Es kursierte auch das Gerücht, der Heuchler halte sich auf der Mondlichtung versteckt und habe ein Abkommen mit der Allianz getroffen im Austausch für die Zusicherung freien Handels, sobald Donnerfels zurückerobert war. Auch wurde gemunkelt, er habe die Macht der Erdenmutter selbst hinter sich und seine Schamanen und Druiden seien in der Lage, Bäume in Marsch zu setzen, die auf ihrer Seite kämpften.
Bei alldem war sich Magatha einer Sache sicher: Baine versammelte Unterstützer um sich, und wenn er stark genug war, würde er sie herausfordern.
Sie war so tief in Gedanken versunken, dass Rahauro zwei Versuche benötigte, bis er endlich ihre Aufmerksamkeit erlangte. Sie schnaubte, wütend auf ihre Tagträumerei, die den Jüngeren als Anzeichen der Senilität erscheinen würde, und bemühte sich, ihre Wut nicht auf ihren treuen Diener zu lenken, sondern auf den jungen Boten, der vor ihr stand. Ihre Ohren richteten sich auf, als sie begriff, wer ihn gesandt hatte.
Sie winkte mit der Hand. „Sprich.“
„Ältestengreisin Magatha, ich komme vom Kriegshäuptling Garrosh Höllschrei.“
Ihre Augen weiteten sich. Vor zwei Tagen hatte sie eine Botschaft an Garrosh mit der Bitte um Unterstützung geschickt. Sie wusste, dass Baine eher früher als später angreifen und breite Unterstützung finden würde. Ihr Brief war voller Komplimente und Lobpreisungen darüber gewesen, wie Garrosh die Horde führte. Zudem hatte sie eine förmliche Allianz zwischen den Grimmtotems und der Horde in Aussicht gestellt für den Fall, dass Garrosh ihr Unterstützung gewährte. Sicherlich hatte er Verwendung für die... einzigartigen Methoden der Grimmtotems. Magatha hatte gehofft, eine Antwort in Form von Truppen zu erhalten, die ihr dabei helfen sollten, Donnerfels zu verteidigen. Offensichtlich hatte Garrosh jedoch einige Fragen oder wollte sie von seinen Absichten in Kenntnis setzen.
Wie auch immer, sie war über die schnelle Antwort erfreut. Freundlich lächelte sie den Orc an.
„Ihr seid uns willkommen, Bote. Bitte... gönnt Euch eine kleine Erfrischung. Dann lest vor, was uns Euer Herr geschrieben hat.“
Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete, während der Orc dankbar einen langen Zug aus dem Wasserschlauch nahm, etwas zu essen jedoch ablehnte. Schließlich verneigte er sich, zog ein rundes ledernes Behältnis aus seinem Beutel und entnahm ihm eine Schriftrolle. Mit klarer, lauter Stimme las er vor:
„An Magatha, die Ältestengreisin der Grimmtotems.
Der Kriegshäuptling der Horde, Garrosh Höllschrei, sendet Euch seine aufrichtigen Wünsche für einen langsamen und qualvollen Tod.“
Ein entsetztes Aufstöhnen ging durch den Raum. Magatha schwieg bewegungslos, schoss dann jedoch mit einer Geschwindigkeit, die ihr Alter Lügen strafte, hoch, schlug dem Boten mit der flachen Hand hart ins Gesicht und entriss ihm die Schriftrolle. Sie musste sie auf Armlänge von sich halten, da ihre Augen stetig schlechter wurden, und las weiter.
Es ist mir zu Ohren gekommen, dass Ihr mir meinen rechtmäßigen Sieg geraubt habt. Cairne Bluthuf war ein Held der Horde und ein ehrbares Mitglied dieses stets ehrenhaften Volkes. Mit Abscheu und Wut habe ich entdecken müssen, dass Ihr mich dazu gebracht habt, seinen Tod durch einen ruchlosen Verrat herbeizuführen.
Solche Methoden mögen bei einem abtrünnigen, ehrlosen Stamm oder dem sonstigen Abschaum der Allianz üblich sein, doch ich verachte ein derartiges Verhalten. Es war mein Wunsch, ehrlich gegen Cairne zu kämpfen und zu gewinnen oder zu verlieren. Nun werde ich niemals erfahren, wer der Stärkere von uns beiden war, und der Ruf des Verräters wird meinen Schritten folgen bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich Euren Kopf auf einer Lanze präsentiere und Euch als die wahre Verräterin entlarve.
Ich werde meine treuen Orcs nicht ausschicken, damit sie mit Eurem verräterischen, kriecherischen Stamm zusammen in den Kampf ziehen. Euer Sieg oder Eure Niederlage liegt nun in den Händen der Erdenmutter. Wie auch immer, ich freue mich darauf, von Eurem, Tod zu hören.
Ihr seid nun allein, Magatha, ohne jeden Freund und so verhasst, wie Ihr es schon immer wart. Genießt Eure Einsamkeit.
Ihre Hand hatte bereits zu zittern begonnen, als sie erst die Hälfte des Briefes gelesen hatte. Nachdem sie die Lektüre beendet hatte, warf sie den Kopf zurück, brüllte rasend vor Wut und stieß ihre Hand vor sich. Ein Blitz schoss vom Himmel herab, krachte durch das reetgedeckte Dach und erschlug den Boten.
Der beißende Geruch von brennendem Fleisch erfüllte den Raum. Jeder der Anwesenden starrte auf den grünen Leichnam, aus dessen verkohlter Brust Rauch aufstieg, bis zwei Krieger ihn aufhoben und hinaustrugen, ohne einen entsprechenden Befehl erhalten zu haben.
Magatha atmete schwer und schnaubte wütend. Ihre Fäuste waren geballt.
„Ältestengreisin?“ Rahauros Stimme klang vorsichtig. Selten hatte er seine Herrin so zornig gesehen.
Nur mit Mühe gelang es Magatha, sich wieder unter Kontrolle zu bringen. „Wie es scheint, verweigert Garrosh Höllschrei den Grimmtotems jegliche Hilfe.“ Sie würde ihre Stammesbrüder nicht mit den wüsten Beleidigungen beschämen, mit denen Garrosh seine Botschaft so großzügig ausgeschmückt hatte.
„Dann sind wir auf uns allein gestellt?“ Rahauro schien leicht besorgt.
„Das sind wir, so, wie wir es immer waren. Sorgt Euch nicht, Rahauro. Ich habe auch diese Möglichkeit berücksichtigt.“
Tatsächlich hatte sie das jedoch keineswegs. Sie war überzeugt gewesen, der junge Höllschrei sei auch weiterhin leicht zu lenken. Diese dämliche „Ehre“, von der die Orcs – und um der Wahrheit Genüge zu tun, auch ihr eigenes Volk – so besessen waren, war wie eine Schlange, die im Gras lauerte. Immer bereit zuzubeißen, wenn man es am wenigsten erwartete. Dummerweise hatten die Kor’kron Blutschrei so schnell geborgen, dass sie keine Möglichkeit mehr gehabt hatte, das Gift von der Klinge zu wischen.
Sie musste nur Baine Bluthuf töten, um die Ordnung in Mulgore wiederherzustellen. Die Tauren würden sich beruhigen und sie als ihre neue Anführerin akzeptieren. Und dann, aus einer Position der Stärke heraus, würde sie sehen, ob Garrosh Höllschrei nicht doch bereit war, seine Ansichten zu ändern.
In der Zwischenzeit würde sie sich auf den unausweichlichen Angriff des Heuchlers vorbereiten müssen.
Eine kühle Meeresbrise wehte durch den Raum, der über Jazziks Gemischtwarenladen lag. Der Taure, der nervös auf und ab ging und dessen schwarzes Fell mit den weißen Markierungen ihn eindeutig als Grimmtotem auswies, war froh darüber. Er war hierher bestellt worden.
„Ah, Ihr habt es geschafft, gut“, erklang eine Stimme hinter ihm. Der Taure wandte sich um und nickte Gazlowe zu, dem Anführer der Goblins von Ratschet. Gazlowe winkte ihm grüßend zu. „Keine Angst. Dies ist meine Stadt. Solange Ihr hier seid, geschieht Euch nichts. Ich weiß, dass Euer Anführer mir ein Angebot machen will.“
Der Grimmtotem nickte. „In der Tat.“
Gazlowe wies auf einen Tisch und zwei Stühle. Der Taure setzte sich, vorsichtig zuerst, dann ein wenig zuversichtlicher, als er sicher war, dass der Stuhl unter seinem Gewicht nicht zusammenbrechen würde.
„Wir brauchen verschiedene Dinge.“
Gazlowe holte seine Pfeife und einen kleinen Beutel mit Kräutern aus der Tasche. Während er die Pfeife stopfte, sprach er weiter. „Ich kann Euch fast alles besorgen, jedoch nicht umsonst. Das hat keine persönlichen, sondern rein geschäftliche Gründe, versteht Ihr?“
Der Taure nickte. „Ich bin bereit, für Eure Dienste zu zahlen. Hier ist unsere Liste.“ Er schob eine kleine Pergamentrolle über den Tisch. Gazlowe beendete das Stopfen der Pfeife und entzündete sie, bevor er seine grüne Hand ausstreckte, das Pergament zu sich heranzog und es entrollte. Seine Augen weiteten sich.
„Wie viele Bomben?“