Выбрать главу

Was für eine schöne Sache da doch eine Grippe ist - wenn sie nur nach allen Regeln der Kunst durchlitten werden kann!

Wenn du freilich nicht mehr unter Mamas Fittichen lebst und dir noch keine Freundin oder Frau zugelegt hast, herrscht nicht mehr ganz so eitel Sonnenschein. Aber daran trägst allein du die Schuld, da brauchst du gar nicht auf die unglücklichen Viren zu schimpfen!

Ganz anders verhält es sich, wenn du stirbst.

Dabei ist nicht der Schmerz grauenvoll. Früher oder später vergeht er, entweder weil Medizin ihn ausschaltet oder weil für ihn kein Raum mehr bleibt. Grauenvoll ist es, allein Auge in Auge der Ewigkeit gegenüberzustehen, dem Fall in eine dunkle Leere. Die Welt schrumpft auf einen Punkt zusammen, deren Name der deinige ist, oder schwillt explosionsartig zu einer endlosen Weite an, die keinesfalls erbarmungslos, keinesfalls böse, aber absolut gleichgültig ist. Du bist ein Niemand, dein Platz ist das Nirgends. Du kannst an Gott glauben, du brauchst den Tod nicht zu fürchten, kannst über ihn lachen und dir eins feixen. Doch wenn der Odem des ewigen Nichts deine Lippen berührt, verstummst du. Auch der Tod ist weder grausam noch schrecklich. Er öffnet lediglich die Tür, hinter der das Nichts wartet.

Und du machst diesen Schritt.

Allein. Stets allein.

Bald trieb ich in dem schwarzen Ozean davon, bald tauchte ich an den Ufern der Realität auf. Die Realität war schlimmer. Der Schmerz kauerte irgendwo in der Nähe, doch ich nahm ihn nicht wahr, wie man die Geschwindigkeit eines Düsenflugzeugs bei einem Blick auf die tief unten liegende Erde nicht wahrnimmt - aber gleich der fernen Erde zog er mich zu sich. Der Boden tanzte und drehte sich unter mir, die Wendeltreppe bohrte sich wie ein Korkenzieher in den Turm.

Mich konnte man nicht umbringen. Auf gar keinen Fall. Felix hatte gesagt, in meiner Funktion sei ich unverwundbar. Und jetzt war ich zu Hause, in meinem Turm, war ein Zöllner ...

Warum ausgerechnet ein Zöllner?

Ein absurder Gedanke, so kurz vor dem Tod. Aber er stellte den Klumpen Leben dar, an den ich mich geradezu irrsinnig klammerte. Warum ausgerechnet ein Zöllner? Wer hatte mir diese Schicksal zugewiesen? Und weshalb?

Ich wollte nicht sterben, ohne die Antwort auf diese Frage zu wissen. Ich wollte mich an niemandem rächen. Auch ich konnte nicht alles zum Guten wenden oder alle besiegen. Doch zumindest wollte ich gern über mein Schicksal im Bilde sein. Deshalb musste ich überleben.

»Das wird dir nicht gelingen«, flüsterte die Dunkelheit. »Die Mühe kannst du dir sparen. Schließ die Augen. Sage dir: Ich sterbe. Sage es dir und schließ die Augen. All das spielt keine Rolle mehr. All das gehört zu deinem vergangenen Leben. All das gehört zum Leben. Schlafe.«

»Zieh Leine!«, zischte ich, während ich auf die rotierende, zerfließende Wendeltreppe starrte. »Verpiss dich!«

Mein Herz schlug. Meine Lungen atmeten. Mein Gehirn lebte noch.

Ich war in meiner Funktion. Ich übte meine Funktion aus. Niemand würde mich so ohne Weiteres umbringen. Ich wusste nicht, wie das alles im Einzelnen funktionierte, aber wenn Wunden spurlos verheilten, dann würde auch diese Wunde heilen.

Die Blutung würde gestillt werden. Das kam als Allererstes, dass ich aufhörte, Blut zu verlieren. Dann musste der ganze Kram, der schon in meine Bauchhöhle geflossen war ... all das musste gereinigt werden. Blut und Lymphe würden durch die Schleimhäute aufgesogen, gereinigt und dem großen Blutkreislauf erneut zugeführt. Die Gewebepartikel, der Darminhalt ... würden herausgespült. Die Wirbel wiederhergestellt, das Rückenmark zusammenwachsen. Der Darm würde abermals ein Ganzes bilden, die Harnblase erneut entstehen, die Nieren sich regenerieren.

Irgendwo in meinem Innern verfing sich der kluge Junge Kirill, dessen Vater Arzt war, mit einem gemeinen Kichern in einem hysterischen Anfall. Die Dunkelheit nickte ihm billigend zu.

Ja, ich verstand alles. Das Gewebe des menschlichen Körpers regeneriert sich schlecht. Und in dem Tempo, das nötig wäre, um die in mir lodernde Sepsis zu besiegen, schon gar nicht.

Aber ich war ein Funktional. Fast ein Krieger. Ein Zöllner muss imstande sein, den Kampf aufzunehmen, eine Salve voll abzukriegen und sich wieder an seinen Arbeitsplatz zu begeben.

Also muss ich es schaffen.

Die Decke drehte sich schneller und schneller, das Feuer in meinem Bauch nahm zu, und ich gestattete es mir, in die dunklen Wasser Lethes abzutauchen.

Das nächste Mal ließ Durst mich zu mir kommen.

Mein Herz wummerte wie wahnsinnig. Mein Körper stand in Flammen. In meinem Bauch pulsierte der Schmerz. Ein ekelhafter Gestank nahm mir den Atem.

Verglichen mit meinem Durst verblasste all das jedoch zu Nebensächlichkeiten.

Trinken. Prickelndes Mineralwasser. Heißen Tee mit Zitrone. Einen kalten säuerlichen Kwass. Nein, all das waren nur Halbheiten ... Ich wollte meinen Mund an den Hahn halten, das kalte Wasser aufdrehen und kühles, nach Metall und Moder riechendes Wasser trinken. Ich wollte mein Gesicht in eine Pfütze eintauchen, den abgestandenen, warmen Dreckseim trinken, während ich mit den Beinen strampelte, um sämtliche Brüder Iwanuschkas, die wie im Märchen auch aus der Pfütze trinken wollten, zu verscheuchen.

Wasser gab es im ersten Stock. Auf dem Tisch. Und im zweiten, viel Wasser sogar, in der Küche, im Bad ...

Allein der Durst vermochte mich dazu zu zwingen, mich vom Fleck zu rühren. Ich lag auf dem Bauch, was schon mal günstig war. Nachdem ich meine Arme nach vorn gebracht hatte, versuchte ich, vorwärtszurobben. Das klappte nicht. Eingetrocknetes Blut krümelte zu Boden. Als ich erneut versuchte, mich voranzuziehen, stützte ich unwillkürlich die Beine auf.

Die bewegten sich. Sogar das gebrochene Bein ... Ich schielte an mir herab: Unterhalb des dreckigen, eingesauten Beins der Shorts lugte rosafarbene Haut hervor, umgeben von einem Schorfrahmen.

Also würde ich durchkommen!

Aber ich brauchte Wasser. Dabei würde ich ansonsten keinesfalls an Durst sterben. Mit einem Mal war mir sonnenklar, dass mein Organismus zur Regeneration und zum Ausspülen des zerfallenen Gewebes Wasser brauchte. Noch ein, zwei weitere Stunden ohne Wasser, und ich würde sterben. Halb wiederhergestellt, mit geschlossenen Wunden und sich erneuernden Organen. Ich würde verdursten.

Zur Treppe kroch ich in zehn Minuten. Mit den Fingernägeln den Boden aufkratzend, stützte ich mich aufs Kinn, stieß mich leicht mit den Füßen ab und robbte dorthin. Irgendwann stieß ich mit dem Kopf gegen eine Stufe.