Die Stiefel kehrten zurück - und einer von ihnen trat mir mit aller Wucht in die Rippen. Mit einer Erleichterung, die mich selbst verblüffte, schloss ich die Augen und überließ mich der Bewusstlosigkeit.
In dem kleinen Gitterkäfig des Miliztransporters stank es nach Chlor. Der scharfe Geruch beschwor triste Gedanken an Gefängnisse, städtische Krankenhäuser und andere öffentliche Institutionen herauf, in denen der Mief der Unsauberkeit vertrieben und die Zahl der Mikroben verringert werden muss.
Auf dem eisernen Boden liegend, in höllischen Schmerzen gekrümmt, kam ich wieder zu mir. Die Hände waren mir auf den Rücken gefesselt.
Zu meinem Erstaunen parkte das Auto. Höchst vage fiel mir wieder ein, wie man mich die Treppe heruntergeschleift hatte, mir Handschellen angelegt und mich in diesen Käfig geschubst hatte. Offenbar wollte man mich aufs Revier bringen. Oder wohin auch immer man auf frischer Tat ertappte Mörder brachte ...
Doch der Transporter stand - davon war ich ohne es mir selbst erklären zu können überzeugt - immer noch neben meinem Haus. Meinem ehemaligen Haus.
Meinen ganzen Körper einsetzend, hievte ich mich hoch. Ich lugte durch das vergitterte kleine Fenster in der Tür. Glas gab es keines hinter dem Gitter. Die Luft der Freiheit war nach dem Regen frisch und sauber. Im Licht der Straßenlaternen schimmerten kleine Pfützen.
Nein, ich hatte mich nicht getäuscht. Der Transporter parkte vor dem Haus. Inzwischen war noch ein Wolga der Miliz hinzugekommen. Ob sie Spuren aufnahmen?
Und mich vorübergehend in Ruhe ließen?
Dennoch stimmte hier etwas nicht. Entweder müssten sie mich ja wohl aufs Revier bringen oder unmittelbar neben der Leiche verhören. Was sollten diese Halbheiten?
Zwei Männer traten aus dem Haus. Bei einem von ihnen handelte es sich anscheinend um einen gewöhnlichen Milizionär. Möglicherweise war es der, der mich getreten hatte. Der andere trug Zivil. Ein Ermittler, der aus dem Bett geholt worden war?
»... das Übliche ...«, klang es zu mir herüber. »So eine Verkäuferin vom Markt, die ihren Kerl mit nach Hause geschleppt hat ...«
»Das kriegen wir schon raus«, verkündete der Mann in Zivil finster. »Gut, Sergeant, vielen Dank für Ihre Hilfe. Sie können jetzt fahren ... Ha! Wen haben Sie denn da hinten drin?«
Er machte eine Kopfbewegung Richtung Transporter.
»Der?« Der Milizionär schien ins Grübeln zu geraten. »Das ist irgendein Suffkopp!«
»Wo haben Sie ihn festgenommen?«
»An der Metro«, antwortete der Bulle etwas unsicher. »Ist schon’ne ganze Weile her. Nein, Ihr Kunde ist das nicht.«
Der Mann in Zivil ging noch einmal zum Haus zurück. Der Milizionär kam zum Transporter. Ich setzte mich auf den Boden. Mein Herz raste. Ob ... Nein! Das konnte nicht sein!
Ganz in meiner Nähe klickte ein Feuerzeug, anschließend schlängelte sich Tabakrauch herüber. Dann schlug die Tür zu und jemand sagte: »Was gab’s denn, Chef? Hab mir’ne Mütze Schlaf spendiert ...«
»Wir haben ein Messer gefunden, Fingerabdrücke genommen ... Das Hündchen hat der Nachbar zu sich geholt ... Rauchst du eine mit?«
»Klar.«
Abermals klickte das Feuerzeug. Der Rauch nahm zu. Ich hielt es nicht mehr aus. »Gebt mir auch eine, Freunde«, bat ich.
Eine Zeitlang reagierte niemand auf meine Worte.
»Sag mal, wo haben wir den eigentlich aufgegabelt?«, fragte der Sergeant dann. »Ist mir völlig entfallen ...«
»Glaub, an der Metro«, erklärte der Fahrer nach kurzem Nachdenken. »Oder war es in einem Hof auf dem Spielplatz?«
»Dem mussten wir wohl eine körperliche Ermahnung verpassen«, fuhr der Sergeant fort. »Zum Teufel mit dieser Arbeit ...«
Die Tür wurde lautstark aufgerissen. Die beiden Milizionäre beäugten mich angewidert, wenn auch ohne besonderen Hass.
»Gebt mir eine Lulle, Leute«, bat ich.
»Na? Ausgeschlafen?«, fragte der Sergeant.
Ich nickte demütig.
»Hier.«
Einer schob mir eine schlaffe Marlboro zwischen die Lippen. Das Feuerzeug flackerte auf. Gierig sog ich an der Zigarette. »Steht uns eine lange Fahrt bevor?«, fragte ich, trunken vom Nikotin und meiner Durchtriebenheit. »Dann nehmen sie mich nämlich gar nicht mehr zur Ausnüchterung an.«
»Wieso das nicht?«, wieherte der Fahrer. »Du bist doch ganz scharf drauf, da abgeliefert zu werden.«
»Ein bedauerlicher Irrtum«, erklärte ich. »Denn in dem Falle würde mich meine Alte umbringen. Eine Szene würde die mir machen. Die ist nämlich furchtbar eifersüchtig, und wenn ich mir die Nacht in der Ausnüchterungszelle um die Ohren schlage ...«
»Dreh dich um«, befahl der Sergeant, nachdem er seine Kippe ausgetreten hatte.
Bereitwillig kehrte ich ihm den Rücken zu. Entweder zog er mir jetzt eins mit dem Knüppel über oder ...
Er nahm mir die Handschellen ab.
»Geh nach Hause, Kumpel«, empfahl mir der Sergeant gutmütig. »Hier wurde ein Mädel abgestochen ... Da können wir uns jetzt nicht auch noch um dich kümmern. Des einen Leid ist des anderen Freud.«
Ich sprang aus dem Transporter. Draußen massierte ich mir erst einmal die tauben Hände. Als ich dabei einen Blutfleck auf dem Ärmel entdeckte, versenkte ich die Hände in die Taschen. »Vielen Dank«, sagte ich. »Soll nicht wieder vorkommen ...«
»Warten’s wir ab«, äußerte sich der Sergeant skeptisch. Trotz allem lag in seinen Augen noch immer Ungläubigkeit. Etwas beschäftige ihn, etwas, dessen er sich kaum bewusst war, das ihm jedoch keine Ruhe ließ. »Wo haben wir dich bloß aufgelesen? Weißt du das noch?«
»An der Metro, in einem Hof«, antwortete ich hilfsbereit. Dann fing ich an, von einem Bein aufs andere zu treten, ganz wie ein Mensch, der davon träumt, endlich pissen zu gehen. Sonderlich schauspielern musste ich dabei nicht.
»Schaffst du’s allein nach Haus?«
»Wir sind doch in Medwedkowo, oder?« Ich ließ den Blick schweifen. »Sicher, klar! Noch mal vielen Dank!«
»Du hast uns doch nicht den Wagen vollgepinkelt?« Mit einem Mal dachte der Fahrer wieder klar. Nachdem er den Käfig aufmerksam inspiziert hatte, beruhigte er sich jedoch. »Schon gut. Sieh zu, dass du zu deiner eifersüchtigen Alten kommst.«
Als ich davonzuckelte, blickten mir die Milizionäre nach. Mit einem absolut desinteressierten Blick. Für sie bestand keinerlei Notwendigkeit mehr, sich mit einem an der Metro aufgelesenen Betrunkenen, der inzwischen wieder einigermaßen klar wirkte, zu beschäftigen, geschweige denn ihn in der Ausnüchterungszelle abzuliefern.
Was hieß das?
War ich bereits ein solcher Niemand?
Konnte ich jemanden umbringen, und ein Stündchen nachdem - apropos: Befand sich meine Uhr noch in meinem Besitz? Das tat sie, nicht einmal kaputt war sie - also ein, zwei Stündchen, nachdem sie mich verhaftet hatten, wussten die Bullen schon nicht mehr, wo und wann sie mich überhaupt festgenommen hatten?
Meine Füße trugen mich von selbst in einen Tordurchgang. Ich trat in eine Ecke und öffnete den Hosenschlitz. Wurde höchste Zeit, nach allem, was bereits geschehen war ...
Ich war zum idealen Verbrecher geworden. Ich könnte stehlen, rauben, morden. Kein einziger Zeuge würde sich an mich erinnern. Wenn ich bei der Verhaftung nicht umkam, würde man mich schon bald wieder laufen lassen.
Allerdings schmerzten die Rippen. Gebrochen schienen sie nicht zu sein, und was Prellungen und Platzwunden anging - geschenkt.
In meinen Taschen fand ich Geld und die Schlüssel zur Wohnung meiner Eltern, meine Armbanduhr war mir ebenfalls geblieben, am Gürtel klemmte noch mein Handy. Alles war in Ordnung. Es war halb eins in der Nacht. Zu meinen Eltern würde ich es noch mit der Metro schaffen. Dort würde ich mich waschen, etwas essen und darüber nachdenken, was weiter geschehen sollte.