„Keine Angst“, versicherte ihnen Graddock. „Wir suchen Moira und ihre Leute, nicht die guten Menschen von Eisenschmiede.“
Die Gnome jubelten.
Sie eilten weiter zur Halle der Forscher, in der sich zu dieser Zeit niemand aufhalten würde. Von dort aus war es nur ein kleines Stück an der Großen Schmiede vorbei zum Hohen Sitz. Der Gnom namens Brink hatte den Weg erkundet und meldete sich zurück.
„Dreiundzwanzig“, sagte er mit rauer Stimme. „Zehn sind Dunkeleisenwachen.“
„Nur zehn? Ich hatte mehr erwartet“, sagte Graddock. „Los geht’s.“
Anduin musste sich doch nicht ducken. Eine der Priesterinnen war Alchemistin und hatte sich bereit erklärt, einen Unsichtbarkeitstrank für ihn anzurühren. „Er hält nicht sehr lange an“, warnte sie ihn, „und schmeckt wie abgestandene Stiefel.“
„Ich kann recht schnell laufen“, versicherte ihr Anduin und nahm das kleine Fläschchen. Er entkorkte es und hustete, als ihm ein stechender Geruch in die Nase stieg. Die Priesterin hatte wohl recht, wenn sie sagte, dass der Trank nicht besonders gut schmeckte.
„Na dann, runter damit“, sagte er und hob das Fläschchen an die Lippen.
„Wartet einen Moment“, unterbrach ihn Rohan. „Da draußen geschieht gerade etwas...“
Im Hauptbereich herrschte Aufruhr. Mehrere Wachen rannten nervös herum und schienen noch grimmiger als üblich dreinzuschauen.
„Ich hoffe, dass Ihr nicht entdeckt werdet“, sagte Rohan ruhig. Eine der Wachen lief zur Halle der Mysterien, und Anduin zog sich in den Schatten zurück, bereit, den Trank zu sich zu nehmen, sobald es erforderlich wurde.
„Heiler! Kommt schnell, Ihr werdet gebraucht!“
„Was ist los?“, fragte Rohan und schaffte es, den Eindruck zu erwecken, gerade aus dem Schlaf gerissen worden zu sein.
„Es hat Kämpfe bei der Tiefenbahn gegeben“, sagte die Dunkeleisenwache.
„Wirklich?“ Rohan sprach mit lauter Stimme, damit Anduin ihn gut hören konnte. „Wie viele Verletzte? Ist der Ort abgeriegelt worden?“
„Ungefähr zehn. Nein, er ist nicht abgeriegelt worden, und es scheint auch Kämpfe in der Großen Schmiede zu geben. Bringt alle Priester her! Sofort!“
Rohan warf hastig einen entschuldigenden Blick über die Schulter, sammelte dann seine Sachen ein und eilte mit den anderen Priestern davon. Anduin war auf sich allein gestellt.
„Zu spät“, murmelte er. Wenn sein Vater und seine Meuchelmörder bereits bei der Schmiede waren...
Er hob das Fläschchen an die Lippen und schluckte den Trank in einem Zug hinunter, wobei er angewidert das Gesicht verzog.
Anduin Wrynn rannte, so schnell seine Beine ihn trugen, auf den Hohen Sitz zu, zu Moira... und zu seinem Vater.
Die ersten Wachen wurden leise erledigt. Die Gruppe verschmolz mit den Schatten und gönnte sich eine kurze Pause. Gegenüber der Schmiede lag der Hohe Sitz... Und genau dort standen einige Dunkeleisenzwerge.
„Wir teilen uns in zwei Gruppen auf. Ihr“, sagte Graddock und wies auf neun seiner Gefährten, „bleibt bei mir. Wir nehmen uns die Wachen bei der Schmiede vor. Die anderen gehen mit dem König. Bringt ihn zu Moira, koste es, was es wolle. Ist das klar?“
Er erhielt ein einmütiges Nicken zur Antwort. Trotz der Gefahren, denen sie sich gegenübersahen, schien keiner der Kämpfer nervös oder gar bekümmert zu sein. Varian bemerkte sogar, wie Brink herzhaft gähnte und sich genüsslich streckte. Er vermutete, dass diese Mission für sie etwas Alltägliches war, so wie er seinerzeit als Gladiator jeden Tag Gegner getötet hatte, die doppelt so groß gewesen waren wie er.
„In Ordnung. Lasst uns anfangen.“
Sofort bewegte sich die erste Gruppe vorwärts. Varian, dessen Augen sich in den vergangenen Stunden an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah, wie sie in der Finsternis verschwand. Nach kurzer Zeit hörte er Schreie: Die SI:7-Kämpfer griffen an, schnitten Kehlen durch, ergriffen verschreckte Zwerge und warfen sie in die Schmelze der Schmiede.
„Los, los!“ Brink stieß Varian mit dem Ellbogen in die Seite. Der König von Sturmwind brauchte keine weitere Ermutigung. Seine Gruppe stürmte die Große Schmiede entlang. Auf halbem Weg trafen sie auf die Wachen der Dunkeleisenzwerge, die hier postiert worden waren, und warfen ihnen Schmähungen zu. Varian freute sich nach dem ganzen nächtlichen Herumgeschleiche auf den offenen Schwertkampf Mann gegen Mann. Mit einem Kriegsschrei stürzte er sich auf die ersten Gegner. Schwerter prallten klirrend gegen Äxte und Schilde, und im trüben Licht stoben die Funken. Der Dunkeleisenzwerg war gut, das musste Varian ihm zugestehen. Vier Mal gelang es ihm, Varians Schläge abzublocken, bevor der König einen Gegenangriff abwehrte und dem Zwerg durch eine Lücke in seiner Rüstung das Schwert in die Brust trieb.
Er wirbelte herum, ließ sein Schwert kreisen und brachte eine andere Wache zu Fall. Der Zwerg schrie vor Schmerz auf, und Varian trat ihm hart ins Gesicht und hieb ihm mit seinem zweiten Schwert den Kopf von den Schultern. Er sah nicht mehr, wie der Kopf über den Boden rollte, denn er hielt bereits Ausschau nach dem nächsten Feind.
Seine Gruppe war in den Hohen Sitz eingedrungen. Schnell und gnadenlos hatten sie jeden Widerstand gebrochen. Natürlich würde Moira zu dieser Stunde nicht auf dem gestohlenen Thron sitzen, sondern sich mit ihrem Kind in ihren Privatgemächern aufhalten und schlafen.
Varian stürmte vorwärts. Die Tür, die zu den Räumen der falschen Königin führte, war das Einzige, woran er dachte. Aus vollem Lauf krachte er mit der gepanzerten Schulter gegen sie, doch sie hielt seinem Angriff stand. Immer wieder rannte er gegen die Tür an, und plötzlich hatte er zwei SI:7-Kämpfer zur Seite, die ebenfalls ihre Schultern einsetzten.
Schließlich zersplitterte die Tür. Halb rannten sie, halb taumelten sie in den Raum. Varian hörte eine Frau schreien und das Weinen eines verschreckten Kindes. Er achtete nicht darauf und schlug mit seinen Schwertern auf die beiden Zwerge ein, die ihn plötzlich angriffen. Sie fielen schnell, und seine Rüstung war über und über mit ihrem Blut befleckt. Eines seiner Schwerter war fest im Brustkorb eines Zwergs verkeilt, und nach einem vergeblichen Versuch, es wieder freizubekommen, ließ Varian die Waffe einfach stecken. Er wirbelte herum, ergriff das ihm verbliebene Schwert mit beiden Händen und suchte seine Beute.
Moira Bronzebart lag im Nachthemd und mit zerzausten Haaren im Bett. Ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen. Varian riss sich die Maske herunter, die sein Gesicht verdeckt hatte, und Moira stöhnte entsetzt auf, als sie ihn erkannte. Mit zwei Schritten war er bei ihr, packte sie am Arm und zerrte sie aus dem Bett. Sie wehrte sich, doch seine Hand hatte sich wie ein Schraubstock um ihren Oberarm geschlossen.
Sie stolperte, als er sie aus dem Raum zog, doch das war ihm völlig egal. Die sich heftig wehrende Zwergin hinter sich herziehend, marschierte Varian in den offenen Bereich nahe der Schmiede, wo sich mittlerweile die Bewohner von Eisenschmiede versammelten. Während er sie mit einer Hand festhielt, presste er ihr mit der anderen die Klinge seines Schwertes gegen den Hals.
„Seht die Thronräuberin!“, schrie Varian, der seine Identität nicht länger geheim halten musste. Seine Stimme hallte durch den Raum. „Sie ist das Kind, das Magni Bronzebart zahllose Tränen hat vergießen lassen, sein geliebtes kleines Mädchen. Wie sehr würde er leiden, könnte er sehen, was sie seiner Stadt und seinem Volk angetan hat!“
Die Menge starrte ihn ungläubig an. Selbst die Dunkeleisenzwerge wagten nicht, sich zu bewegen, solange ihre Kaiserin sich in unmittelbarer Gefahr befand.
„Dieser Thron gehört nicht Euch. Ihr habt ihn Euch durch Täuschung angeeignet, durch Lügen und gemeine Intrigen, ebenso wie den Titel der Königin, den Ihr nicht verdient habt. Eure eigenen Untertanen habt Ihr bedroht, obwohl sie nichts Unrechtes getan haben. Ich will Euch keinen Augenblick länger auf dem geraubten Thron se...“