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»Guten Abend, Vitja«, begrüßte ich ihn.

»Ich darf niemanden durchlassen«, erwiderte Vitja mit gepresster Stimme.

»Mich schon.«

Vitja schüttelte den Kopf.

Vielleicht konzentrierte ich mich nicht stark genug, um wirklich überzeugend zu wirken, oder in dem schlichten Gemüt des Leibwächters gab es nur für einen Herrn Platz. »Ich darf niemanden durchlassen«, wiederholte er mit schmerzerfüllter Stimme. »Ohne Wenn und Aber, es geht nicht.«

»Und wie willst du mich aufhalten?«, wollte ich wissen.

Vitjas Miene verfinsterte sich. Er wusste ganz genau, dass ihm all seine antrainierten Muskeln und die professionelle Vorbereitung bei einem absolut harmlos wirkenden Funktional nichts nutzten.

»Verpassen Sie mir wenigstens ein blaues Auge!«, verlangte er. »Ein Veilchen ...«

»Das bringst du selber fertig«, tadelte ich ihn. »Bist doch ein Mann!«

Ich ließ Vitja, der voller Gram auf seine gewaltige Faust blickte, stehen und ging zur Tür. Als ich klingeln wollte, bemerkte ich, dass die Tür offen war.

»Poch, poch«, sagte ich beim Eintreten.

Die Anwesenden hörten mich nicht. Sie stritten sich gerade.

Gemessen an den Maßstäben dieses Haus war die Wohnung nicht sehr groß, vielleicht fünfzig Quadratmeter. Eine Freifläche mit zwei Stützpfeilern, die mit Wandborden und mit einem unbeholfenen Gemälde verziert waren, wie man es auf dem Kunsthandwerksmarkt in Ismailowskoje feilbietet. Vor einer Wand stand ein imposantes rundes Bett, an der Wand gegenüber gruppierten sich ein Flachbildfernseher, ein Zeitungstisch und mehrere Sessel. Ein Tresen trennte die Küchenzeile ab. Sogar das Bad war nur durch eine halbtransparente Wand aus Buntglasquadern abgeteilt. Gewiss, das Ganze wirkte schon ansprechend. Mit neunzehn Jahren gefallen dir solche Wohnungen ungeheuer. Mit fünfundzwanzig wecken sie in dir freilich nur noch Rührung und den leisen Verdacht, deine Jugend sei vorüber.

Nastja und Michail standen an der Bar. In ihren Händen bemerkte ich hohe Gläser mit irgendeinem Drink. Allerdings verlangte es sie so gar nicht nach einem Cocktail. Anscheinend hatte ihre Beherrschung nur bis zu dem Zeitpunkt gereicht, an dem sie sich ihre Gläser eingeschenkt hatten - danach musste ihr Streit angefangen haben. Michail trug einen offenen Mantel, Nastja einen kurzen Hausmantel.

»Nicht einen Finger hast du gekrümmt!«, schrie Nastja. »Du hättest mich verrecken lassen!«

»Warum hast du dich auch mit denen eingelassen? Man hat mir nämlich alles erzählt!«, konterte Michail im selben Ton. »Du Idiotin!«

»Du hast mich im Stich gelassen!«

»Ich hätte etwas arrangiert und dich dann geholt«, widersprach Michail scharf. Ich hatte nicht den Eindruck, er lüge. »In dem Moment waren mir die Hände gebunden! Später hätte ich dich aber geholt!«

»Nachdem mich das ganze Dorf gevögelt hätte?« Nastja stimmte das Versprechen natürlich nicht um.

Daraufhin beging Michail eine Riesendummheit: »Als ob das etwas Neues für dich wäre! Hast du etwa nicht mit dem Zöllner geschlafen?«

Nastja schluckte und sagte kein Wort. Die Frage schien sie in der Tat zu kränken.

»Nein«, sagte ich genau in der Sekunde, als Nastja Michail eine Ohrfeige verpasste. »Sie hat nicht mit mir geschlafen.«

Sich die Wange reibend, drehte sich Michail zu mir um. Als ich seinen Blick auffing, wusste ich, dass ich mich gerade noch rechtzeitig eingemischt hatte - sonst hätte Nastja ihrerseits eine runtergehauen bekommen.

»Was machen Sie hier?«, fragte Michail kalt.

»Bin ich Ihnen etwa Rechenschaft schuldig?«, verwunderte ich mich. Ohne meine Schuhe auszuziehen, marschierte ich über den weichen Teppichboden und nahm in einem der Sessel Platz. Ich schnupperte, denn es roch nach Essen und sehr appetitanregend obendrein. Warum verspürte ich nur ständig solchen Hunger? Ob das eine Folge der Verwundung war? »Nastja, ich bin ... plötzlich mal eben so vorbeigekommen. Du hast doch nichts dagegen?«

»Nein, natürlich nicht«, antwortete sie völlig locker. »Soll ich dir einen Drink mixen?«

»Einen Gin and Tonic«, bat ich.

»Sapphire, Beefeater oder Gordon’s?«, fragte sie ganz wie ein erfahrener Barkeeper.

»Die Namen sagen mir alle nichts«, meinte ich zögernd. »Sie klingen aber durchweg verlockend ... Wozu würden Sie mir raten, Michail?«

Im Gesicht des Geschäftsmannes mahlten die Muskeln an den Schläfen. Plötzlich erinnerte er mich ungeheuer an Ippolit Matwejewitsch aus Ironie des Schicksals, als dieser gerade feststellte, dass Doktor Shenja seine, Ippolits, Rasierklinge benutzte.

»Sapphire natürlich«, erwiderte Michail. »Alles Gute, Herr Zöllner. Alles Gute, Nastja.«

»Tschüs«, brachte Nastja mit eisiger Stimme hervor. Sie öffnete die Kühlschranktür und lärmte mit den Flaschen.

Michail stellte sein Glas ab. Er machte auf dem Absatz kehrt und begab sich zum Ausgang. An der Tür blieb er noch einmal stehen. »Ich würde dich bitten, mich in Zukunft nicht mehr anzurufen«, sagte er kalt. »Mit ... mit Terroristen möchte ich nichts zu schaffen haben. Mir sind die Augen aufgegangen: Du hast mich bloß benutzt!«

Die Tür schlug zu. Ich zuckte mit den Achseln. Gut. War er also weg. Mit einem mehr oder weniger respektablen Abgang. Etwas wie »Nutte« oder »hysterisches Weibsbild« hätte nur dumm und deplatziert geklungen. So enthielten seine Worte jedoch einen Funken Wahrheit.

»Ich werde die Wohnung wohl aufgeben müssen«, sinnierte Nastja. »Sie läuft auf Michails Namen ... Außerdem könnte ich mir die Miete sowieso nicht leisten. Ich hätte ihn benutzt! Hast du Töne!«

»Nimm’s mir nicht übel, aber so unrecht hat er nicht«, hielt ich ihr entgegen. »Hast du ihn benutzt?«

Nastja schielte zu mir hinüber. Sie gab Eis ins Glas. »Was geht dich das eigentlich an?«

»Vielleicht möchte ich wissen, ob du ihn geliebt hast oder nicht.«

»Hat er mich etwa nicht benutzt?« Nastja hielt mir das Glas hin. Sie setzte sich auf einen hohen Barhocker. »Weshalb bist du gekommen?«

»Hab ich doch schon gesagt. Ich hatte plötzlich Lust, mal reinzuschauen. Ich war gerade in der Gegend ...«

»Ja, ja.« Nastja nickte.

»Ich habe meine Eltern besucht«, gestand ich zu meiner eigenen Überraschung. »Sie haben mich nicht mehr erkannt. Sie sind jetzt allein ... Ich war ihr einziges Kind. Mein Vater ist sehr alt geworden.«

Nastja stellte ihr Glas ab und sah mich unerwartet verständnisvoll an. »Nimm’s nicht zu schwer, Kirill.«

»Versuch ich ja.«

»Immerhin leben sie noch. Meine Mutter ist vor zwei Jahren gestorben. Mein Vater trinkt. Ich kann daran gar nichts ändern, er hört nicht auf mich ... Mischa hat mir immer wieder versprochen, er würde mit einem Arztfunktional reden ... aber irgendwas kam immer dazwischen. Und jetzt wird es erst recht nicht mehr klappen.«

»Er wird zurückkommen«, sagte ich mit gespielter Überzeugung. »Ganz bestimmt.«

»Nein, Kirill. Er hat Angst bekommen. Man hat ihm gesteckt, dass ich mit dem Untergrund zu tun habe, der in verschiedenen Welten gegen Funktionale kämpft.« Nastja schnaubte. »Es ist natürlich höchst schmeichelhaft, so für voll genommen zu werden.«

»Illan ist in Moskau«, fiel mir plötzlich ein. »Sie ist bei einem Freund von mir.«

»Ich weiß, sie hat mich angerufen ... Kirill, was wird jetzt mit uns?«

»Wie meinst du das?«

»Sie werden uns finden. Die Funktionale.«

»Das werden sie.« Dem konnte ich nicht widersprechen. »Nastja, ich glaube, wenn ihr beide, du und Illan, euren Ideen abschwört ...«

»Ja?«

»Dann wird man euch in Ruhe lassen. Ich hatte da ein Gespräch ... übrigens über dich. Aber ich glaube, Illan würde auch niemand etwas zuleide tun.«

Nastja nickte, sage aber kein Wort.

»Illan und du, ihr habt recht, was Erde-1 angeht«, fuhr ich fort. »Ich bin da gewesen.«