Wie kann ich das anstellen? Sag es mir, bitte!
Gordawg schüttelte seinen gewaltigen Kopf. Gordawg nicht weiß. Vielleicht andere Schamanen, die auch gehört von verängstigten Steinen, könnten etwas wissen. Aber ich habe schon zuvor geschmeckt etwas Ähnliches wie diese Angst. Fast dieselbe Art von Angst. Ich es in unserer Erde geschmeckt, kurz bevor die Welt in Teile zerbarst. Ist die Angst davor, zerbrochen zu werden. Zerschmettert zu werden.
Gordawg wandte sich um und marschierte davon. Thrall starrte ihm schockiert nach.
„Er hat den Stein gegessen, den du ihm gegeben hast“, sagte Aggra, die zu Thrall getreten war. „Konnte er dir helfen?“
„Ja“, sagte Thrall. Seine Stimme war nur ein Flüstern. Er räusperte sich und schüttelte den Kopf. „Er sagte mir, dass der Stein Angst hat. Dass alle Elemente Angst haben. Sie wissen, dass etwas Schreckliches passieren wird. Etwas, das einst gut war und in Harmonie mit der Welt lebte, aber jetzt unnatürlich ist.
Es wurde verwundet und brennt vor Verlangen, andere Dinge zu verletzen.“
Er wandte sich ihr zu. „Noch eine letzte Sache: Ich muss zurück nach Azeroth. Gordawg hätte mir nicht geholfen, wenn ich nichts dagegen unternehmen könnte. Ich muss herausfinden, wovor die Elemente sich so sehr fürchten... und alles in meiner Macht Stehende tun, um es aufzuhalten. Dieser Stein strahlte eine ähnliche Art der Angst aus wie Draenor, bevor...“
„... bevor es zerschmettert wurde“, beendete Aggra den Satz mit vor Angst weit aufgerissenen Augen. „Ja, Go’el. Ja! Wir dürfen eine solche Katastrophe nicht ein zweites Mal geschehen lassen!“
Nachdem der Rausch des Sieges über Cairne und die Erregung nachgelassen hatten – immerhin war Cairne Bluthuf eine Legende und eine der größten Gestalten in der Geschichte der Horde gewesen –, war Garrosh ein wenig überrascht, dass er keine Triumphgefühle empfand.
Cairne war derjenige gewesen, der ihn herausgefordert hatte. Garrosh konnte nicht mehr sicher sagen, warum Cairne ihm seine Beschuldigungen an den Kopf geworfen hatte. Er erinnerte sich nur noch daran, dass sie etwas mit einen Angriff auf mehrere Druiden zu tun gehabt hatten. Garrosh war nicht klar gewesen, wovon der Taure gesprochen hatte, doch nach dem demütigenden Schlag und der darauf folgenden Herausforderung zum Kampf hatte es keine Möglichkeit zur Umkehr gegeben. Für sie beide nicht. Der alte Bulle hatte gut gekämpft. Garrosh würde nie zugeben, dass er während des Kampfes befürchtet hatte, ihn nicht zu überleben. Doch schließlich hatte er gewonnen. Garrosh hatte das Blut des Oberhäuptlings der Tauren an seinen Händen, schuld an dessen Tod war er jedoch nicht. Es war ein ehrlicher Kampf gewesen, und die beiden Gegner hatten gewusst, dass nur einer von ihnen die Arena lebend verlassen würde. Der Ehre war Genüge getan.
Obwohl er keine Schuld an Cairnes Tod trug, bedauerte Garrosh, was geschehen war. Er hatte Cairne durchaus gemocht, wenn sie auch wiederholt aneinandergeraten waren. Es war eine Schande, dass Cairne es nicht vermocht hatte, seinen altmodischen Geist etwas Neuem zu öffnen, etwas, das getan werden musste.
Nachdem Garroshs Anhänger ihre wilde Siegesfeier beendet hatten, war Garrosh im Morgengrauen zur Arena zurückgekehrt. Cairnes Leichnam war schon vor Stunden fortgetragen worden. Wohin, wusste Garrosh nicht. Er hatte keine Ahnung, was die Tauren mit ihren Toten machten. Begraben, verbrennen?
Auf dem Boden der Arena waren noch Blutspuren zu sehen. Jemand musste sich darum kümmern, das Blut entfernen. Doch das hatte Zeit bis morgen. Jetzt ärgerte er sich darüber, dass er die wichtige Aufgabe, die Klinge seiner Axt zu reinigen, so lange vernachlässigt hatte. Wo war eigentlich...? Er sah sich um, und seine Besorgnis nahm zu, als er seine Waffe nicht finden konnte.
„Sucht Ihr nach Blutschrei?“ Erschrocken wandte er sich um und sah einen der Kor’kron am Rand der Arena stehen, der seine ehrenvolle Axt in den Händen hielt und sich verneigte. „Wir haben sie gefunden und an uns genommen.“
„Danke“, sagte Garrosh. Die ständige Gegenwart seiner Leibwächter war ihm ein wenig unangenehm, doch er musste zugeben, wie praktisch das zuweilen auch sein konnte. Er war wütend auf sich selbst, weil er sich so sehr hatte ablenken lassen, dass er Blutschrei glatt vergessen hatte. So etwas würde nicht noch einmal vorkommen. Er entließ den Leibwächter mit einem Wink. Der Kor’kron verneigte sich erneut, trat in die Schatten zurück und ließ Garrosh mit der Axt allein, die einmal seinem Vater gehört hatte.
Als er die Waffe betrachtete und dann auf das Blut in der Arena blickte, vernahm er eine Stimme hinter sich. Es war die Stimme eines Orcs, doch gehörte sie nicht zu einem Mitglied seiner Leibwache.
„Das ist ein großer Verlust für die Horde, und das weißt du auch.“
Garrosh blickte sich um und entdeckte Etrigg, der auf der Tribüne saß. Was machte der alte Orc hier? Er konnte sich nicht daran erinnern, Etrigg während des Kampfes gesehen zu haben. Doch sicherlich hatte auch er in der Arena gesessen und den Kampf aufmerksam verfolgt. Garrosh war zu beschäftigt gewesen, um darauf zu achten, wer auf den Zuschauerrängen saß.
Er dachte daran, den Orc zu maßregeln, stellte jedoch fest, dass er zu müde dazu war. „Das weiß ich, doch mir blieb keine andere Wahl. Er hat mich herausgefordert.“
„Viele haben gesehen, dass er dich herausgefordert hat. Das stelle ich nicht in Frage. Aber ist dir nicht aufgefallen, wie rasch er gefallen ist?“
Unbehagen machte sich in Garrosh breit. „Ich kann mich nicht mehr an die Einzelheiten erinnern. Es war... ein schneller und hitziger Kampf.“
Etrigg nickte und erhob sich schwerfällig. Seine Gelenke plagten ihn. Langsam ging er zu Garrosh in die Arena hinab. Beim Gehen sprach er weiter: „Das war es tatsächlich. Wie viele Treffer hast du abbekommen? Viele! Cairne fiel jedoch, nachdem du ihm einen einzigen unbedeutenden Kratzer zugefügt hast.“
„Es war ein guter Hieb“, verteidigte sich Garrosh. Seine Stimme hatte einen gereizten Klang angenommen. Stimmte das? Die Wunde war über Cairnes Brust verlaufen. Das stimmte doch, oder? Der Blutrausch hatte alles in seinem Kopf verschwimmen lassen...
„Nein“, sagte Etrigg bestimmt. „Es war ein langer, flacher Schnitt. Aber dennoch verteidigte er sich nicht, als dein tödlicher Hieb auf ihn herniedersauste.“ Mittlerweile stand er neben Garrosh. „Findest du das nicht auch merkwürdig? Ich schon. Und ich bin nicht der Einzige, der dieser Meinung ist. Cairne starb viel zu schnell, Garrosh, und wenn dir das nicht aufgefallen ist, so ist es das anderen sehr wohl. Anderen wie mir und Vol’jin, der vorhin mit mir darüber gesprochen hat. Nicht wenige fragen sich, warum ein so guter Krieger nach einer einzigen lächerlichen Schnittwunde zu Boden ging.“
Garrosh wurde langsam wütend. „Hör auf!“, knurrte er. „Was willst du damit sagen? Behauptest du, ich hätte nicht fair gekämpft? Hätte ich denn zugelassen, dass er mir derartige Wunden zufügt, wenn ich betrogen hätte?“
„Nein. Ich glaube nicht, dass du unehrenhaft gekämpft hast. Aber ich bin davon überzeugt, dass jemand anders sich nicht korrekt verhalten hat.“ Etrigg streckte einen knorrigen Finger aus und wies auf Blutschrei. „Du hast die Segnung der Schamanen mit dem heiligen Öl auf der Klinge erhalten.“
„So wie Cairne auch. So wie jeder andere auch, der in einem Mak’gora kämpft“, sagte Garrosh. „Es ist ein Teil davon. Das ist nicht unehrenhaft!“ Er hatte seine Stimme erhoben, und ein merkwürdiges Gefühl durchfuhr ihn. War es... Angst?
„Sieh dir die Farbe und die Konsistenz des Öls an“, sagte Etrigg. „Es ist schwarz und schmierig. Nein! Im Namen der Ahnen, fass es nicht an!“
Der größte Teil der Klinge, die Cairne Bluthufs Leben ein Ende gesetzt hatte, war mit getrocknetem Blut bedeckt. Doch an einer kleinen Stelle konnte Garrosh noch die klebrige, schwarze Substanz erkennen, die so gar nicht dem goldenen, funkelnden Öl glich, mit dem die Klingen normalerweise bei einem Mak’gora eingerieben wurden.