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Und begriff, dass ich die Treppe nicht bewältigen würde. Niemals.

Mich erfasste eine Verzweiflung, wie sie ein Schwimmer verspürt, der einen Meter vor dem rettenden Kai ertrinkt. Ein paarmal versuchte ich, den Kopf auf die Stufen zu hieven. Vergeblich. Mein Körper mühte sich, wie er konnte.

Wasser. Es war so nah. Zwei Stockwerke weiter oben gab es Wasser in Unmengen. Aber ich konnte nicht zu ihm gelangen.

Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Berg ja bekanntlich zum Propheten. Im Falle des Wassers gestaltete sich die Lösung einfacher.

Ich schaute nach oben. Was auch immer dieser Turm sein mochte, es gab in ihm Leitungen, Rohre und eine Treppe. Ein Rohr konnte platzen. Dann würde das Wasser nach unten fließen.

Das Rohr musste platzen.

Ich versuchte gar nicht, das mit meiner Willenskraft zustande zu bringen, als wäre ich ein halb verrückter Übersinnlicher, der seine nicht vorhandenen Fähigkeiten demonstriert. Ich erteilte keinen mentalen Befehl, denn das wäre dumm. Ich lag unter der Treppe und wartete, bis im zweiten Stock die Rohre platzten und Wassermassen nach unten brausen, sich fröhlich über die Stufen ergießen würden. Immer wieder verlor ich das Bewusstsein, anscheinend für einige Sekunden oder Minuten.

Dann hörte ich das Tosen - und über die Stufen strömte das Wasser.

Natürlich wartete ich den ersten Strom, der den Dreck vom Boden spülte, nicht ab. Selbst ein schmutziger Straßenköter, der einen Treppenabsatz weiter oben das Bein hob, hätte mich nicht gestört. Nicht einmal ein auslaufender Benzinkanister oder im Wasser schwimmender Müll hätten mich gestört.

Ich presste die Wange gegen die Stufe und trank - trank die direkt in meinen Mund fließenden dünnen Strahlen. Ich trank und trank und trank. Das Wasser reinigte meinen Körper, verströmte über den Fußboden. Ich schluckte das Wasser, fiel ins Vergessen und trank erneut. Schüttelfrost packte mich, in mir schien ein Ofen zu lodern - und ich trank, um dieses Höllenfeuer zu löschen. Einmal musste ich mich übergeben, weshalb ich einige Minuten innehielt. Wiederholt pinkelte und schiss ich direkt in meine Hosen und das Wasser.

Egal. Mein Organismus jagte das tote Gewebe aus sich heraus, und ich hatte nicht die Absicht, ihn daran zu hindern. Scheiße war mir lieber als die ewige Stille, die schon auf mich gewartet hatte. Und das Wasser strömte weiter und weiter, wusch meinen ganzen gepeinigten Körper und den vollgesauten Boden. Nach und nach erlosch die Hitze in meinem Innern.

Noch auf dem Fußboden liegend, zog ich mich aus. Mit dem Fuß kickte ich die schmutzigen Sachen weg. Langsam kroch ich auf allen vieren die Treppe hinauf. Selbst bei dieser Art der Fortbewegung schüttelte es mich, aber immerhin konnte ich mich wieder bewegen.

Im ersten Stock legte ich eine Pause ein, um alles zu essen, was ich auf dem Tisch vorfand. Geschmolzene Schokolade, vertrocknete Wurst und harten Käse. Danach reichten meine Kräfte bereits für die Kraxelei in den zweiten Stock, hinauf in die Küche.

Zucker, Schokolade, Wurst. Gesüßte Kondensmilch! Ich hebelte die Dose mit dem Dolch auf, den mir Wassilissa geschenkt hatte. Ich durfte nicht vergessen, ihr noch einmal dafür zu danken ...

Dann streckte ich mich vor dem Tisch auf dem Fußboden aus und schlief ein paar Stunden. In meinem Körper wuchsen nach wie vor verschiedene Teile zusammen, er regenerierte sich, aber das konnte ohne mein Zutun geschehen.

Es ist wirklich nicht so einfach, ein Funktional umzubringen.

Ich beschloss, in Zukunft an jeder Tür im Erdgeschoss eine große Flasche mit Mineralwasser bereitzustellen.

Durchs Fenster sah Arkan genauso aus wie zuvor. Abgesehen von den kahlen Zweigen der Bäume, die von den MG-Salven durchgepeitscht worden waren, abgesehen von den frischen weißen Wunden der Stämme. Ich verzog das Gesicht und rieb mir über den Bauch. Dort war ebenfalls ein weißes Mal zu erkennen, ein Fleck unverbrannter Haut von der Größe einer offenen Hand. Hier hatte ein Loch geklafft ...

So genau ich die Gegend auch inspizierte, ich vermochte nichts Verdächtiges festzustellen. Sogar die Vögel sangen wieder.

Ich hob die Arme und legte sie an den Fensterrahmen. Dann breitete ich sie mit einem Ruck aus, als öffnete ich das Fenster.

Einem der Scharfschützen, die sich im Wald versteckt hielten, gingen die Nerven durch. Ein leises ›Plopp‹ erklang, gleichsam als küsse ein schüchterner Junge zum ersten Mal in seinem Leben ein Mädchen. Langsam kroch ein Bleikörper über die Scheibe, aus dem eine Stahlspitze herausragte. Mit unbeteiligter Neugier betrachtete ich die Kugel, um dem unsichtbaren Schützen anschließend den Stinkefinger zu zeigen. Ob diese Geste hier bekannt war?

Gegen die Scheibe schlug eine weitere Kugel. Die Geste war bekannt.

Schulterzuckend schloss ich die Fensterläden. Was soll’s, der Weg nach Arkan war mir versperrt. Schließlich wollte ich mich ja wohl nicht im Kampf dorthin durchschlagen, oder? Im Schutze der Nacht, ausgestattet mit einem Nachtsichtgerät und mit Waffen behängt? Eben! Anstelle der Bewohner von Erde-1 würde ich als Allererstes Minen vor der Tür des Turms legen, am besten ferngesteuerte, und einige Leute mit dem Finger am Auslöser abstellen. Natürlich täten es durchaus auch ein paar großkalibrige MGs, die auf die Tür gerichtet waren.

Am befremdlichsten war, dass ich über all diese Minen und MGs mit absoluter Gelassenheit nachdachte. Nicht einmal ein Gedanke an Rache kam auf. Etwas hatte sich in mir verändert. Ich wollte nicht länger den Helden spielen und kämpfen. Das Einzige, was ich wollte, war, mich so weit wie möglich von Arkan fernzuhalten.

Kugeln bewirken eine erstaunliche Veränderung im Kopf, selbst wenn sie dich im Arsch erwischen.

Ich ging ins Bad und füllte einen Eimer voll Wasser. Meine ausgewaschenen Sachen waren bereits trocken. Glücklicherweise brauchte ich das Rohr nicht zu reparieren, denn der rettende Strom war ganz von selbst versiegt. Mit einem Lappen bewaffnet, der noch vor gar nicht allzu langer Zeit ein neues Hemd abgegeben hatte, machte ich mich daran, den Boden im Erdgeschoss zu wischen. Ohne lange zu fackeln, schüttete ich das Schmutzwasser in Nirwana aus, dieser allzu sauberen Welt.

Es sind zwei Arten der Hausarbeiten, die mir mehr als alle anderen missfallen, nämlich das Wischen von Fußböden und das Bügeln von Hemden. Doch während man das Problem des Bügelns ein für alle Mal lösen kann, indem man zu Jeans und Pullover überwechselt, erlöst einen vom Wischen nur eine Putzfrau. Oder eine Ehefrau.

Ich hatte gerade den ersten Durchgang beendet, stand mit dem Lappen in der Hand da und überlegte, ob ich nicht für die endgültige Sauberkeit ein zweites Mal wischen sollte, als es an der Tür klopfte. Von Erde-17. Dem Reservat.

Einerseits wusste ich, dass von dort nur Kotja oder Illan zu erwarten waren. Andererseits ... Was, wenn die Funktionale von Erde-1 eine Bande von Killern über eine andere Zollstelle ins Reservat eingeschleust hatten?

Ich ging zur Tür und lauschte. Alles ruhig. Schade, dass es keinen Spion gab ... Ob ich in den ersten Stock hinaufgehen sollte?

»Wer ist da?«, fragte ich.

»Feinde!«, blaffte Kotja wütend. »Kirill, was ist denn jetzt schon wieder?«

»Wovon handelte dein Geschichtchen«, examinierte ich ihn nach kurzem Grübeln. »Das, in das du das Gedächtnisprotokoll reingeschrieben hast.«

Einen ausgedehnten Moment lang brachte Kotja kein Wort hervor. »Also ... was hast du denn?«, fragte er bedrückt. »Ich bin nämlich nicht allein.«

»Wovon handelte deine Erzählung?«

»Vom Sportunterricht!«, brüllte Kotja. »Davon, wie man die Geschmeidigkeit verbessert.«

Ich öffnete die Tür.

Hinter Kotja stand Illan. Beide sahen so aus, wie zwei Städter eben aussehen müssen, nachdem sie einen Tag in der wilden Natur verbracht haben: durchweicht, verdreckt und erschöpft.