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„Ich dachte, du findest das besser selbst heraus. In Zukunft wirst du doch darauf achten, oder?“ Sie lächelte ihm freundlich zu, und obwohl er schreckliche Schmerzen litt und die Farbe eines gekochten Hummers angenommen hatte, war er ihr keineswegs böse. Er zischte, als er sein Hemd wieder anzog. Den feinen Runenstoff, der sonst weich wie eine Feder war, auf seiner Haut zu spüren, war die reinste Qual. Aerin hatte recht. Er würde nie wieder an einem sonnigen Tag einschlafen, ohne sicherzugehen, dass er gut geschützt im Schatten lag.

Er kehrte in seine Unterkunft zurück und fand einen Brief vor, der in Magni Bronzebarts schwungvoller Handschrift verfasst war:

Anduin!

Komm zum Hohen Sitz, sobald du zurückgekehrt bist. Bring auch Aerin mit.

Er hatte darauf gehofft, Hohepriester Rohan wegen des Sonnenbrands um Hilfe bitten zu können, doch Magnis Aufforderung duldete zweifellos keinen Aufschub. Er zeigte Aerin den Brief, deren Augen sich vor Schreck weiteten. Sie nickte, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Hohen Sitz. Trotz des schmerzenden Sonnenbrands lief Anduin, so rasch er konnte. Sorge überkam ihn. War etwas mit seinem Vater geschehen? War schließlich doch noch ein Krieg zwischen der Horde und der Allianz ausgebrochen?

Magni war bereits zugegen und beugte sich über einen Tisch. Zwei andere Zwerge, deren Kleidung von der Reise schmutzig war, standen neben ihm. Ein weiterer Zwerg blickte aufgeregt drein. Anduin erkannte in ihm sofort den Hochforscher Muninn Magellas, den Kopf der Forscherliga. Er war ein schneidiger Zwerg mit rotem Haar und ebensolchem Bart, der es liebte, eine Schutzbrille zu tragen. Auf dem Tisch lagen drei steinerne Tafeln.

Anduin kam rutschend zum Stehen und tauschte einen schnellen verwirrten Blick mit Aerin, die jedoch nur ratlos mit den Achseln zuckte. Offensichtlich war sie genauso verwirrt wie er.

„Ah, Anduin, Junge, komm her! Das willst du sicher sehen!“ Magni winkte ihn zu sich, wobei seine Augen vor Aufregung leuchteten. Erleichterung erfüllte Anduin, doch dann überkam ihn eine leichte Verärgerung.

„Eure Nachricht klang dringend, Euer M... äh... Onkel Magni“, sagte er und trat vor. Der Sonnenbrand machte sich bei jeder Bewegung schmerzhaft bemerkbar.

„Ach, es ist nichts Dringendes, aber ausgesprochen faszinierend! Komm, schau es dir selbst an!“

Einer der Zwerge nickte und rückte beiseite, so dass Anduin neben Magni und Magellas an den Tisch treten konnte. Er blickte auf die Tafeln und erkannte nun, dass es nicht drei waren, sondern eine einzige, die in drei Stücke zerbrochen war. Auf jedem der Teile stand etwas geschrieben. Anduin beherrschte mehrere Sprachen, doch diese war ihm gänzlich unbekannt.

„Mein Bruder Brann hat sie mir geschickt“, sagte Magni. Er zog einen der Handschuhe aus und ließ die nackten, kräftigen Finger in einer erstaunlich sanften Berührung über die Texte fahren. „Er war fasziniert und dachte, ich sei es vielleicht auch.“ Magni blickte Anduin an. „Sobald ich sie sah, habe ich nach dir geschickt. Ich vermute, du weißt gar nicht, was da vor dir liegt.“

Anduin lachte verlegen und schüttelte den Kopf. „Ich habe so etwas noch nie zuvor gesehen.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt schon einmal jemand zu Gesicht bekommen hat, zumindest seit sehr langer Zeit. Diese Schrift stammt nämlich von den Irdenen.“

Anduin lief eine Gänsehaut über den Rücken, und er starrte mit großem Respekt auf die drei Teile der Tafel. Die Irdenen waren Schöpfungen der Titanen, die vor sehr langer Zeit gelebt hatten. Von diesen Irdenen wiederum stammten die Zwerge ab. Der Stein, der dort vor ihm auf dem Tisch lag, war unbeschreiblich alt, vielleicht zehntausend Jahre oder noch älter. Mit zitternder Hand griff er nach einem der Teile und berührte es so sanft, wie Magni es getan hatte, und mit dem gebotenen Respekt.

„Wisst Ihr, was sie bedeuten?“

„Nein, ich bin in diesen Dingen nicht sehr bewandert. Selbst Brann hatte seine Schwierigkeiten damit. Deshalb hat er sie den Experten in der Halle geschickt. Er hat etwas geschrieben... Lass mich mal nachsehen...“ Magni nahm ein Stück Pergament auf, das auf dem Tisch lag. „Etwas über... das Einswerden mit der Erde.“

„Hmmpf“, machte Aerin. Sie war eher praktisch veranlagt. Die Zwergin hatte offensichtlich nicht sehr viel Vorstellungskraft und sich bei den wiederholten Besuchen in der Halle der Forscher immer dermaßen gelangweilt, dass Anduin sie jetzt entließ, wenn er sich dort hinbegab. „Eins mit der Erde werden? Klingt für mich, als ob man mich begraben will.“

Anduin warf ihr einen raschen Blick zu und richtete seine Aufmerksamkeit sofort wieder auf die Tafel. „Was glaubt Ihr, was sie bedeutet? Diese Annahme ist recht vage.“

„Das stimmt, und man muss Klarheit in diesen Dingen haben“, sagte Magni nickend. Er beobachtete Anduin nachdenklich. „Du bist wirklich klug, Anduin. Weißt du, was gerade in der Welt vorgeht?“

Anduin war verwirrt ob dieser Frage. „Ich weiß, dass zwischen der Allianz und der Horde beträchtliche Spannungen herrschen“, antwortete er und fragte sich, ob es das war, worauf Magni abzielte. „Und dass die Horde Ärger verursacht, weil ihre Vorräte aufgrund des Krieges aufgebraucht sind.“

„Gut, gut.“ Magni nickte zustimmend. „Jedoch nicht wegen des Krieges. Folge der Argumentationsreihe, mein Junge.“

Anduin runzelte die Stirn. „Nun... weil Durotar ein raues Land ist“, sagte er. „Es gab nie viele Vorräte.“

„Und jetzt sind es weniger, weil...?“

„Wegen des Krieges und...“ Anduins Augen weiteten sich, als er verstand. „Wegen der außergewöhnlichen Dürren.“

„Genau.“

„Und wo wir gerade darüber sprechen... Tante Jaina hat gesagt, dass es einen schrecklichen Sturm gab, kurz bevor ich sie besucht habe. Sie meinte, dass es der schlimmste war, den sie je erlebt hat. Und es gab Berichte von einem merkwürdigen Hurrikan, der viele Schiffe beschädigte, die von Nordend zu entkommen versuchten.“

„Ja!“ Magni schrie beinahe vor Aufregung. „Schreckliche Stürme, Fluten an mehreren Orten, Dürren an anderen... Etwas stimmt nicht, Junge. Ich bin kein Schamane, aber die Elemente sind mit Sicherheit zurzeit nicht glücklich. Diese Tafel könnte vielleicht einen Hinweis darauf enthalten, was mit ihnen nicht stimmt.“

„Wirklich? Glaubt Ihr wirklich, dass etwas so Altes uns heute helfen kann?“

„Alles ist möglich, Junge. Auf jeden Fall“, flüsterte Magni übertrieben leise, „haben wir etwas in die Hände bekommen, das schon seit Langem kein Tageslicht mehr gesehen hat, oder?“

Er schlug Anduin auf den Rücken. Genau auf den Sonnenbrand.

Die Übersetzung ging nur quälend langsam vonstatten, und immer wieder mussten sie von vorn beginnen. Es war nicht gerade hilfreich, dass die Übersetzer Anduin ein wenig selbstgefällig erschienen und ihre Irrtümer nur unwillig eingestanden. Jeder Einzelne interpretierte den Text auf seine Weise.

Hochforscher Magellas bestand darauf, dass er sich auf eine metaphysische Vereinigung bezog. „Eins mit der Erde werden“, wiederholte er. „Sich mit ihr vereinen. Ihren Schmerz spüren.“

Berater Beigrum, ein runzeliger Alter mit zittrigen Händen und einer Stimme, die man in ganz Eisenschmiede hören konnte, wenn er sie erhob, spottete: „Bah! Muninn, Ihr denkt zu sehr an die Mädchen. Ihr seht ‚eins werden‘ in wirklich allem.“

Magellas, der unablässig verstohlene Blicke zu der anmutigen Aerin geworfen hatte, lachte laut auf. „Nur weil Ihr seit Jahrzehnten nichts mehr mit Mädchen zu tun hattet, bedeutet das nicht...“

„Nun, nun, all dieses zweideutige Gerede ist nichts für junge königliche Ohren!“, schalt Aerin, die der Unterhaltung bislang wortlos gefolgt war, die Zwerge.

Anduin lief rot an. „Es ist in Ordnung“, sagte er. „Ich meine... ich weiß über diese Dinge Bescheid.“

Unfähig zu widerstehen, neckte Aerin ihn. „Ach, weißt du das wirklich?“

Anduin wandte sich rasch Beigrum zu. „Was glaubt Ihr, was es bedeutet?“, fragte er in der Hoffnung, das Thema wechseln zu können.