert.

Als es bereits so aussah, als ob Drek’Thar dem Angriff des Feuers erliegen würde, verschwanden die Flammen schlagartig. Er war heil und unversehrt. Drek’Thar atmete schwer und zitterte. Die Augenblicke dehnten sich aus. Nichts geschah, doch die Vision ging weiter.

In diesem Moment spürte er das Beben unter seinen Füßen und wusste aus ihm unerfindlichen Gründen, dass die Luft, das Wasser und das Feuer ihren Schmerz bereits kundgetan hatten. Das Beben der weinenden Erde unter seinen Füßen würde schrecklich sein, das konnte er fühlen. Bilder blitzten in seinem Geist auf: eine schneebedeckte Landschaft, ein Wald...

Er schrie, richtete sich auf, und seine Augen blinzelten. Gnädigerweise sah er nur die Finsternis. Seine ausgestreckten Hände griffen wie immer nach Palkar.

„Was ist los, Großvater?“, fragte der jüngere Orc. Seine Stimme war klar und kräftig, unbekümmert von allem Bösen, das Drek’Thar heimsuchte.

Der alte Schamane öffnete den Mund, um zu antworten, doch plötzlich waren seine Gedanken so dunkel wie seine Augen. Er hatte geträumt .., etwas Wichtiges... etwas, das er weitergeben musste.

„Ich... ich weiß es nicht“, flüsterte er. „Etwas Schreckliches wird geschehen, Palkar. Aber ... ich weiß nicht was... Ich weiß es nicht!“

Er schüttelte sich und schluchzte frustriert und ängstlich.

Die Tränen, die über sein Gesicht rannen, waren warm.

Anduin entwickelte im Laufe der Tage eine gewisse Routine. Morgens absolvierte er das Kampftraining mit der scheinbar unermüdlichen und stets lebhaften Aerin. Wenn sie nicht trainierten, ritten sie gemeinsam durch die Landschaft. Obwohl Widder niemals seine Lieblingsreittiere werden würden, genoss Anduin die Möglichkeit, nach draußen zu kommen. Die klare Luft ließ ihn beinahe schwindeln, und die schneebedeckte Landschaft unterschied sich sehr von dem gemäßigten Klima Sturmwinds. Seine Zuneigung zu Aerin wuchs beständig. Er konnte sich darauf verlassen, dass sie ihn weder physisch noch verbal verletzte, und das empfand er als ausgesprochen angenehm. Einmal hatte er sie nach Moira gefragt.

„Ach, das ist eine verworrene Geschichte“, hatte sie geantwortet.

„Für mich klingt sie recht einfach. Moira wurde entführt, verzaubert und brach Magnis Herz.“

„Es stimmt schon, dass er sie vermisst“, sagte Aerin, „aber er war auch nicht immer der beste Vater.“

Anduin war überrascht. Er hatte sich den Zwerg stets als einen geradezu perfekten Vater vorgestellt. Sicherlich würde er jemanden so akzeptieren, wie er war, und nicht versuchen, ihn zu dem zu machen, den er gern haben wollte.

„Er war nicht grausam oder so etwas. Aber... nun... Ihre Hoheit hatte das falsche Geschlecht. Magni hatte sich immer einen Sohn gewünscht, der nach ihm regieren sollte. Er spürte, dass eine Frau dieser Aufgabe nicht gewachsen war.“

„Jaina Prachtmeer ist eine wundervolle Anführerin ihres Volkes“, entgegnete Anduin.

„Aye, nicht lange nachdem Moira verschwunden war, nahm Seine Majestät mich und einige andere Frauen in seine Elitewache auf “, sagte Aerin. „Ich glaube, er hat schließlich eingesehen, dass er sich ein wenig unfair verhalten hatte. Ich habe die Hoffnung, dass Vater und Tochter eines Tages die Möglichkeit haben, sich wieder zu versöhnen.“

Anduin hoffte das ebenso. Es schien, dass Schwierigkeiten zwischen einem Vater und seinem Kind nicht nur bei den Menschen auftraten.

Auf seinen Ausritten mit Aerin lernte er die Leute der Nachbargebiete von Kharanos und Stahlrosts Depot kennen. Einmal gelangten sie sogar nach Thelsamar in Loch Modan, wo sie zu Mittag aßen und Anduin am Ufer eines Sees einschlief. Zwei Stunden später erwachte er mit einem schmerzhaften Sonnenbrand.

„Ach, ihr Menschen seid nicht schlau genug, aus der Sonne zu gehen“, neckte ihn Aerin.

„Warum bist d u nicht verbrannt?“, fragte Anduin ärgerlich. Neunzig Prozent der Zeit, die sie gemeinsam verbrachten, trug Aerin eine Rüstung, und die restliche Zeit lebte sie im Untergrund. Ihre Haut war viel bleicher als die seine.

„Ich habe im Schatten eines Felsens geschlafen“, sagte sie.

Er starrte sie mit offenem Mund an. „Warum hast du mir das nicht vorgeschlagen?“