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Die Grimmtotems sind nun offiziell unsere Feinde, statt verräterische Betrüger zu sein, denen du dein Herz geöffnet hattest. Sie hatten sich dein Vertrauen erschlichen und eiskalt einen Schlag gegen dich geplant. Die Tauren werden nicht noch einmal von ihnen überrascht werden – niemals. Und was Garrosh angeht... Ich glaube wirklich, dass er nichts von Magathas Verrat wusste. Er ist vieles, aber ein verräterischer, intriganter Mörder ist er nicht. Garrosh will unbedingt wissen, ob er ehrlich gewonnen hat, damit er sich legitim in der Ehre sonnen kann. Er...“

Thrall verstummte. Er war zutiefst bestürzt über den Mord an seinem Freund und über das Gemetzel, das Cairnes Tod gefolgt war. Doch gleichzeitig war er froh, dass die Tauren unter einem solch fähigen Anführer wie Baine wieder in Frieden lebten.

„Cairne“, sagte er langsam. „Ich habe die Horde gegründet. Ich hauchte ihr ihren Geist ein, gab ihr ein Ziel, eine Richtung. Aber dennoch... scheint mir diese Aufgabe, dieses Ziel... nicht länger meine Bestimmung zu sein. Wie kann ich die Horde führen, wenn meine Bestimmung eine andere ist?“

Seine einst so sicheren Instinkte ließen nach. Er vergrub sein Gesicht in den Händen, und die schwarze Rüstung knarrte bei jeder Bewegung. Thrall fühlte sich... verloren... zerrissen. Wieder sah er sich im Nebel stehen... bei dem Ritus der Sicht, und seine Rüstung knarrte und fiel von ihm ab. Die Angst hatte ihn fest im Griff... Er war völlig hilflos. Ihn schmerzte die Erkenntnis, dass die Horde unweigerlich in einen Bürgerkrieg geraten würde, wenn er mit seinem Geist und seinem Herzen nicht bei ihr war. Wie sehr er auch verurteilte, was Garrosh in seiner Abwesenheit angerichtet hatte, so war doch er selbst es gewesen, der den jungen Höllschrei zum Kriegshäuptling gemacht hatte. Er trug die Verantwortung für das, was geschehen war, in gleichem Maße wie Garrosh. Letztlich konnte man dem Jungen nur vorwerfen, dass er die Herausforderung mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen angenommen hatte. Er würde die Horde nicht zwingen zuzusehen, wie er und Garrosh sich deshalb bekämpften.

„Ich habe es dir noch nie erzählt, aber ich wünschte, ich hätte es. Weißt du“, fuhr er ruhig fort, „meiner Meinung nach warst du stets das Herz der Horde, Cairne. Du und die Tauren. Während viele andere in der Horde den Krieg herbeisehnten und dunklen Pfaden folgten, hörtest du auf die Weisheit der Erdenmutter und rietest uns, andere Wege zu gehen. Du hast uns Vergebung und Mitleid gelehrt und warst unser Herz, unser wahres spirituelles Zentrum.“

Als er diese Worte aussprach, wusste Thrall, dass es an der Zeit war, seinem Herzen zu vertrauen. Es führte ihn fort von Orgrimmar, fort von der Horde, hin zu einer leidenschaftlichen und heißblütigen jungen Schamanin und den stolzen orcischen Traditionen, die sie repräsentierte.

Es führte ihn zum Herzen der Welt.

Voller Schmerz schloss er die Augen. Er wollte nicht, dass diese Entscheidung die richtige war. Es war zu schwer und würde einen großen Umbruch bedeuten. Viele Leute würden verletzt sein. Es gab so viele Gründe, warum er bleiben sollte, und alle schienen sie vernünftig und logisch zu sein, wichtig und sogar überlebenswichtig. Und doch war da der eine Grund, aus dem er gehen sollte. Er war mystisch und mysteriös und schien ihm alles andere als einleuchtend zu sein.

Aber es war die richtige Entscheidung, die einzige Entscheidung. Wind kam auf, zupfte sanft an seinem Haar und zerrte an seiner Seele. Seine Haut prickelte. Thrall erkannte, dass die Entscheidung bereits getroffen war.

Ihm war sehr deutlich gezeigt worden, was er zu tun hatte: Wenn er weiterhin Kriegshäuptling blieb, würde er versagen. Um die Horde und seine Welt zu retten, blieb ihm nur eines zu tun, und er wusste genau, was das war.

Langsam stand Thrall auf. Die untergehende Sonne, An’she für das Taurenvolk, verwandelte seine schwarze Rüstung in einen Rausch der Farben. Bedächtig begann er, sich ihrer zu entledigen. Als Erstes löste er die Schulterstücke und legte sie ab. Mit einem klirrenden Geräusch fielen sie in das weiche grüne Gras. Als Nächstes öffnete er die Halterungen der Brustplatte. Einst war sie von einem Schlag durchbohrt worden, der Schicksalshammer das Leben gekostet hatte. Der Schlag war hinterhältig gewesen, denn er war von hinten gekommen: Ein Speer hatte den Rückenpanzer zerschmettert und die Brustplatte von innen durchbohrt. Thrall hatte befohlen, sie zu reparieren, damit sie wieder verwendet werden konnte.

Stück für Stück legte er die Rüstung von Orgrim Schicksalshammer, die Rüstung des Kriegshäuptlings der Horde, ab und warf ihre Teile auf einen Haufen. Thrall griff in seinen Beutel und holte ein schlichtes braunes Gewand hervor, zog es sich über den Kopf und legte sich eine Kette mit Gebetsperlen um den Hals. Aggras Worte fielen ihm wieder ein. Wir tragen keine Rüstung bei unseren Initiationen. Es ist eine Wiedergeburt, kein Kampf. Wie eine Schlange legen wir die Haut desjenigen ab, der wir vorher waren. Wir müssen uns dieser Wiedergeburt ohne jegliche Lasten stellen, ohne engstirniges Denken und Ansichten, die wir zuvor vertreten haben. Wir müssen einfach, rein und bereit sein, um uns mit den Elementen zu verbinden und sie ihre Weisheit in unsere Seelen schreiben zu lassen.

Er zog die Stiefel aus und erhob sich. Seine nackten grünen Füße standen fest auf dem Boden, auf der harten Erde. Er breitete die Arme aus und warf den Kopf zurück. Seine blauen Augen waren geschlossen. Er begrüßte die Ankunft der Dämmerung nicht als der Kriegshäuptling in seinem zeremoniellen Gewand, denn das war er nicht mehr. Die Elemente hatten es ihm gezeigt. Möglicherweise hatte er gerade noch rechtzeitig gehandelt, sich entschlossen, die Rüstung und den Titel des Kriegshäuptlings abzulegen. Die Entscheidung lag in seinen Händen, und er hatte sie frei und in aller Ruhe getroffen.

Thrall war Schamane. Seine Verantwortlichkeit lag nicht länger bei der Horde, sondern bei Azeroth selbst und den Elementen, die um Hilfe schrien. Er musste sie vor der schrecklichen Katastrophe bewahren, die ihnen drohte, und sie heilen, wenn sich herausstellen sollte, dass er nicht rechtzeitig gekommen war. Der Wind, der immer noch warm und sanft blies, schien ihn zu streicheln.

Thrall senkte den Kopf und öffnete die Augen. Sein Blick fiel ein letztes Mal auf den Leichnam seines Freundes. Als An’she im Westen unterging und Donnerfels zu einer atemberaubenden Silhouette machte, fiel ein letzter Strahl auf seinen Körper. Auf Cairnes Brust waren alle rituellen Verzierungen angebracht, die er im Leben getragen hatte – Federn, Perlen, Knochen. Doch da lag noch etwas anderes, Teile eines zerbrochenen Stabes, die mit Blut und Schnitzereien bedeckt waren.

Thrall erkannte, dass er auf die Überreste des legendären Runenspeers der Bluthufe hinabblickte, den Blutschrei zerschmettert hatte, bevor Garrosh den tödlichen Hieb ausgeführt hatte.

Mit dieser Erkenntnis überkam ihn ein unbeschreibliches Gefühl des Verlustes, und Thrall begriff, dass der Schmerz, den er bis zu diesem Moment verspürt hatte, nichts war im Vergleich zu dem Leid, das er nun empfand. Er würde sein ganzes Leben ohne die freundlichen Worte, die Weisheit und den Humor seines alten Freundes bestehen müssen.

Aus einem Impuls heraus sprang er wieder auf den Scheiterhaufen. Die Stangen, die das Holz vor dem Herunterrutschen bewahrten, wackelten ein wenig, gaben unter seinem Gewicht jedoch nicht nach. Vorsichtig legte er eine Hand auf Cairnes Stirn und nahm dann behutsam und ehrfürchtig das kleinste Stück des zerbrochenen Runenspeers an sich. Als er es in seiner Hand umdrehte, durchfuhr ihn ein Schauder.

Der Splitter, den er ausgesucht hatte, wies nur eine einzige Rune auf: Heilung. Er würde ihn behalten, um sich an Cairne zu erinnern und immer mit seinem Herzen in Kontakt zu stehen.

Thrall sprang leichtfüßig von dem Scheiterhaufen herunter und ging langsam in Richtung der untergehenden Sonne. Er blickte nicht zurück.

Der Wind ließ ihn frösteln, nachdem die Sonne hinter dem Horizont versunken war. Es gab noch so vieles, das mit Baine besprochen werden musste, so viele Dinge, die erledigt werden mussten. Doch vorher wollte Thrall noch ein wenig mit Aggra auf diesem friedlichen Land sitzen. Sie war noch nie hier gewesen, aber wie er hatte auch sie die Freundlichkeit und Ruhe dieses Ortes gespült. Sie...