Garrosh nickte. Er hatte alles über den jungen Bluthuf erfahren, was er wissen wollte, und war beeindruckt.
„Dann biete ich Euch den vollen Schutz und die Unterstützung der Horde an, Baine Bluthuf.“
„Und ich für meinen Teil biete für diesen Schutz und die Unterstützung die Loyalität des Taurenvolks.“ Baines Worte klangen steif, aber ehrlich. Garrosh wusste, dass er dem Wort des Tauren vertrauen konnte.
Er streckte seine Hand aus, und Baine ergriff sie.
„Für die Horde“, sagte Baine ruhig, obwohl seine Stimme bebte.
„Für die Horde“, antwortete Garrosh.
30
Es begann mit einem Gewitter.
Anduin hatte sich an die regelmäßigen und nicht seltenen wilden Regenstürme in Theramore gewöhnt. Doch bei diesem ging ihm der Donner durch Mark und Bein und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Immer wieder erhellten Blitze den Raum. Erneut krachte der Donner, und der Regen prasselte so hart gegen das Fenster, dass er glaubte, die Tropfen würden es zerschmettern.
Er stand auf und schaute nach draußen... oder versuchte es zumindest. Der Regen lief in so dichten Strömen am Fenster hinab, dass er unmöglich etwas erkennen konnte. Stimmen wurden im Gang laut. Er runzelte kurz die Stirn, warf sich etwas über und streckte seinen Kopf zur Tür hinaus, um herauszufinden, was geschehen war.
Jaina lief an ihm vorbei. Auch sie war offensichtlich gerade erst aufgewacht und hatte sich hastig etwas übergeworfen. Ihr Blick war klar, ihr Haar jedoch noch ungekämmt.
„Tante Jaina! Was ist los?“
„Eine Überschwemmung“, antwortete sie kurz angebunden.
Für eine Sekunde fühlte sich Anduin in die Zeit des Felssturzes in Dun Morogh zurückversetzt, als ebenfalls wütende, verstörte Elemente ihren Zorn an Unschuldigen ausgelassen hatten. Aerins Gesicht fiel ihm ein, aber er wischte die Erinnerung daran sofort beiseite.
„Ich komme.“
Jaina setzte bereits zu einem Protest an, lächelte dann jedoch nur besorgt und nickte. „In Ordnung.“
Rasch zog er seine Stiefel an, griff sich seinen Umhang und schon rannte er in Begleitung von Jaina und mehreren Dienern und Wachen nach draußen.
Der peitschende Regen und der tosende Wind rissen ihn beinahe von den Füßen. Das Wasser schien von der Seite statt von oben zu kommen und raubte ihm für einen Moment den Atem. Auch Jaina hatte Schwierigkeiten beim Gehen. Wie Betrunkene taumelten sie vorwärts.
Anduin wusste, dass Vollmond war, doch die schweren Wolken schluckten das Licht, das der Mond ihnen hätte spenden können. Die Wachen trugen Laternen, die nur wenig gegen die Finsternis ausrichteten. Eine Fackel wäre bei diesem sintflutartigen Regen keine Hilfe gewesen. Anduin zuckte zusammen, als seine Füße bis zu den Knöcheln im Wasser versanken. Sobald sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er, dass die ganze Umgebung mit Wasser bedeckt war. Es war nicht tief... noch nicht.
Im Gasthaus und in der Mühle brannten Lichter, und die Rufe waren wegen des Regens und des ständigen Donners kaum zu hören. Das Gasthaus lag auf einem Hügel, doch die Mühle stand bereits mehrere Zentimeter tief im Wasser.
„Leutnant Aden!“, schrie Jaina. Ein berittener Soldat riss sein Pferd herum und ritt auf sie zu. „Wir öffnen die Tore der Zitadelle für jeden, der Zuflucht sucht. Bringt sie hinein!“
„Aye, Mylady!“, rief Aden zurück. Er zerrte an den Zügeln und ritt unverzüglich in Richtung Mühle.
Jaina hob die Hände zum Himmel. Anduin konnte nicht hören, was sie sagte. Einen Herzschlag später fuhr er vor Schreck zusammen, als das Bild eines riesigen Drachenkopfes neben ihr erschien. Das Untier öffnete sein Maul und stieß eine riesige Flamme aus, die über das Wasser fuhr und es zum größten Teil verdampfen ließ. Sofort strömte Wasser nach, doch der Drachenkopf schien unermüdlich zu sein. Er spie unablässig Feuer, und Jaina nickte zufrieden.
„Zu den Docks!“, rief sie Anduin zu. Mutig rannte er, so schnell er konnte, durch das Wasser, das immer tiefer wurde, da der Boden sich absenkte. Ihm bot sich ein Anblick, der unter normalen Umständen komisch gewesen wäre, nun aber Ausdruck des Chaos war, das um sie herum herrschte: Alle Greifen waren ausgeflogen und hatten sich auf den verschiedenen Gebäuden niedergelassen. Ihre Gefieder waren völlig durchnässt, und sie krächzten aufsässig und blickten auf ihre Flugmeister herunter, die bettelten und fluchten: „Bitte, komm runter! Nun mach schon, du dämliches Vieh!“
Das Wasser reichte Anduin jetzt bis an die Knie, aber er, Jaina und die Wachen kämpften sich weiter entschlossen voran. Die Leute hatten sich, ebenso wie die Greifen, auf den am höchsten gelegenen Punkt geflüchtet. Dieser bot ihnen zwar Schutz vor dem ansteigenden Wasser, doch immer wieder zuckten Blitze über den Himmel, und was den Leuten anfänglich als gute Idee erschienen war, stellte sich nun als gefährlich heraus, da sie leicht von einem der Blitze erschlagen werden konnten. Anduin und die Wachen halfen einigen erschreckten Händlern und ihren Familien, wieder nach unten zu klettern und sich so in Sicherheit zu bringen.
Anduin zitterte. Sein Umhang und seine Stiefel waren völlig durchnässt. Das Wasser war eisig kalt, und er konnte seine Füße nicht mehr spüren. Dennoch machte er weiter. Menschen waren in Gefahr, und er musste ihnen helfen.
Er hatte gerade ein weinendes kleines Mädchen hochgehoben, als ein weiterer Blitz die Nacht erhellte. Als die Kleine sich an ihn klammerte, schaute er über ihre Schulter und bemerkte ein weißes, gezacktes Flackern in der Nähe des Piers. Ein ohrenbetäubender Donner folgte unmittelbar darauf, begleitet von den entsetzten Schreien einiger Menschen und dem Krachen berstenden Holzes. Zwei Schiffe, die an dem Pier vertäut waren, schaukelten wild im Wasser und wirbelten herum, als hätte ein wütender Riese sie geschubst.
Das Mädchen kreischte und umklammerte seinen Hals so fest, als ob es ihn erwürgen wollte. Ein weiterer Blitz raste über den Himmel, und Anduin hatte den Eindruck, als näherte sich eine riesige Welle den Docks. Er blinzelte und versuchte, sich den Regen aus den Augen zu wischen, der noch immer unablässig vom Himmel strömte und ihm über das Gesicht lief. Was er nun sah, konnte unmöglich wahr sein.
Ein weiterer Blitz erhellte die Umgebung, und die merkwürdige Welle war verschwunden – ebenso wie die Docks von Theramore und die beiden Schiffe. Er hatte sich nicht geirrt. Der Blitz hatte den Großteil der Docks zerschmettert, und die wütenden Wassermassen des Ozeans hatten den Rest besorgt. Trotz des prasselnden Regens hatte er das Gefühl, irgendwo Feuer gesehen zu haben.
Jaina packte ihn an der Schulter und brüllte ihm ins Ohr. „Bring sie zurück in die Zitadelle!“
Anduin nickte und spie das Regenwasser aus, das ihm in den Mund gelaufen war. „Ich komme dann gleich wieder zurück!“
„Nein! Das ist zu gefährlich!“ Jaina brüllte aus Leibeskräften gegen den Sturm an.
Wut und Enttäuschung machten sich plötzlich in Anduin breit. Er war kein Kind mehr. Er hatte starke Arme und einen kühlen Kopf. Verdammt, er konnte helfen! Doch er wusste auch, dass Jaina recht hatte. Er war der Erbe des Throns von Sturmwind und durfte sich nicht unnötig in Gefahr bringen. Einen Fluch murmelnd, wandte er sich um und watete durch das eiskalte Wasser.
Er zitterte nicht mehr, als er bei der Zitadelle eintraf, wo einige Diener die Opfer der Überschwemmung mit trockenen Tüchern versorgten und ihnen heißen Tee und etwas zu essen anboten. Anduin übergab das Mädchen behutsam einer alten Frau, die sofort herbeigeeilt war, als sie ihn bemerkt hatte. Er wusste, dass er völlig durchnässt war und seine Kleidung wechseln musste. Doch er konnte sich nicht dazu durchringen. Einer von Jainas Helfern blickte auf und sah ihn stirnrunzelnd an. Anduin starrte dumpf vor sich hin. Er war bis auf die Knochen durchgefroren. In einem fernen Teil seines Geistes erkannte er, dass er möglicherweise einen Schock erlitten hatte.
„Ich wünschte, ich hätte Furchtbrecher bei mir“, murmelte er.