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Mein Zorn verpuffte. Schrumpfte in sich zusammen wie ein geplatzter Luftballon. Vielleicht ging das zum Teil auf Kotjas speziellen Charme zurück. Zum Teil lag es jedoch auch an seinen überzeugt vorgetragenen Erklärungen.

»Du brauchst auf meine Worte nichts zu geben«, fuhr Kotja müde fort. »Ich könnte mit den Arkanern einfach etwas arrangieren, mir werden sie das nicht abschlagen. Schlimmstenfalls könnte ich selbst einen Durchgang öffnen. Dazu bin ich nämlich durchaus imstande!«

»Und dann?«

»Dann besuchen wir sie«, erklärte Kotja. »Damit du dich selbst davon überzeugen kannst, ob es ihnen gut geht. Danach kannst du dann entscheiden, ob es nötig ist, ein besseres Schicksal zu suchen als das, was wir auf unserer Erde haben!«

Er trat auf mich zu und fasste nach meinem Ärmel.

»Rühr mich nicht an«, bat ich.

»Warum spielst du die beleidigte Leberwurst, Kirill? Ich durfte dir doch nichts enthüllen! Auch ich habe meine Verpflichtungen und Prinzipien. Wenn du willst, hau mir eins auf die Ohren, auf die sensiblen Punkte! Na, mach schon, ich werde mich nicht wehren!«

»Die haben Nastja ermordet.«

»Woher sollte ich das wissen?«, rief Kotja. »Woher um alles in der Welt hätte ich das wissen sollen? Ich würde Natalja dafür selbst gern einen Kopf kürzer machen, wenn du sie nicht schon umgebracht hättest! Geplant war doch, dass ihr euch einigt. Natalja sollte euch eine Art Hausarrest erteilen - und damit basta! Ich hab’s ja gewusst. Ich hab ja gewusst, dass man einem sexuell unbefriedigten Weib nicht über den Weg trauen darf! Um Nastja tut es mir leid, Kirill! Aber selbst ich kann sie nicht von den Toten auferstehen lassen.«

»Tut es dir wirklich leid um sie?«, fragte ich.

»Ja. Sehr. Ich bin kein Engel. Was ich alles schon miterleben musste - du würdest grau werden und nachts vor Furcht schreien.« Mit einem Mal blickten seine Augen ungewöhnlich hart drein. »Aber wenn eine schöne junge Frau stirbt, leide ich immer mit.«

»Du bist ein Misanthrop, Kotja«, winkte ich müde ab. »Selbst als Kurator.«

»Schon möglich. Aber mach du erst mal zwei Weltkriege und eine Handvoll Revolutionen durch, dann wirst du genauso ... Gehen wir, Kirill! Selbst mir wird es zu kalt! Warum zierst du dich wie eine Achtklässlerin vorm Gynäkologen!«

»Und ordinär.«

»Hab du erst mal tausend Freundinnen ...«

»Ich bin nicht du. Ich bin kein Funktional mehr, mir winken solche Eroberungen nicht mehr.«

»Jetzt hör auf, den Dummkopf zu spielen!« Kotja zog mich jetzt hinter sich her. »Wir werden schon einen Ausweg finden. Als Erstes suchen wir dir eine interessantere Arbeit. Wie wäre es als Hebamme, hä? Dann brauchst du nicht mehr an der Leine zu gehen! Allerdings müsstest du in einer anderen Welt arbeiten, das ist nun mal die Regel ... Aber Kimgim hat dir doch gefallen, oder? Und Orysaltyn ... Kennst du diese wunderschöne Stadt? Ihr Moskau, wenn du so willst ... Ich bin häufig da.«

Mir schwirrte bereits der Kopf von alldem, was in der letzten Stunde geschehen war. Ich wollte mich betrinken. Oder hinlegen und einschlafen. Oder am besten: betrinken und einschlafen.

Aber als Kotja mich zu einem verschämt am Straßenrand stehenden Nissan zog, staunte ich dennoch nicht schlecht. Kein allzu teurer Wagen, aber ich hatte immer angenommen, Kotja könne gar nicht fahren - bei seiner Kurzsichtigkeit.

»Wozu trägst du eine Brille?«, fragte ich, als ich auf dem Beifahrersitz Platz nahm.

Kotja ließ den Motor an und schaltete die Heizung ein. Er rieb die Hände gegeneinander und behauchte sie. In der Tat, auch er war durchgefroren.

»Die Brille?« Er warf mir einen belustigten Blick zu. »Damit gefalle ich den Weibern besser. Mit Brille sehe ich naiv und unschuldig aus.«

Ich hüllte mich in Schweigen.

Der Motor lief warm, Kotja fuhr vom Gehsteig auf die Straße. Er lenkte das Auto virtuos, das registrierte ich sofort. Vermutlich tat er alles virtuos. Eben wie ein Kurator...

»Weißt du, am Ende ist es sogar besser so«, bemerkte er nachdenklich. »Natürlich tut es mir um Nastja leid ... Aber dafür brauche ich dir jetzt nichts mehr vorzumachen. Und du bist deine Leine los. Was ist nun? Willst du Hebamme werden? Das ist sehr interessant, glaub mir! Außerdem sollten diese Funktion ohnehin Menschen mit Herz besetzen, mit Empathie ... nicht jemand wie diese Iwanowa ... Ich sterbe vor Neugier, Kirill! Wie hast du sie denn nun kaltgemacht?«

»Das war eigentlich nicht ich. Der Turm.« Seufzend erinnerte ich mich an das seltsame Gefühl, mit dem die unsichtbare Verbindung zu meiner Funktion zerrissen war. »Eine Szene wie aus einem Horrorfilm. Die Decke hat sich gespalten, und ein nacktes Kabel hat sich um Nataljas Hals geschlungen und sie nach oben gezogen. Dann haben sich die Platten wieder zusammengeschoben. Wie Kiefer.«

»Das ist nicht gelogen?«, fragte Kotja.

»Nein. Genauso ist es gewesen.«

Kotja riss das Steuer scharf herum. Wir fuhren gerade aus dem Tunnel heraus auf die Rigaer Brücke zu, aber er bog nicht auf den Prospekt ein, sondern in eine zu dieser frühen Stunde wie ausgestorbene Straße, die uns nach Ostankino brachte. Er hielt am Straßenrand, den Garagen und Flugzeughallen säumten.

»Das ist schlecht, Kirill«, meinte er, den Blick auf mich gerichtet, mit unverfälschter Traurigkeit. »Du machst dir ja gar keine Vorstellung, wie schlecht das ist.«

»Warum? Lebt sie noch?«

Kotja schüttelte den Kopf. »Kennst du den Witz vom Jungen und Väterchen Frost?«

»Welchen?«

»Den, wo der Junge Väterchen Frost sieht und schreit: ›Du lebst ja! Du existierst ja!‹ Daraufhin antwortet Väterchen Frost: ›Ja, ich existiere wirklich. Und jetzt muss ich dich umbringen.‹«

Der Motor knurrte, aus der Heizung blies uns warme Luft entgegen. In der Ferne ratterten die Räder der Eisenbahn. Die Autos fuhren jetzt schon in einem ununterbrochenen Strom über die Brücke. Die Stadt erwachte, die Stadt begann einen neuen Tag.

Kotja sah mich streng und betrübt an.

»Warum, Kotja?«, wollte ich wissen.

»Das braucht dich nicht mehr zu interessieren«, sagte Kotja bitter.

Seine Hand schnellte vor und schloss sich um meine Kehle. Nur die linke Hand - und dennoch glaubte ich, eine Schmiedezange hielte mich gepackt. Mir wurde schwarz vor Augen, die Welt fing an, sich in einem Abschiedswalzer zu drehen.

»Es tut mir sehr leid ...«, drang aus der wattigen Leere Kotjas Stimme zu mir durch.

Mit letzter Kraft, in der es bereits keinen Funken Verstand mehr gab, blind und hilflos schlug ich mit der rechten Hand auf ihn ein, wobei ich auf seinen Kopf oder seinen Hals zielte. Kotja machte eine beiläufige Geste, als vertreibe er eine Fliege - doch ich begriff, dass er mir mit dieser spielerischen Bewegung alle Knochen meiner Hand zu brechen gedachte.

Sie brachen nicht.

Sein Block, gut und solide, stand, aber ich überwand ihn trotzdem. Und meine ungelenk geballte Faust traf Kotja am Kinn.

Es sah aus, als sause eine Abrissbirne durch das Auto, die in diesem Fall jedoch nicht die Mauern der Häuser einriss, sondern Konstantin Tschagin die Fresse polierte. Es fegte seine Hand einfach von meiner Kehle weg. In einem Halbrund aus spritzendem Blut flog Kotja zusammen mit der Tür aus dem Wagen. Glas splitterte, die eingeknautschte Tür legte sich ihm wie ein eisernes Jabot um den Hals. Im Flug verhakte sich sein Fuß am Lenkrad, das er samt Stange herausriss. Das Steuer wurde rund zehn Meter weggeschleudert, wobei sich unterwegs der Airbag aufblies, sodass jenes gänzlich unschuldige Bauteil darauf sanft wie eine Raumsonde im Schnee landete.

Kotja lag da und schüttelte den Kopf. Aus der Tür hagelte es Glassplitter. Insgesamt erinnerte er stark an einen Eisbären, der das Wasser von sich abschüttelt.

Ohne etwas zu begreifen, krabbelte ich aus dem Auto. Irgendwo in den Metallgedärmen des zerbeulten Nissans fiepte die Alarmanlage los - und verstummte wieder, als sei sie zu dem zutreffenden Schluss gelangt, es übersteige ihre Kräfte, die Situation zu ändern.