„Ihr könnt lesen, Freund Goblin.“
„Ich dachte, dass da eine Null zu viel steht. Oder vielleicht sogar zwei Nullen.“ Seine Lippen schmiegten sich um den Pfeifenstiel. „Ui, ui! Sieht so aus, als könnte ich mir ein weiteres Schiff leisten. Vielleicht sogar eine weitere Stadt.“ Sein Blick suchte den des Grimmtotems. „Ihr seid Euch sicher, dass Ihr das bezahlen könnt?“
Statt einer Antwort löste der Taure einen Beutel von seinem Gürtel. Er war größer als seine riesige Faust und klirrte verheißungsvoll, als er auf dem Tisch landete. „Zählt ruhig nach. Mir wurde gesagt, es sei ein fairer Betrag.“
„Selbst wenn ich Euch einen guten Preis mache, wäre das ein kleines Vermögen“, entgegnete Gazlowe. Er öffnete den Beutel. Die Nachmittagssonne ließ das Gold verführerisch glitzern. „Da soll mich doch...“
„Könnt Ihr mir sämtliche Dinge auf der Liste besorgen?“
Gazlowe kratzte sich am Kopf. Er war offensichtlich hin- und hergerissen zwischen einer ehrlichen Antwort und einer, die er zu geben bereit war. „Vielleicht“, sagte er nach einem Moment, zog erneut an seiner Pfeife und blies den Rauch aus seiner großen Hakennase. „Vielleicht.“
„Binnen weniger Tage.“
Gazlowe hustete, wobei der Rauch in kurzen Stößen aus seinem Mund entwich. „Was?“
Der Grimmtotem zog einen zweiten Beutel hervor, der zwar nicht ganz so groß war wie der erste, aber doch einen recht ansehnlichen Umfang hatte. „Mein... Anführer weiß, dass für eine rasche Lieferung extra gezahlt werden muss.“
Der Goblin pfiff leise. „Euer Anführer ist schlau“, sagte er. Erneut betrachtete er die Liste und seufzte. „Es wird hart werden, aber... ja. Ja, ich kann Euch all das besorgen.“ Er zögerte. Der Grimmtotem saß geduldig auf der anderen Seite des Tisches, aber er wusste, dass im Kopf des Goblins ein Krieg tobte.
Mit einem Seufzen, das tief und gequält klang, zog Gazlowe eine Faustvoll Münzen aus dem zweiten Beutel und schob ihn dann wieder zurück. Der Grimmtotem blickte ihn verwirrt an. Ein Goblin, der das Geld nicht nahm, das ihm freiwillig angeboten wurde?
„Hört mir zu“, sagte Gazlowe. „Erzählt das bitte nicht weiter, aber... ich... ahm... unterstütze Eure Aktion.“
Der Taure blinzelte. „Das... das freut mich.“
Gazlowe nickte und erhob sich. „In vier Tagen habe ich alles da. Nicht eher.“
„Einverstanden.“ Auch der Taure stand nun auf und wandte sich zum Gehen.
„Großvater?“
Der Grimmtotem wandte sich um.
„Sagt Baine, dass ich seinen Vater sehr mochte.“
Sturmlied Grimmtotem lächelte sanft. „Das werde ich.“
Die Armee war auf dem Vormarsch.
Obwohl Baine sich seiner Entscheidung, keine Rache an Garrosh Höllschrei zu üben, sicher war, würde er den Orc nicht um Hilfe bitten. Das bedeutete, dass er auf sich allein gestellt war. Glücklicherweise verbreitete sich die Geschichte von Magathas Verrat wie ein Lauffeuer. Camp Mojache war noch nicht an die Grimmtotems gefallen, und jedermann dort kämpfte verzweifelt darum, dass das so blieb. Man konnte keinen einzigen Krieger entbehren. Den Verteidigern des Freiwindpostens war es gelungen, den Angriff der Grimmtotems abzuwehren, und sie blieben den Bluthufen loyal ergeben. Jeder, der kämpfen konnte, hatte sich sofort freiwillig gemeldet, als Baine dort um Unterschlupf gebeten hatte. Mittlerweile verfügte er über zwei Dutzend gesunde Krieger und einige andere, die zwar dringend etwas Übung benötigten, deren Begeisterung und Leidenschaft das mangelnde Training jedoch mehr als wettmachten. Cairne war überall beliebt gewesen, und sein Sohn wurde respektiert und geschätzt. Es stand außer Frage, dass ein Taure, der nicht zu den Grimmtotems gehörte – oder vor ihnen in Angst lebte – sich nicht auf Baines Seite stellen würde.
Baine trug Furchtbrecher mit großem Stolz. Er hatte niemandem erklärt, wie er in den Besitz des Stabes gelangt war, da er Anduin auf keinen Fall in Gefahr bringen wollte. Die Waffe hatte seit Jahrzehnten kein Tageslicht mehr gesehen, vielleicht sogar seit Jahrhunderten. Trotz ihrer Größe würde sie nicht als Zwergenwaffe erkannt werden. Nahezu jede Waffe schien in den Händen eines Tauren klein zu sein. Wenn er nach Furchtbrecher gefragt wurde, sagte er nur: „Die Waffe wurde mir von einem Freund geschenkt, als Geste des Vertrauens und des Glaubens an meine Sache.“ Diese Erklärung schien den meisten auszureichen.
Sie zogen die Goldstraße hinauf und auf Camp Taurajo zu. Vom Sonnenfels hatte sie eine Nachricht erreicht. Die Tauren hatten dort einen Angriff zurückgeschlagen und sandten Truppen, um ihn zu treffen. Baines Armee marschierte völlig offen durch das Land und versteckte sich nicht. Jeder Grimmtotemspion, der sie zu Gesicht bekam, sollte Magatha berichten, dass sie sich nicht fürchteten. Tatsächlich wuchs ihre Zahl weiter an, als sie die feuchten Sümpfe der Düstermarschen hinter sich ließen und das trockene Brachland betraten.
Es waren nicht nur Tauren zu ihnen gestoßen, die ihre Sache unterstützen wollten. Mehrere Trolle waren unter ihnen, einige Orcs und sogar ein oder zwei der Verlassenen oder Sin’dorei. Die Verlassenen waren der Ansicht, dass sie den Tauren etwas schuldeten, da diese ihnen erlaubt hatten, der Horde beizutreten. Der Rest waren Söldner, die er dank Jaina, die ihm einen stattlichen Geldbetrag hatte zukommen lassen, hatte anheuern können. Ihre Künste würden sich, davon war Baine überzeugt, als entscheidend erweisen.
Ein Kodo erschien auf der Straße. Als er näher kam, erkannte Baine, dass Sturmlied auf dem Tier saß.
„Bringst du gute Neuigkeiten?“, fragte Baine.
„So gut wie nur eben möglich“, antwortete Sturmlied. „Gazlowe hat zugesichert, binnen vier Tagen alles, was wir brauchen, zu besorgen. Er hat nicht einmal die volle Summe angenommen. Vielmehr sagte er, ich solle Euch ausrichten, dass er Cairne stets mochte und Eure Sache unterstützt.“
„Wirklich?“ Baine blickte überrascht auf. „Eine Loyalitätserklärung von einem Goblin. Ich bin erfreut.“
Hamuul hatte mit den anderen Druiden gesprochen und trat nun vor. „Wie Ihr vorhergesagt hattet, wissen die Grimmtotems, dass wir kommen. Unsere Spione berichten, dass Donnerfels sich auf eine Belagerung vorbereitet. Die gute Nachricht ist, dass sie ihre gesamten Ressourcen und alle Krieger dort zusammenziehen und uns nicht auf der Straße angreifen werden.“
Baine nickte. „Sie glauben, Donnerfels sei unmöglich einzunehmen und der Kampf auf der Straße eine unnötige Verschwendung von Leben.“
Sturmlied schnaubte. „Ihr hättet Gazlowes Gesicht sehen sollen, als er die Liste durchlas. Die Matriarchin und ihre Anhänger werden eine große Überraschung erleben.“
Die Verstärkung vom Sonnenfels war zwar nicht sehr zahlreich, aber überraschend schnell eingetroffen. Die Krieger warteten bereits auf Baine, als er den Weg erreichte, der westwärts der südlichen Goldstraße nach Mulgore führte. Sein Herz hob sich, als er willkommen geheißen wurde und der Ruf „Baine! Baine! Baine!“ ertönte.
„Hört nur“, sagte Hamuul leise zu ihm. „Ihr bringt ihnen Hoffnung. Euer Plan ist kühn und riskant, aber das ist genau das, was zum Erfolg führen wird. Ihr habt die Beständigkeit Eures Vaters und Eure Fantasie, Baine Bluthuf, und Ihr werdet die Schlacht siegreich bestehen.“
„Ich bete darum, dass Ihr recht behaltet“, sagte Baine. „Wenn wir versagen, befürchte ich das Schlimmste für unser Volk.“
In Donnerfels, das vor kurzer Zeit noch von den lauten Siegesfeiern der Grimmtotems erfüllt gewesen war, herrschte völlige Stille. Der erste Sieg, durch Hinterlist in der Nacht errungen, war leichtgefallen. Doch nun bereiteten sich die Grimmtotems darauf vor, eine Armee abzuwehren, die von einem berühmten Anführer befehligt wurde. Es galt nicht mehr, harmlose schlafende Opfer abzuschlachten. Donnerfels eignete sich hervorragend zur Verteidigung, und die Grimmtotems konnten einer langen Belagerung standhalten. Dennoch freute Magatha sich keineswegs darauf, in der Stadt eingeschlossen zu sein.