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»Die vier Stunden sind gleich um«, warnte mich der Kaukasier.

»Den Rest erledige ich zu Fuß«, sagte ich. »Es ist nicht weit.«

Ich gab ihm achthundert Rubel, ein für Moskauer Verhältnisse mehr als akzeptabler Preis.

»Ich bring dich«, erbot sich der Fahrer. »Einfach so.«

Wenn ich ihm meine Geschichte erzählt hätte, hätte er vermutlich mit mir mitgefühlt. Der Fahrer war ein Mingrelier, der während des Kriegs aus Abchasien geflohen war. Auch er besaß irgendwo ein Haus, das ihm jetzt nicht mehr gehörte. Ja, er konnte es sich nicht einmal mehr ansehen: »In Abchasien würde man mich sofort abmurksen.«

Ich konnte mir mein ehemaliges Heim immerhin noch angucken.

»Vielen Dank«, sagte ich. »Ich vertrete mir ein bisschen die Füße. Ich wohne hier in der Nähe.«

Der Kaukasier fuhr fort, und ich machte mich zu meinem Haus auf. Unterwegs kaufte ich mir ein Päckchen Zigaretten, denn meine Nerven ließen mich allmählich im Stich. Und die Gesundheit konnte mir gestohlen bleiben - wenn mein Leben gerade den Bach runterging!

Eine Zeitlang trieb ich mich vor dem Haus herum, rauchte und musterte die Gardinen. Fremde Gardinen. Ich hatte gar keine gehabt, sondern Jalousien angebracht.

Dann ging ich ins Treppenhaus, lief hoch und blieb vor der Wohnungstür stehen. Alles still. Cashew ratzte vermutlich auf dem Sofa.

Ich holte das Schlüsselbund heraus und schloss das erste Schloss auf.

Am zweiten scheiterte ich. Als ich es daraufhin inspizierte, erkannte ich, dass der Zylinder ausgetauscht worden war.

»Was machen wir denn da?«, erklang hinter mir eine Stimme.

Ich wandte mich um. Mein Nachbar kam die Treppe herauf.

»Pjotr Alexejewitsch, ich bin’s doch, Kirill!«, rief ich.

»Ach ja ...« Er nickte und baute sich vor seiner Tür auf. »Sie hat das Schloss heute Morgen ausgewechselt. Sie hat das selbst erledigt, eine patente Dame ...«

Bei dem Wort »Dame« fiel mir prompt Kotja ein.

»Was soll ich denn bloß machen?«, jammerte ich. »Die haben mir meine Wohnung geklaut ... Stellen Sie sich vor, alle Unterlagen sind auf ihren Namen ausgestellt! Überall!«

Pjotr nickte. Er holte seinen Schlüssel heraus und schloss seine Tür auf. »Ehrlich gesagt, Nachbar«, meinte er dann, »habe ich deine Papiere nie zu Gesicht bekommen ...«

Das versetzte mir den Todesstoß. Mir fiel nichts ein, was ich darauf hätte antworten können. In dem Moment klapperte eine andere Tür, und der alte Giftzahn Galina tauchte auf.

»Was ist denn das für einer, der da zu uns gekommen ist?«, erkundigte sie sich bei Pjotr Alexejewitsch, mich rundum ignorierend.

»Das ist doch Kirill, unser Nachbar ... unser ehemaliger Nachbar«, brummte Pjotr.

»Was für ein Kirill? Was für ein Nachbar? Hier wohnt doch Natascha Iwanowa!«, zischte die Alte biestig.

»Was für ein altes Miststück du doch bist!«, explodierte ich. »Hast du denn kein Gewissen? Pass auf, dass du Gott nicht vergisst, schließlich stehst du ihm bald gegenüber.«

»Ich rufe die Miliz!«, geiferte die Alte und zog sich in ihre vier Wände zurück. Noch im selben Augenblick fing sie hinter der Tür an zu zetern.

»Die Miliz kannst du jetzt wirklich nicht brauchen!«, meinte Pjotr, während er in seine rechtmäßige Wohnung ging. »Genehmigen wir uns einen?«

Schweigend ging ich die Treppe hinunter. Auf den Fahrstuhl vermochte ich einfach nicht zu warten, zu stark brodelte das Adrenalin in meinen Adern.

Wen sollte ich mir als Nächstes vornehmen? Einen Handwerker? Oder die Hundezüchterin? Gut, fing ich mit der an.

Ich kramte mein Handy heraus und suchte im Adressbuch nach der Nummer der Frau, die ich schon seit zwei Jahren nicht mehr angerufen hatte. Sie ging nicht gleich an den Apparat. Ihrer Stimme nach zu urteilen, hatte ich sie aus etwas herausgerissen. Allerdings klingelt bei Züchtern von Rassehunden alle naselang das Telefon.

»Polina Jewgenjewna?«, gab ich mich bewusst unbeschwert. »Hier ist Kirill Maximow. Erinnern Sie sich noch an mich? Ich habe Cashew von Ihnen gekauft.«

»Cashew ... Cashew ...«, murmelte Polina Jewgenjewna. Wie alle Züchter erinnerte sie sich eher an die Hunde als an ihre Besitzer. »Ja, jetzt fällt’s mir wieder ein. Ein prachtvoller kleiner Rüde. Wollen Sie ihn zum Decken geben? Oder ist er erkrankt?«

»Aber nein, mit ihm ist alles in Ordnung«, log ich. »Ich würde Sie gern um einen Rat bitten, falls das möglich ist. Ein guter Freund von mir hat plötzlich Probleme mit seinem Hund.«

»Aber machen Sie es kurz«, verlangte Polina Jewgenjewna von vornherein. Den Freunden ehemaliger Kunden einen Rat zu erteilen, gehörte eben nicht zu ihren Pflichten.

»Er hat ebenfalls einen Skye, einen braven kleinen Hund«, erklärte ich. »Und der hat von einem Tag auf den andern aufgehört, ihn als Herrchen anzuerkennen. Stattdessen hat er die nächstbeste junge Frau als sein Frauchen akzeptiert, während er meinen Freund anknurrt, verbellt und kurz davor ist, ihn zu beißen. Wie kann so etwas passieren?«

»Akzeptiert er ihn überhaupt nicht mehr?«, wollte die Züchterin wissen.

»Überhaupt nicht! Er beäugt ihn, als wäre er ein Fremder! Der Frau gehorcht er aber ganz vorzüglich.«

»Haben Sie den Hund bestraft?«, fragte Polina Jewgenjewna, mir auf diese Weise signalisierend, dass meine lächerliche Lüge von dem ›Freund‹ bei ihr nicht verfing.

»Nein, natürlich nicht«, brummte ich.

»Sie haben ihn doch noch nicht kastrieren lassen, oder? Vielleicht hat die Dame jetzt ihre ...« Polina Jewgenjewna geriet ins Stocken. »... ihre kritischen Tage. Der Hund ist schließlich noch jung, aktiv, da wird er mit ihr schmusen. Aber dass er Sie nicht mehr als sein Herrchen anerkennt ...«

»Meinen Freund!«

»Ja, schon gut. Ihren Freund. Sagen Sie Ihrem Freund doch bitte, ein Skye sei ein sehr emotionaler, intelligenter Hund, der eine grobe Behandlung durchaus verübeln kann. Selbst wenn sie von seinem Herrchen kommt. Man muss zärtlich zu einem Tier sein. Sich eventuell sogar bei ihm entschuldigen. Schließlich versteht es alles, ganz wie ein Mensch! Falls Sie mir nicht glauben, ich erinnere mich da an einen Fall ...«

»Dann ist dergleichen also möglich?«, unterbrach ich Polina Jewgenjewna.

»Mir selbst ist so etwas, ehrlich gesagt, noch nicht untergekommen«, antwortete die Züchterin kalt. »Aber irgendwann passiert alles zum ersten Mal. Güte und Zuwendung, merken Sie sich das! Mit Güte und Zuwendung kann man von einem Hund alles bekommen, keinesfalls aber mit Gewalt und einer Befehlsstimme! Hunde sind wie Menschen, nur besser. Im Unterschied zu den Menschen verraten sie einen nicht!«

»Herzlichen Dank ...«, säuselte ich. »Das werde ich meinem Freund ausrichten ...«

»Tun Sie das! Und einen schönen Gruß an die Frau Gemahlin ... Natascha hieß sie doch, oder?«

Ich erschauderte. In der Leitung vermeinte ich das Rascheln von Papier zu hören.

»Da irren Sie sich, ich bin nicht verheiratet.«

»Was heißt das, Sie sind nicht verheiratet? Hier steht doch alles Schwarz auf Weiß: Cashew von Archibald, Rüde, Besitzerin Natalja Iwanowa ...«

»Ja, Sie haben recht«, sagte ich. »Entschuldigen Sie bitte vielmals die Störung. Auf Wiedersehen.«

Nichts hatten sie übersehen! Sogar die Papiere in der Wohnung der Züchterin hatten sie ausgetauscht!

Aber weshalb? Um sich eine Einzimmerwohnung in einem alten Plattenbau unter den Nagel zu reißen?

Quatsch! Blödsinn! Nonsens!

Ich setzte mich auf eine Bank und steckte mir eine weitere Zigarette an. Ich spielte mit meinem Mobiltelefon herum. Das Handy, die Wohnung, der Hund - all das gehörte mir nicht mehr. Und wenn das bloß der Anfang war? Was konnten die mir noch nehmen?

Meine Familie. Meine Freunde. Meine Arbeit.

Ich wählte die Nummer der Einzelhandelsabteilung meiner Firma. Besetzt. Okay, das war normal. Alle möglichen Gören riefen uns an, die die neueste Grafikkarte möglichst billig abstauben wollten. Dann also die Nummer vom Boss.