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Gemächlich trottete der Postbote auf sein Fuhrwerk zu. Ich rannte im frischen Schnee um den Turm herum - der in keiner Weise mehr an einen Wasserturm erinnerte, sondern eher wie eines der Fabrikgebäude aussah.

Wie ich bereits vermutet hatte, besaß der Turm nur eine Tür, während es im ersten Stock nur ein Fenster gab. Der Turm selbst ließ eine fünfeckige Form erkennen, erhob sich rund fünfzehn Meter in die Höhe und verjüngte sich nach oben hin ein wenig.

Ich eilte zur Tür zurück und hechtete in den Turm, schlug die Tür hinter mir zu. Die beiden Päckchen und den Brief ließ ich auf den Boden fallen, um auf die anderen Türen zuzustürzen, denn im Innern fanden sich ihrer immer noch fünf.

Versperrt.

Versperrt.

Die dritte Tür öffnete sich pflichtschuldig.

Es regnete. Über Moskau hing ein grauer nasskalter Morgen. Der Geruch von Abgasen, Masut und anderem Dreck stieg mir unerwartet scharf in die Nase. In der Ferne ratterten die Räder einer abfahrenden Eisenbahn. Ich trat hinaus, tappte unverzüglich in eine Pfütze, worauf die Schneeflocken von meinen Schuhen fielen und in null Komma nichts schmolzen. Ich drehte mich um.

Ein Turm aus Ziegelsteinen. Ein alter Wasserturm, wie er gewöhnlicher nicht sein könnte. Eine einzige Tür, ein Fenster, das mit verrosteten Eisenläden verschlossen war.

Von den Geschäften drang ein reich mit derben Ausdrücken gespicktes Gespräch zu mir herüber: »Sie ... die reinste Pennerin ... und er säuft sich ... die Hucke voll, pöbelt was ... ihr seid doch alles Nutten ...« Dem grundlos Eingeschnappten antwortete jammernd eine angesäuselte, offenbar jedoch weibliche Stimme.

Sei gegrüßt, meine geliebte Stadt.

Ich trat den Rückzug an und schloss hinter mir die Tür. Sogar den Riegel schob ich vor.

Ach, Melnikow, guter Schriftsteller. Warum hast du mir bloß nicht geglaubt?

Nachdem ich die Päckchen und den Brief vom Boden aufgehoben hatte, begab ich mich in den ersten Stock. Ich öffnete das Fenster, das nach Moskau hinausging. Daraufhin trat ich ein paar Schritte zurück und weidete mich einen ausgedehnten Moment lang an dem erstaunlichen Anblick: ein verregneter grauer Morgen in dem einen Fenster, ein klarer winterlicher Sonnenaufgang im anderen.

Schließlich setzte ich mich an den Tisch und öffnete mit der gebotenen Akkuratesse den Briefumschlag.

Aus dem Kuvert fiel ein schmales gelbliches Blatt Papier, das bei mir Assoziationen mit einer Vorladung oder einem Telegramm heraufbeschwor: die Beschaffenheit des Papiers, die schlecht lesbare Maschinenschrift, die weggelassenen Artikel.

»Kirill Maximow. Glückwunsch zur Ankunft. Leben Sie sich ein. Bei Wunsch fangen Sie mit Arbeit an. Kommission kommt übermorgen. Alles Gute.«

Dieses »Alles Gute« gab mir den Rest. Ich zerknüllte das Blatt, warf es zu Boden. Abermals schaute ich zu den Fenstern hinaus. Regen im einen, Schnee im anderen. Zwei Welten und noch drei geschlossene Fenster. Ich versuchte, den Riegel von einem der geschlossenen Fenster zurückzuschieben, aber er gab nicht nach.

An den Tisch zurückgekehrt, riss ich eines der Päckchen auf. Ihm entnahm ich ein schweres Buch im braunen Ledereinband. Kein Imitat aus Plastik, sondern echtes Leder, das den aromatischen Duft einer neuen Sache verströmte. Aus irgendeinem Grund fiel mir ein, dass Ledergeruch in Asien als einer der widerwärtigsten gilt. Woraus der Einband wohl gefertigt worden wäre, wenn ich ein Chinese oder Koreaner gewesen wäre?

Behutsam schlug ich das Buch auf. Publikationsdaten fehlten natürlich. Das Papier war dick, weiß und von guter Qualität, das Druckbild klar. Die erste Seite hielt ein Inhaltsverzeichnis bereit:

MoskauZum Export zugelassene WarenS. 3Nicht zum Export zugelassene WarenS. 114Zum Import zugelassene WarenS. 116Nicht zum Import zugelassene WarenS. 407

Ich klappte die Seite einhundertundvierzehn auf. Eine mehr als überschaubare Liste:

Sklaven (Personen, die zum Eigentum eines Mitmenschen geworden sind und uneingeschränkt dessen Gewalt unterstehen). Massenvernichtungswaffen (Waffen, die dazu bestimmt sind, der Bevölkerung massenhafte Verluste beizubringen).

Daraufhin blätterte ich vor zum Anfang. Aus dieser Seite erfuhr ich, dass die Zollgebühr für das zur Ausfuhr zugelassene eine Kilogramm Pfeffer (schwarzer, roter, weißer oder grüner) dreitausendundachtzehn Rubel und sechs Kopeken betrug. Dafür erhob man auf Pantoffeln nur sieben Rubel pro Paar. Für Pergament galt es sechsundneunzig Rubel und drei Kopeken pro Quadratmeter zu entrichten, für Pfauen (Feder) zwei Rubel und siebzehn Kopeken pro zehn Zentimeter.

»Komm von der Barkasse runter, Wereschtschagin«, zitierte ich die Aufforderung an den Zöllner aus dem Film Die weiße Sonne der Wüste. Ich setzte mich hin und betrachtete eingehend die kleine, gut lesbare Schrift. Ich schlug die Seite vierhundertundsieben auf.

Von Sklaven und Massenvernichtungswaffen abgesehen war es verboten, Pflanzen oder keimfähige Samen, Narkotika oder Tiere, mit Ausnahmen von einheimischen, nach Moskau einzuführen. Eine Weile dachte ich darüber nach, ob Kamele für Moskau als einheimisch gelten durften. Oder Delphine. Oder Eisbären.

Schließlich gab es die alle im Zoo.

Mir schoss das Bild durch den Kopf, wie schwer mit gebündelten Haschpflanzen bepackte Eisbären durch die verschneite Gasse auf den Turm zutrotteten, gejagt von Sklaven, die mit Rucksack-Atombomben ausgerüstet waren. Ich selbst stand stolz an der Tür, fuchtelte mit meinem Buch und ließ die Fracht nicht nach Moskau hinein.

Ich trat sogar an jenes Fenster, hinter dem die verschneiten Fabriken schlummerten, und spähte achtsam die menschenleere Straße hinunter.

Womit hatte ich es hier zu tun? Mit einem Loch im Raum? Vermutlich nicht. Dagegen sprachen die Architektur der Gebäude und das Pferdefuhrwerk des Postboten. Eher ein Loch in der Zeit.

Oder im Raum und in der Zeit.

Oder es handelte sich um eine Parallelwelt, dieses ewige Kleinod der einschlägigen Schriftsteller: Es kommt ein Mensch daher, er macht eine Tür in der Wand auf ...

Lächerlich!

Schließlich öffnete ich das zweite Päckchen. Ihm entnahm ich ein identisches Buch, ebenfalls in Leder gebunden, diesmal allerdings in schwarzes. Auch hier wies das Inhaltsverzeichnis vier Kapitel auf.

Über diesen stand jedoch nicht Moskau, sondern der geheimnisvolle Name Kimgim.

In diesem Wort schwang etwas von sibirischen Ortsnamen mit. Oder von asiatischen. Sicher wusste ich jedoch eins: Nie zuvor hatte ich etwas von dieser Stadt gehört.

Ging es hier tatsächlich um einen Durchlass zwischen verschiedenen Welten?

Aber was hatte ich dann damit zu schaffen? Und warum vergaßen mich alle meine Freunde? Warum bemerkten mich nicht einmal mehr die Bullen? Woher kam diese Natascha Iwanowa? Warum hatte sie sich mir nichts, dir nichts ins Messer gestürzt? Wer hatte mich angerufen und zu diesem Turm beordert, der mit zwei Seiten zu zwei unterschiedlichen Welten hinausging (und, daran hegte ich keinen Zweifel, der noch in drei andere führen konnte)? Wer hatte mir diesen Brief und die Handbücher mit den Zollbestimmungen geschickt?

Hm. Im Grunde stellte ich nicht die richtigen Fragen. Wollte Unwichtiges wissen. Es kam gar nicht darauf an, den Grund für all diese Ereignisse herauszukriegen. Zuallererst musste ich über mein eigenes Tun nachdenken.

Meine Kleidung war noch immer klamm. Außerdem taugte sie bei dem Wetter ohnehin nicht viel. An Proviant verfügte ich nur über eine Tafel Schokolade und eine Flasche Mineralwasser. Mir war keine Kopeke geblieben, und bislang hatte ich nicht einmal die Möglichkeit, Zollgebühren einzutreiben.

Doch hat jede Münze ihre zwei Seiten. Wenn mich die Kassiererinnen nicht bemerken und die Miliz mich nach einer Verhaftung am Tatort wieder auf freien Fuß setzt ...