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Kotja warf mir finstere Blicke zu, ganz wie ein junger Mann, dessen Eltern in sentimentalen Erinnerungen schwelgen, »wie schnell du groß geworden bist, dabei hast du noch vor Kurzem ins Bett gemacht«, wenn er zum ersten Mal eine Freundin mit nach Hause bringt.

»Genau!«, bestätigte ich. »Du hast sie für den Sport-Express verfasst ... Kommt rein.«

Kotja huschte in den Turm. Illan, die mich misstrauisch und angespannt musterte, folgte ihm.

»Machst du gerade sauber?«, fragte Kotja, als sein Blick auf den frisch gewischten Boden und den Lappen in meiner Hand fiel. »Respekt!«

Illan, so schien es mir, schaute sich ebenfalls beeindruckt um. Nichts freut Frauen so sehr wie ein Mann, der in den eigenen vier Wänden putzt.

»Das musste sein«, antwortete ich knapp. Ich schnappte mir meine Shorts, denn die Hausarbeit hatte ich halb nackt erledigt. »Bin gleich wieder da ...«

»Wart mal«, hielt mich Illan plötzlich zurück. »Bleib stehen ...«

Sie starrte auf meinen Bauch. Danach umrundete sie mich, als sei ich ein Weihnachtsbaum. Sie hockte sich hin und betastete meinen Unterschenkel.

Geduldig wartete ich.

»Eine Maschinenpistole?«, fragte Illan, während sie mich von oben bin unten betrachtete.

»Ein Maschinengewehr.«

»Du ...« Sie erhob sich und sah mir misstrauisch in die Augen. »Das ist nicht bei uns passiert, oder? Du hast eine weitere Tür geöffnet, nicht wahr? Wohin?«

»Dahin.«

»Du Idiot! Du verdammter Idiot!« Ihr Gesicht verzerrte sich vor Kränkung. »Wir hatten schon alles ausgearbeitet ... Wir hatten einen Plan ... Wir brauchten bloß noch einen Zugang zu Erde-1! Und da reitest du einfach da ein! Das war’s dann wohl, oder? Wird die Tür beobachtet?«

Ich nickte.

»Vermutlich werden sie den Turm einbetonieren«, vermutete Illan bitter. »Sie kommen mit Sensoren, legen Minen ... das volle Programm halt. Angeblich haben sie das schon mal gemacht ... Warum bist du bloß in diese Welt vorgeprescht? Warum hast du nicht auf uns gewartet? Du hältst dich wohl für’nen richtigen Durchreißer?«

»Warum bist du denn nicht an uns herangetreten, als wir in Kimgin waren?«, fragte ich. »Warum hast du mir nicht alles erzählt, was du weißt? Über die Funktionale und über Erde-1? Was sollte dieser Angriff mit den Knüppeln und den Messern? Du hältst dich wohl für’ne richtige Durchreißerin?«

Kotja blickte alarmiert zwischen Illan und mir hin und her.

»Du hast ja recht.« Illan seufzte. »Entschuldige. Du bist nicht derjenige ... dem ich etwas vorzuwerfen habe. Kann ich mich frisch machen?«

»Hä?«

»Kann ich dein Badezimmer benutzen?«

»Ja, natürlich. Es ist oben.«

Illan streifte flüchtig Kotjas Hand, ehe sie die Treppe hinaufging.

»Und?«, fragte ich, kaum bemerkte ich den glückseligen Ausdruck auf Kotjas Gesicht, mit gesenkter Stimme. »Ist sie ein Weib oder eine Dame?«

»Sie heißt Illan«, antwortete Kotja kurz.

Ich sah ihn an - und wusste nicht, was ich sagen sollte.

»Am Anfang war ich in meiner Naivität auch begeistert«, berichtete Illan.

Wir aßen zu Abend. Sowohl in Moskau wie auch in Kimgim neigte sich der Tag dem Ende zu, weshalb unser Mahl durchaus als ›Abendbrot‹ bezeichnet werden konnte. Zu meiner Verblüffung hatte Illan es fertiggebracht, aus meinen junggesellenhaften Vorräten fast gute Hausmannskost zu produzieren. Sie hatte Kotja nach Moskau geschickt, um Kartoffeln und ein tiefgekühltes Hühnchen zu besorgen. Als Vorspeise gab es eine Nudelsuppe, als Hauptgericht Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Büchsenfleisch. Selbstverständlich konnte sich das Essen nicht mit den Gaumenfreuden in Felix’ Restaurant messen. Aber ehrlich gesagt, hätte ich diese Mahlzeit nicht gegen das üppigste Bankett eingetauscht.

»Ich wollte Ärztin werden«, erzählte Illan. »Das war ... mein Traum. Ich arbeitete als Krankenpflegerin, bimste die Lehrbücher ... Ich wollte an die medizinische Akademie von Angwar gehen ... das liegt etwa da, wo sich euer Stockholm befindet, eine sehr renommierte Institution. Die Studiengebühren sind natürlich hoch, und das Geld hatte ich nicht. Deshalb musste ich die Prüfungen mit Auszeichnung bestehen, dann würde ich ein Stipendium bekommen und bräuchte die Ausbildung nicht zu bezahlen ...« Sie verstummte. »Ich glaube, ich hätte es geschafft. Aber eines Tages komme ich zur Arbeit, und da sitzt eine andere junge Frau. Meine Patienten erkennen mich nicht mehr ... Ich nahm an, die wollten mich rausschmeißen, ohne mir mein letztes Gehalt zu zahlen ... ich würde wütend ... machte ein Fass auf ... Als Nächstes haben mich meine Freunde vergessen.«

»Und dann deine Verwandten.« Ich nickte.

»Ich bin eine Waise«, erklärte Illan knapp. »Mein Vater war Biologe, er hat meine Mutter aus dem Orient mitgebracht, als sie noch ganz jung war ... Mir hat er erzählt, sie hätten heiraten müssen, andernfalls hätte man ihn einen Kopf kürzer gemacht ... Dabei hat er gelacht, denn er liebte meine Mutter wirklich sehr. Später reisten sie gemeinsam ... nach Afrika, nach Asien ... aus Indien kamen sie nicht zurück ... es gibt bei euch doch eine Insel, die so heißt, oder? Nein, Indonesien! Von da kamen sie nicht zurück. Ich wuchs bei meiner Oma auf, doch auch sie ist inzwischen tot. Ich habe keine Familie mehr.«

»Tut mir leid«, murmelte ich.

»Am Anfang hat mir das alles ungeheuer gefallen«, fuhr Illan fort. »Nein, so dumm bin ich nicht, mir war schon klar, dass es zu wenig Funktionale gibt, um sich den Menschen zu erkennen zu geben und das Leben zu führen, das dir gefällt. Ich wollte meine eigene Klinik haben. Sie ist dann sogar entstanden. Kein großes Krankenhaus, dafür jedoch ein ordentliches. Ich wollte einfach behandeln, und zwar sowohl Funktionale, obwohl das bei ihnen nur selten nötig ist, als auch einfache Menschen. Aus der ganzen Welt würde man zu mir kommen. Natürlich würde ich nicht allen helfen können. Aber ich wollte mein Bestes geben ... Dann fing ich an nachzudenken. Weißt du, Kirill, so einfach ist das nämlich alles nicht ... Die Hebammenfunktionale beteuern, sie helfen uns lediglich, auf die Welt zu kommen ... Aber die Natur ist eben etwas anders eingerichtet.« Sie lächelte. »Der Geburt geht nun mal die Befruchtung voraus. Es muss irgendeine Kraft geben, die uns in Funktionale verwandelt. Da muss eine Logik dahinterstecken - warum ausgerechnet wir verwandelt werden. Da muss es doch ein Ziel geben ...«

»Es passiert ein Haufen Dinge ohne jedes Ziel«, widersprach ich. »Ein Grippevirus infiziert die Menschen auch zufällig.«

»Keinesfalls«, meinte Illan lächelnd. »Der Virus sucht sich Menschen mit geringer Immunität ... Anfangs habe ich auch gedacht, wir seien irgendwie disponiert. Wie in der Trivialliteratur: Es lebte einmal ein normaler Mensch, der nichts Gescheites zustande brachte, und plötzlich verwandelte er sich ratzfatz in einen Superhelden. Bei euch gibt es jede Menge solcher Bücher. Bei uns gibt’s auch welche.«

»Aus irgendeinem Grund möchten sich halt alle gern ratzfatz in einen Superhelden verwandeln«, meinte ich.

»Aber so funktioniert das nicht.« Illan breitete die Arme aus. »Letzten Endes kriegst du nichts umsonst. Du züchtest Muskeln, aber damit überforderst du deinen Organismus, treibst Schindluder mit deinem Herzen und verlierst Zeit, die du für deine Bildung aufbringen könntest, mit der Lektüre von Büchern, dem Besuch von Museen und Reisen. Du wirst ein großer Gelehrter, futterst dir aber einen Bauch an, leidest an Atembeschwerden, Hämorrhoiden und Kurzsichtigkeit. Und wir sollen alle Freuden auf einmal genießen?! Stark sein, klug, mehr oder weniger unsterblich, unsere Wunden sollen heilen ... Soll es für uns etwa keine Nachteile geben - von der Leine abgesehen?«

»Die Leine? Ach ... ja.«

»Mir hat das alles nicht gefallen«, fuhr Illan fort. »Daraufhin habe ich Felix ausgefragt. Zei. Und Karita. Das sind diejenigen, die hier bei uns in Kimgim das Sagen haben. Ich habe eure Welt besucht und Antik. Ich habe alles miteinander verglichen und versucht, hinter die Gesetzmäßigkeiten zu kommen. Man hat mir zu verstehen gegeben, ich würde mich mit Albernheiten beschäftigen. Und ich sollte, wo ich doch nun schon mal eine Ärztin war, in meinem Krankenhaus bleiben und auf Patienten warten. Dann hat Zei gewaltig auf die Pauke gehauen, behauptet, er sei in einer Schlägerei zum Krüppel gemacht worden und ich sei nicht auf meinem Posten gewesen ... Als ob man ihn, einen Polizisten, derart verletzten könnte ...«