»Entschuldige«, druckste Kotja. »Also ... wir sehen zu, dass wir Land gewinnen. Ich werde versuchen, dich anzurufen!«
»Mach das«, erwiderte ich.
Das war’s also.
Sie zogen von dannen. Nein, Kotja hatte natürlich recht. Besser, sie tauchten jetzt ab. Und ich? Mit Sicherheit würde ich es nicht auf einen Kampf ankommen lassen. Ich würde versuchen, den Konflikt beizulegen. Schließlich hatten wir niemanden umgebracht ...
»Sie kommen nicht her?«, fragte Nastja.
»Nein«, gab ich zu. »Illan hält es für klüger, wenn die beiden abtauchen. In eine Gegend, in der es noch keine Funktionale gibt. Sie kennt solche Orte. Aber ... ja, du könntest mit ihnen fahren!«
»Klingt verlockend.« Sie verstummte. »Ich würde nicht sagen, dass dein Freund meiner Idealvorstellung von einem Mann entspricht, aber er hat was, ohne Frage ... Und was würdest du dann machen?«
»Verhandeln. Ich würde versuchen, eine friedliche Lösung zu finden. Immerhin ist das hier ein schönes Plätzchen, mit dem ich den Funktionalen nützlich bin.«
»Dann bleibe ich bei dir«, verkündete Nastja in aller Entschlossenheit.
»Und fängst wieder mit dem Sermon an, du wolltest sie bekämpfen? Falls es dir nicht aufgefallen sein sollte, das mögen die überhaupt nicht.«
»Ich verspreche, dass ich es nicht sagen werde. Aber bilde dir ja nicht ein, ich würde lügen!«
Mir blieb nichts weiter übrig, als die Arme auszubreiten. Lügen? Pah! Ein Polizistenfunktional anzulügen - das bringt niemand so leicht zustande.
Inzwischen war Nastja zum nächsten Fenster hinübergegangen. »Kirill«, rief sie mich überraschend, »schau mal! Wie schön!«
Es war wirklich schön. Der Vollmond, ganz wie er bei uns auf der Erde aussah, nur wirkte er noch größer. Und Millionen von winzigen Lichtern, die auf der Meeresoberfläche funkelten. Es ging kaum Wind, das Meer atmete ruhig und wiegte die auf den Wellen blitzenden Lichter.
»Das ist Plankton, was da leuchtet«, sagte ich. Die Worte kamen mir völlig überraschend über die Lippen und passten überhaupt nicht zur Stimmung.
»Plankton? Interessant!« Nach wie vor schaute Nastja zum Fenster hinaus. »Wenn eine Frau ›Der Mond, wie schön!‹ sagt, fängst du also an, mit ihr über die chemische Zusammensetzung des Regoliths und die Albedo der Mondoberfläche zu reden?«
»Ich begegne zum ersten Mal einer Frau, die das Wort ›Regolith‹ kennt«, erwiderte ich ehrlich. »Also habe ich früher noch nie mit einer Frau darüber geredet.«
»Ich kenne da jemanden, einen Mathematiker«, meinte Nastja. »Als er einmal mit dem Zug gefahren ist, hat er sich in die Zugbegleiterin verliebt, weil sie sich imstande zeigte, mit ihm ein Gespräch über Funktionale zu führen. Über mathematische natürlich. Sie sind zusammen ausgestiegen und hätten beinahe geheiratet.«
»Und was hat sie daran gehindert?«
»Ich weiß es nicht mehr. Ich glaube, sie verstand nicht das Geringste von Tensorrechnung ...«
Behutsam fasste ich Nastja bei den Schultern. Ich beugte mich vor und vergrub mein Gesicht in ihren Haaren. Langsam drehte sie den Kopf herum - und wir küssten uns. Sich mir mit einer geschmeidigen Bewegung ganz zukehrend, suchte sie meine Umarmung, schmiegte sich an mich und sah mir in die Augen. Wir hatten fast die gleiche Größe, worauf mir unpassenderweise einfiel, dass meine bisherigen Freundinnen alle einen halben Kopf kleiner gewesen waren als ich.
»Wenn wir jetzt weggingen ... dorthin ...« Sie nickte in Richtung Fenster. »... dann wäre das wie in einem schlechten Hollywood-Film.«
»Ich liebe schlechte Hollywood-Filme«, sagte ich - und glaubte sogar selbst daran.
Trotzdem brachen wir nicht gleich zum Strand auf. Zum Bett war es weitaus näher.
»Bist du böse auf mich, Kirill?«
»Nein.« Ich lag auf einer Decke, die wir im Sand ausgebreitet hatten, schaute in den durchscheinenden Nachthimmel hinauf - die Luft war so sauber, als ob es im Reservat die ganze Atmosphäre in den Kosmos hinaufgetragen hätte - und streichelte Nastjas Gesicht. Meine Hände fanden ihre Lippen, ich prägte mir die Züge ihres Gesichts ein, als sei ich blind. »Weshalb sollte ich denn, du Dummerchen?«
»Meinetwegen hast du dich ... mit deinen Leuten zerstritten. Das tut mir leid. Ich bin einfach stinkwütend gewesen. Mischa hat sich wie der letzte Feigling aufgeführt, und du fingst auch schon an, den Schwanz einzuziehen.«
Unvermittelt stemmte sie sich auf die Ellbogen und sah mich an. Silbermatt schimmerte ihre Haut im Mondlicht. Sie klatschte sich auf den Mund.
»Was ist denn?«
»Ich bin eine Idiotin. Wieso musste ich auch von ihm anfangen? Ich weiß doch, dass Männer das nicht mögen ...«
»Du bist ja wirklich umfassend informiert ... Sprich ruhig von ihm, mir ist das egal.«
»Nein, ich verliere kein Wort mehr über Mischa. Noch nicht mal etwas von ihm hören will ich. Geschweige denn über ihn reden. Gefalle ich dir wirklich?«
»Ja.«
»Illan hat behauptet, Funktionale hätten nicht oft eine Beziehung zu einem Menschen. Eine lange Beziehung. Erinnerst du dich noch, was der Zauberer in Das gewöhnliche Wunder gesagt hat? Über seine Frau, die altert und stirbt, während er immer weiter und weiter lebt ...«
»Wie kommt es, dass du so belesen bist? Bist du vielleicht auch ein Funktional? Ein Bibliothekarsfunktional?«
»Da hätte ich nichts gegen ...« Nastja strich mir mit der Hand über den Bauch. »Das wäre vermutlich ganz interessant.«
»Ich werde oben eine Bibliothek haben«, sagte ich. »Das heißt, eigentlich ist sie schon da, aber noch leer. Wenn wir uns jetzt mit den Funktionalen einigen ... Aber was heißt hier wenn! Natürlich einigen wir uns mit ihnen. Danach können wir eine sagenhafte Bibliothek aufbauen! Und wir werden darum bitten, dich zum Funktional zu machen.«
»Ist das denn möglich?«
»Irgendwie müssen sie es ja machen ...« Ich streckte die Hand aus und berührte ihre Brüste. »Nein, ich möchte nicht, dass du eine Bibliothekarin wirst. Damit verdirbst du dir nur die Augen, und dann musst du eine Brille tragen. Außerdem wirst du immer verschwinden, um dich in deine Bücher zu vergraben.«
»Die Brille werde ich einfach nicht tragen. Und ich werde immer nur verschwinden, um mich in dir zu vergraben. Ungefähr so ...«
Sie legte sich sanft auf mich. Dann fing sie an, mir die Lippen, den Hals und den Bauch zu küssen, bis sie noch weiter nach unten wanderte.
»Nastja, selbst Funktionale sind mal müde ...«, bekannte ich in tragischem Flüsterton.
»Das werden wir ja gleich sehen ...«
»Das ist ... unfair ...« Doch schon im nächsten Moment rief ich: »Nein, das ist mehr als unfair!«
Nastja lachte leise. Eine Minute lang betrachtete ich ihre Silhouette vor dem Hintergrund des Himmels, wie sie sich, vom Mondlicht und der Meeresbrise liebkost, immer wieder in die Höhe hob, um sich sodann abermals auf mir niederzulassen. Als ich spürte, wie ihr Atem sich beschleunigte, griff ich nach ihren Händen und hielt sie fest. Nastja seufzte, stöhnte kaum hörbar und presste sich an mich. Ihren Körper durchliefen noch zarte Wellen, aber sie hörte nicht auf, weshalb es nun an mir war, aus dem ältesten und stärksten Wohlgefühl heraus zu stöhnen.
»Du untergräbst meinen Kampfgeist ...«, bemerkte ich kurz darauf. »Da stehen mir komplizierte Gespräche bevor, aber ich werde glückselig lächeln und jede Antwort verpatzen ...«
»Du wirst dich zusammenreißen ...«
»Hmm.« Ich setzte mich auf. Meine inneren Alarmglocken schrillten. Ein menschenleerer Strand, der Mond am klaren Himmel, der reglose Widerschein auf den Wellen, eine schöne Frau neben mir - was braucht der Mensch noch zu seinem Glück? Wahrscheinlich den Glauben an den morgigen Tag ... »Wollen wir baden?«
»Gehen wir.«
Behänd sprang sie auf. Wir liefen über den Sand zum Meer - ja, ganz genauso wie in den billigen Filmen.