»Was soll denn das für ein Satz sein? ›Obwohl sie erst sechzehn war, war sie bereits wie eine Siebzehnjährige entwickelt‹?«
»Was ist schlecht daran?«, gab Kotja mit finsterer Miene zurück.
»Willst du mir etwa weismachen, du könntest ein sechzehnjähriges Mädchen von einem siebzehnjährigen unterscheiden? Aufgrund ihrer körperlichen Entwicklung?«
Kotja nuschelte etwas Unverständliches. »Dann ersetz halt ›Siebzehnjährige‹ durch ›Zwanzigjährige‹«, knurrte er nach einer Weile.
»Mach das mal schön selbst.« Ich kehrte wieder an den Tisch zurück. »Wie lange willst du diesen Mist eigentlich noch produzieren? Warum nimmst du dir nicht mal einen erotischen Roman vor? Etwas Großes, Richtiges. Das ist immerhin Literatur. Vielleicht kriegst du sogar den Nobelpreis oder den Booker dafür.«
Jäh senkte Kotja den Blick, womit mir zu meiner Verblüffung klar wurde, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. Er schrieb bereits etwas ... Richtiges. Oder spielte zumindest mit dem Gedanken.
Im Grunde brauchte Kotja nur sein eigenes Leben in einer schönen Sprache zu schildern - und schon hätte er ein spannendes Portrait der Gepflogenheiten der Moskauer Boheme und der Jugend in ihrem Dunstkreis parat. Diesmal verkniff ich es mir jedoch, ihm das zu sagen, schien mir die Grenze freundschaftlicher Sticheleien für heute doch erreicht.
»Ich sitze in der Tinte, Kotja«, wechselte ich das Thema - und wunderte mich selbst, wie harmlos das klang. Wie zutreffend. »Mir ist da eine verrückte Geschichte passiert ...«
Die Worte kamen mir von selbst über die Lippen. Während ich alles erzählte, leerten wir fast die ganze Flasche Kognak. Kotja nahm mehrmals seine Brille ab, um sie zu putzen, und legte sie am Ende beiseite, auf den Fernseher. Ab und an hakte er an einer Stelle nach, einmal hielt er es dann nicht mehr aus und platzte heraus: »Das denkst du dir doch bloß aus, oder?«
Als ich endete, war es bereits nach elf.
»Da hast du dir was eingebrockt«, konstatierte Kotja im Ton eines Arztes, der eine vorläufige, aber höchst unerfreuliche Diagnose bereithält. »Und du hast keine Papiere?«
»Richtig.«
»Du ... du hast die Kaufurkunde bestimmt nicht irgendwo verloren? Oder die anderen Papiere? Vielleicht hat jemand die Wohnung heimlich verkauft, dann dieses Luder bei dir einquartiert ...«
»Kotja! Sie behauptet steif und fest, schon seit drei Jahren dort zu wohnen! Und ihre Papiere besagen genau das: drei Jahre!«
»Auf den ersten Blick sieht das wie eine stinknormale Wohnungsschiebung aus«, meinte Kotja nickend. »Aber ... an einem Tag alles frisch tapezieren, kacheln ... Was ist dir sonst noch aufgefallen?«
»Das Linoleum ...«
»Aha. Und dann hat sie noch den Wasserhahn ausgetauscht, die Möbel abtransportiert, neue rangeschafft ... obendrein den Eindruck erweckt, sie wohne schon immer da ... Sie hat ihre Hausschuhe in der Wohnung verteilt, BHs aufgehängt ... Kirill, die einzige vernünftige Version, die es gibt, ist folgende: Du lügst.«
»Vielen Dank.«
»Jetzt spiel nicht gleich die beleidigte Leberwurst. Ich habe ja gesagt - die einzige vernünftige Version. Schauen wir uns nun mal die unvernünftigen an. Die erste ist die, dass du den Verstand verloren hat. Oder zum Quartalssäufer geworden bist. Dann hättest du die Wohnung vor einer Woche verkauft, als Anka dich verlassen hat, und es danach einfach vergessen.«
»Außerdem habe ich noch die Papiere gefälscht, sodass der Verkauf der Wohnung nun schon vor drei Jahren stattgefunden hat!«
»Überzeugen wir uns zunächst mal davon, dass noch gestern Abend alles in Ordnung war. Hat dich da jemand besucht?«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Halt! Doch! Igorjok ist abends kurz vorbeikommen. Er hat sich eine DVD von mir ausgeborgt.«
»Was für einen Film?«
»Keinen Porno«, konnte ich mir auch diesmal nicht verkneifen. »Japanische Zeichentrickfilme.«
»Was für ein Igorjok?«
»An seinen Nachnamen erinnere ich mich nicht. Igorjok halt ... So ein hippeliger Typ, der bei uns in der Firma gearbeitet hat, dann aber zur Konkurrenz gegangen ist ... Mensch, du kennst ihn doch! Er hat deinen Computer zusammengebaut und die Software installiert!«
»Ist das der, der sich vor der Armee gedrückt hat?«, grinste Kotja. »An den erinnere ich mich. Hast du seine Nummer?«
»Mein Handy ist leer.«
»Du hast doch auch ein Nokia, oder? Dann nimm mein Ladegerät, die Dinger sind standardisiert. Die Stromrechnung präsentiere ich dir später.« Kotja kicherte.
Ich holte mein Handy heraus und legte es ins Ladegerät. Es war wirklich von Vorteil, dass man verschiedene Mobiltelefone in dieselbe Basis stecken konnte. Danach blätterte ich in meinem Adressbuch.
»Da haben wir sie ja. Und jetzt?«
»Wähl die Nummer.«
Daraufhin nahm Kotja mir das Handy ab, kippte riskant mit dem Hocker nach hinten, wobei ihm freilich keine Gefahr drohte, denn er lehnte mit dem Rücken gegen die Wand. »Igorjok?«, legte er fröhlich los. »Hallo, mein Guter. Ich bin’s, Kotja. Dem du vor einem Jahr den Computer eingerichtet hast. Ein Freund von Kirill.«
Er zwinkerte mir zu. Ich machte mich daran, die von mir gestiftete Flasche zu öffnen.
»Ja, klar ist es schon spät. Entschuldige. Aber ich habe eine verdammt wichtige Frage, die ich nicht auf die lange Bank schieben kann. Bist du gestern bei Kirill gewesen? Weswegen? Kikis kleiner Lieferservice? Nein, der interessiert mich nicht. Ich habe eine andere Frage: Wohnt er immer noch in Medwedkowo? Die alte Adresse? Du hast ihn vorher noch nie besucht? Er macht da auf Einer, nicht wahr? Eine Einzimmerwohnung hat er, das meine ich! Ah ja. War da irgendwie Chaos in der Wohnung? Wurde renoviert? Gab es Hinweise auf einen Umzug? Ja, das muss ich wissen, dringend sogar! Verstehe. Und hat er noch seinen Hund? Ein prachtvolles Tier, sagst du? Er hat Kirill gestern nicht zufällig gebissen? Nein, ich habe so gut wie nichts getrunken. Hör mal, Igorjok, sag deinem Weib, dass sie den Mund halten soll, wenn Männer sich unterhalten! Selbst wenn sie im Bett ist und auf dich wartet ... Was?«
Schweigend reichte Kotja mir das Handy. »Die Jugend muss noch viel lernen ...«, sinnierte er kopfschüttelnd. »Sexuell heranreifen ... trotzdem erziehen sie ihre Weiber nicht! So sieht’s doch aus! Aber einen Zeugen hast du, soweit ich das beurteilen kann. Gestern hast du da noch gewohnt. Und dein Hund hat dich für sein Herrchen, nicht für eine vor Angst schlotternde Kreatur gehalten.«
»Ich kann noch ein Dutzend Zeugen auftreiben, Kotja. Vor drei Tagen ist Romka Litwinow vorbeigekommen, und wir haben Bier getrunken. Er besucht mich überhaupt oft. Außerdem hat noch jemand vorbeigeschaut ... Glaub mir doch, ich habe nicht den Verstand verloren. In meiner Wohnung hat sich eine mir unbekannte Frau eingenistet. Und alles sieht so aus, als ob sie schon seit langer Zeit da lebe.«
»Du sagst, das Weib sei unansehnlich?«, fragte Kotja beiläufig.
»Als Dame geht sie nicht durch.«
»Was macht man nicht alles für einen Freund«, seufzte Kotja. »Wo arbeitet sie?«
»Dem Bullen hat gesagt, sie arbeite auf dem Tscherkisowski-Markt ... Sie verkauft Schuhe ...«
»Wie grauenvoll«, stöhnte Kotja. »Wie furchterregend und grauenvoll. Seit Ewigkeiten habe ich keiner Verkäuferin den Hof gemacht. Andererseits könnte ich ein paar neue Schuhe gebrauchen.«
»Wenn du es nicht lassen kannst«, meinte ich bloß. »Aber was bringt uns das?«
»So kann ich wenigstens herauskriegen, was das für eine ist.«
An Kotjas Fähigkeiten, die reizlose Motte Natalja Iwanowa zu verführen, zweifelte ich nicht. Darüber hinaus empfand ich nicht das geringste Mitleid mit dieser Hochstaplerin. Trotzdem stellte mich das nicht zufrieden.
»Gut. Vielen Dank. Aber was soll ich denn deiner Meinung nach tun? Mich an die Presse wenden?«
Kotja schnaubte. Von der Presse hielt er nicht gerade sonderlich viel. »Morgen nimmst du dir frei. Du rufst deinen Chef an und entschuldigst dich ... Dann begibst du dich auf die Tour durch die Wohnungsämter, Notariate ...«