»Reingefallen«, brachte sie lächelnd hervor - um gleich darauf markerschütternd loszujammern: »Hilfe! Mörder! Ein Mör...«
Mir blieb nicht die geringste Chance, noch etwas zu unternehmen! Weder schaffte ich es, die Hand mit dem Messer zu senken, noch ihr den Mund zuzuhalten. Während Natalja in einem fort schrie, erhob sie sich zusammen mit dem an ihren Hintern festgezurrten Hocker und stürzte sich nach vorn. Direkt ins Messer hinein.
Die Schneide des dämlichen chinesischen Messer drang ihr unter der linken Brust ins Fleisch. Ein Schwall Blut spritzte mir auf die Hand. Als ersticke sie an ihrer eigenen Stimme, hörte die Frau auf zu schreien. Sie riss den Kopf hoch. »Und was willst du jetzt tun, Kirja?«, flüsterte sie.
Ich sprang zurück, wobei ich unwillkürlich das Messer aus der Wunde zog. Sich krümmend fiel Natalja zu Boden. Unter ihrem Körper sickerte Blut hervor, das sich in dem aufgeschnittenen Linoleum sammelte. Cashew knurrte los, presste sich auf den Boden und kroch langsam auf sie zu.
Nie zuvor in meinem Leben hatte mich solche Furcht gepackt.
Immer hatte ich geglaubt, all die »zitternden Hände«, die »Beine wie Watte« und der »kalte Schweiß« entsprängen der Phantasie von Schriftstellern. War ich bislang in die Bredouille geraten, hatte mich das - ganz im Gegenteil - umtriebig werden und praktisch handeln lasen. Mein Vater hielt für solche Situationen die Erklärung »Adrenalinreaktion auf Stress« parat.
Jetzt sackte ich nur deshalb nicht weg, weil ich am Türpfosten lehnte. Doch mir zitterten die Beine, und ich war schweißgebadet. Das Messer hielt ich noch immer in der ausgestreckten Hand, meine Finger pressten sich um den Griff, als wollten sie ihn nie loslassen.
Aber wozu hätte ich es wegwerfen sollen? Um der Miliz einen Gefallen zu erweisen? Am besten wäre es vermutlich, ich würde mich, Nataljas Beispiel folgend, ebenfalls erstechen. Sollten die Ermittler ruhig an der Version von einer unglücklichen Liebe basteln. Mit einem Dolch hatte er sie beide getötet ...
An der Tür klingelte es.
Das hatte mir gerade noch gefehlt.
»He, Nachbarin!«, vernahm ich die Stimme von Pjotr Alexejewitsch. »Ist bei dir alles in Ordnung? Natascha?«
Als Natalja zu Boden gestürzt war, hatte ich eine Sekunde lang gehofft, mit ihrem Tod würde sich dieser Spuk auflösen. Meine Freunde würden sich wieder an mich erinnern, die Nachbarn, die Kollegen ...
Aber nein, das musste ich mir abschminken.
Immer noch war ich der Mann ohne Vergangenheit - der obendrein ein Messer in der Hand hielt und zu dessen Füßen eine Leiche lag. Und kein Schwein würde mir glauben, dass Natalja absichtlich ins Messer gelaufen war.
Jetzt klopfte es an der Tür.
Cashew, der neben Nataljas Körper lag, jaulte los. Und zwar in einer ekelhaft durchdringend Weise. Nie hätte ich gedacht, dass er in der Lage ist zu heulen, ja, mehr noch: sein Frauchen zu beweinen.
Aber was zum Teufel hieß hier Frauchen?! Eine Schwindlerin und Selbstmörderin!
Cashew winselte ganz besonders erbärmlich. Ich beugte mich zu ihm hinunter, wollte ihn auf den Arm nehmen, um ihn zu beruhigen (alle Hundezüchter raten von einem solchen Verhalten ab, aber wer einmal das Gejammer eines Welpen gehört hat ...). Sofort starrte Cashew mich mit gebleckten Zähnen an.
Der Hund beargwöhnte mich.
Alle würden mich beargwöhnen.
Man würde mich ins Gefängnis stecken. Was musste ich auch mit einem Messer in eine fremde Wohnung eindringen?!
»Ich habe schon die Miliz gerufen!«, vernahm ich von jenseits der Tür die schrille Stimme meiner Nachbarin. »Gleich sind sie da und sorgen für Ordnung!«
In der Stimme lag ein Blutdurst, der gar nicht unbedingt mit meinem Blut gelöscht werden musste, sondern der durchaus mit einem x-beliebigen gestillt werden konnte, sofern es denn nur floss, dieses Blut, sofern sich nur etwas ereignete, worüber sie mit ihren Freundinnen am Telefon tratschen konnte. Und dieser Blutdurst war es denn auch, der meinen Blick auf das Messer lenkte. Ob ich rausgehen und die alte Krähe abstechen sollte? Letztendlich erwiese ich der Menschheit damit eine Wohltat. Oder fehlte mir dazu der Mumm?
Vermutlich schon. Ich würde sie nicht abstechen. Und auch Natalja hätte ich nicht angerührt, das hatte diese ganz richtig erkannt.
Brauchte unsere Miliz lange, um auf einen Anruf zu reagieren?
Doch was spielte das schon für eine Rolle? Durchs Fenster würde ich nicht ausbüxen können, nicht im fünften Stock. Vor der Tür stand Pjotr Alexejewitsch Wache, ein Mann, auf den trotz seiner Sauferei und Grobheit Verlass war. Ein Schlag von ihm zwischen die Hörner, und ich würde den Boden küssen.
»Ich sitze ganz schön in der Tinte, Cashew«, stieß ich aus. »Und sogar du hast mich verraten.«
Cashew knurrte.
Aus seiner Sicht hatte er niemanden verraten, im Gegenteil, er hatte sein Frauchen so gut er konnte verteidigt.
Einen Bogen um den Hund machend, durchquerte ich das Zimmer. Ich spähte aus dem Fenster. Ob jetzt, wo die Welt verrückt spielte, vor meinem Fenster eine Feuerleiter entstanden war?
Natürlich nicht. Dafür fuhr ein Wagen der Miliz gemächlich auf den Hof. Die Sirene war ausgeschaltet, das Blaulicht allerdings in Betrieb.
Das war’s dann wohl.
An den Orten echter Verbrechen trifft die Miliz stets zu spät ein, aber in meinem Fall ...
An der Tür setzte jetzt ein Dauerklingeln ein. Aus irgendeinem Grund fiel mir ein Streich ein, den meine Freunde und ich in unserer frühen, noch unbeschwerten Kindheit unseren Mitmenschen gespielt hatten: Wir waren durch Treppenhäuser gerannt und hatten an fremden Türen geklingelt. Als wahre Meisterleistung galt es, übermäßig lange zu klingen, es aber trotzdem zu schaffen wegzurennen, bevor geöffnet wurde. Eines Tages erwischte uns ein Mann vom Schlage Pjotr Alexejewitschs, der sehr leise durch seine Wohnung schlich, extrem schnell durchs Treppenhaus raste und es für eine angemessene pädagogische Maßnahme erachtete, seinen Gürtel am Podex eines minderjährigen Knirpses zu erproben.
Ich ging zur Tür. Erst als ich an etwas hängen blieb, starrte ich ungläubig auf das aus meiner Faust herausragende Messer. Schließlich warf ich es zu Boden. Welchen Sinn sollte es angesichts der erdrückenden Beweislast haben, die Fingerabdrücke abzuwischen?
Die Klingel schrillte in einem fort, und nichts schien dringender, als dieses Geräusch abzustellen.
Benommen schloss ich auf und öffnete die Tür.
Vor mir standen Pjotr Alexejewitsch und Galina Romanowna. Anscheinend hatten sie schon nicht mehr damit gerechnet, dass die Tür noch aufgehen würde. Vermutlich hätte ich in diesem Moment lospreschen, an ihnen vorbeispringen und nach unten stürmen können. Direkt in die Arme der Miliz ...
Pjotr Alexejewitsch hielt nach wie vor den Finger auf der Klingel.
»Aaaah!«, stieß Galina ein lang gezogenes Heulen aus, während sie den Blick starr auf meine Hände gerichtet hielt. »Blut! Blut! Er hat sie ermordet!«
Und dann - was ich nie und nimmer für möglich gehalten hätte - verdrehte sie die Augen und fiel in Ohnmacht.
Dafür reagierte Pjotr Alexejewitsch genauso, wie ich es erwartet hatte. Auf mein Gesicht schoss eine gewaltige Faust zu, die Welt drehte sich, und wie ein Sack Kartoffeln plumpste ich neben meine Nachbarin.
Selbst während er mich zu Boden schickte, läutete der Nachbar weiter. Oder klingelte es bloß in meinen Ohren? Ich schüttelte den Kopf und versuchte, zu mir zu kommen. Vor meinen Augen standen, warum auch immer, plötzlich zwei Paar grober Schnürstiefel, alles andere verschwamm, lag nicht in meinem Fokus.
»Hören Sie mit dem Geklingel auf!«, schlängelte sich eine strenge Stimme durch das Läuten. »Und machen Sie ja keine Mätzchen! Sparen Sie sich jede weitere Prügelei!«
Jemand sprang über mich hinweg und schaute in die Wohnung. Dann fügte dieselbe, wenn auch leicht veränderte Stimme hinzu: »Dafür gibt es bei uns schließlich die Miliz!«