»Falls es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Ihnen gern noch eine kleine Frage stellen!«, bat ich. »Nur eine einzige. Sagen Sie, wie heißt in der Phantastik normalerweise eine Welt, die parallel zu unserer existiert?«
»Was meinen Sie damit?«, fragte der Schriftsteller begriffsstutzig.
»Also wenn jemand einen Planeten entdeckt, der der Erde weitgehend entspricht. Wie heißt der dann? Erde-2?«
»Vermutlich schon«, bestätigte Melnikow. »Es gibt da zum Beispiel einen exzellenten Schriftsteller, ein Klassiker der amerikanischen ...«
»Und wenn gleich ein Dutzend erdgleicher Planenten entdeckt werden?«
Melnikow sagte kein Wort. »Ja?«, fragte er misstrauisch. »Haben Sie die etwa entdeckt? Und nun?«
»Heißen die auch Erde-2, Erde-3 und so weiter?«
»Ich würde doch annehmen, dass im Prinzip die Nummerierung bei Eins anfinge«, antwortete Melnikow wie aus der Pistole geschossen. »Die Bezeichnung Erde-2 unterstriche die Einzigartigkeit unseres Planeten. Sollte die Zahlenreihe jedoch sehr lang sein, würde die Einmaligkeit der Originalerde durch nichts deutlicher betont als durch das Fehlen einer Nummer.«
»Vielen Dank«, sagte ich aufrichtig. »Diesen Gedanken hatte ich auch schon. Danke!«
Ich unterbrach die Verbindung und sah den Fahrer an.
»Ist was nicht in Ordnung?«, fragte er.
»Irgendwas ist nie in Ordnung.«
»Das stimmt. Meine Reifen sind schon völlig runter. Und die Straße ist die reinste Rutschbahn! Was denkt der Bürgermeister sich eigentlich dabei? Eine Großstadt, die Hauptstadt, viele Autos, viel Geld ...«
Ich saß mit geschlossenen Augen da und lauschte seiner weit ausholenden Klage.
»Was haben die Menschen nicht alles entwickelt - und was nützt ihnen das? Hier führen sie Krieg, da liegen sie sich in den Haaren. Wir haben nur eine Welt, und die können wir nicht teilen. Aber das Glück, das kannten wir früher nicht und kennen es auch heute nicht ...«
»Keine Sorge«, antwortete ich. »Glauben Sie mir, das kommt schon alles noch.«
Das Auto holperte über die löchrige Straße und schlingerte immer wieder mal auf die eine, mal auf die andere Seite. Ich musste zu meinen Eltern fahren. Und außerdem Fahrkarten kaufen. Cashew suchen. Wenn die Zeit der schlechten Wunder anbricht, muss man in sich den Mut finden, gut zu bleiben. Ich fuhr mit dem Daumen über den kalten Metallring und wiederholte: »Das kommt schon noch.«
Informationen zum Buch
Titel der russischen Originalausgabe:
ЧEPHOBИK
Deutsche Übersetzung von Christiane Pöhlmann
Die gereimten Zweizeiler in Kapitel 12 und 17 dichtete Erik Simon nach.
Redaktion: Erik Simon
Lektorat: Sascha Mamczak
Deutsche Erstausgabe 11/07
Copyright © 2005 by S. W. Lukianenko
Copyright © 2007 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
http://www.heyne.de
Umschlagillustration: Dirk Schulz
eISBN : 978-3-894-80443-5
www.randomhouse.de