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»Merk dir eins: Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob ich dich eigentlich liebe oder nicht!«, rief Nastja, während sie ins Wasser stürmte. »Ich! Weiß! Es! Nicht!«

»Ich auch nicht«, rief ich zurück.

Das entsprach der Wahrheit. Aber gerade weil wir uns nicht fürchteten, darüber zu reden, hatte für diese Wahrheit das letzte Stündlein geschlagen.

Sie kamen am Morgen zu uns.

Ein Pochen unten an der Tür weckte mich. Sie klopften nicht sehr laut, nicht bedrohend, ja, nicht einmal energisch. Allerdings unermüdlich. Poch, poch. Eine lange Pause. Poch. Wieder eine Pause. Poch, poch.

In allen Fenstern schien die Sonne.

Poch, poch.

Wer auch immer das sein mochte, da stand jemand vor der Tür und klopfte maßvoll an. Dieser Jemand musste viel Zeit haben, alle Zeit der Welt, und sehr viel Geduld, mehr als einem Menschen zu eigen ist.

Nastja erwachte ebenfalls und setzte sich im Bett auf. Alarmiert sah sie mich an.

»Zieh dich an«, sagte ich ihr. »Kotja hatte recht, unsere Auszeit ist zu Ende.«

»Werden sie den Turm stürmen?«

»Nein! Du hast Ideen! Vermutlich haben sie einen Vorschlag ausgearbeitet.« Beruhigend strich ich ihr über die Schulter. »Irgendwelche Forderungen, die sie an mich und an dich stellen ... Selbstverständlich werden wir mit ihnen handeln. Wir werden ihnen versprechen, ihnen in Zukunft nicht mehr in die Quere zu kommen ... Ich habe nur eine Bitte an dich: Sei ehrlich! Sie spüren eine Lüge.«

Poch. Poch, poch.

Es klopfte an der Moskauer Tür, sie klang nämlich am »eisernsten«. Schade. Ich hätte es lieber gesehen, wenn es auf der Kimgimer Seite geklopft und Zei uns seinen Besuch abgestattet hätte.

»Ich werde sehr überzeugend sein.« Nastja stand auf und zog sich rasch an. Eine weiße Hose, eine weiße, kurzärmelige Bluse, sommerliche, für das herbstliche Moskau absurde Kleidung. »Ich habe ein bisschen Angst.«

»Das macht nichts.« Ich zwinkerte ihr zu. »In schlechten Hollywood-Filmen gewinnen immer die Guten.«

»Sind wir denn die Guten?«

»Bessere gibt’s gar nicht«, versicherte ich, während ich in meine Jeans stieg.

»Kirill ...«

»Ja?«

»Ach, nichts.« Nastja schüttelte den Kopf. »Ich erzähl’s dir später.«

In der Straße herrschte noch jene Leere, wie sie für Moskauer Straßen um sechs Uhr morgens beim ersten Schnee typisch ist. In kleinen Städten stehen die Menschen früh auf und gehen ebenso früh ins Bett. Nur in Moskau, wo man sich die halbe Nacht um die Ohren schlägt, triumphiert winters die Leere der morgendlichen Straßen.

Vor der Tür stand Natalja Iwanowa. Sie trug leichte Kleidung, verwaschene Jeans, eine kitschige Bluse - riesige rote Rosen auf schwarzem Untergrund - und ausgelatschte Turnschuhe. Arbeitete sie etwa tatsächlich auf dem Tscherkisowski-Markt? Es schneite leicht, Nataljas Haare überzog in null Komma nichts das winterliche Weiß.

»Kann ich reinkommen?«, fragte sie.

»Und wenn ich Nein sage?«

»Das würde die Sache nur komplizieren«, antwortete Natalja ernst.

»Na ... dann komm rein.«

In meinem Schlepptau (eigentlich missfiel es mir, ihr den Rücken zuzudrehen, aber noch viel weniger wollte ich, dass sie meine Angst mitbekam) stieg Natalja in den ersten Stock hinauf.

»Wo ist deine Freundin?«, fragte sie, indem sie sich umsah.

»Sie macht das Frühstück.« Ich schob Natalja einen Stuhl hin. »Setz dich, stehend kommen wir der Wahrheit auch nicht näher.«

»Danke.« Sie nahm Platz, lehnte sich über den Tisch und stützte das Kinn in die Hand. Einen ausgedehnten Moment lang sah sie mich an. Dann lächelte sie nahezu unmerklich und zwinkerte mir zu: »Was ist, mein Schützling? Hast du Mist gebaut?«

»Ja«, gestand ich reumütig.

»Halb so schlimm. Wir werden uns etwas einfallen lassen.« Das sagte sie bereits in ernsterem Ton. »Was für ein Teufel reitet dich eigentlich, Kirill?«, fragte sie schließlich tadelnd. »Woher kommt dieser Hochmut? Du hast die Tür nach Arkan geöffnet. Das geschieht erst zum zweiten Mal im Laufe der Geschichte eurer Welt. Eine erstaunliche Leistung, keine Frage! Denn das ist ... hm, sagen wir mal, ein energetisch komplexer Prozess. Als ob man gegen den Strom schwimmt. Gut, du hast das hingekriegt. Haben dich unsere Leute angesprochen? Ja, das haben sie. Und sie haben dir sogar einen großherzigen und ganz exzellenten Vorschlag unterbreitet. Nämlich uns ebenbürtig zu werden. Einer von uns zu werden.«

»Von euch?«

»Was soll ich dich anlügen, Kirill? Dir ist doch inzwischen sowieso alles klar. Ja, ich bin von Arkan. Und meine Arbeit besteht darin, Funktionale zu rekrutieren.«

»Weshalb tut ihr das?«, wollte ich wissen. »Warum ihr herumexperimentiert, ist klar. Aber wozu braucht ihr uns? Zur Gesellschaft? Wollt ihr Personal, das aus der Ureinwohnerschaft stammt? Warum ausgerechnet ich? Warum nicht der ehrgeizige Politiker Dima oder der Geschäftsmann Mischa?«

»Bist du nicht dahintergekommen?«, fragte Natalja ehrlich erstaunt. »Das wundert mich, Kirill ... Aber nein, von mir kriegst du jetzt keine Erklärungen. Zunächst müssen wir beide uns darüber verständigen, wie es mit dir weitergeht.«

»Dann tun wir das«, murmelte ich. »Wie sieht’s aus? Wollt ihr mal wieder eine Bombe zünden?«

»Wir arbeiten auch noch nach anderen Methoden«, stellte Natalja klar. Ohne jede Drohung, sondern schlicht zu meiner Kenntnisnahme. »Und die Bombe ... Wir mussten uns damals vergewissern, ob eure Technologie der unseren einen Schaden zufügen kann ... Was soll ich bloß mit dir machen, Kirill?«

»Soll das etwa heißen, dass du mit mir machen kannst, was immer dir beliebt?«

»Richtig«, antwortete sie lapidar. »Also vergiss deine Absicht, mit mir zu feilschen. Was ich entscheide, wird gemacht. Du kannst noch froh sein, dass wir dir wohlgesonnen sind ...«

»Vielen Dank auch«, brummte ich finster.

»Nach Arkan wirst du nicht mehr gehen. Zumindest nicht in den nächsten zehn Jahren.« Natalja grinste. »Damit du gar nicht erst in Versuchung gerätst, werden wir das Fenster und die Tür zubetonieren.«

Ich behielt meine bittere Miene bei, doch der Eisklumpen in meinem Innern schmolz sofort. Hatte ich also doch recht gehabt! Die Funktionale wollten mich keineswegs umbringen! Sie brauchten mich noch. Oder sie mochten mich einfach.

»Wir werden dir eine gesellschaftliche Rüge erteilen, indem wir dich unter Hausarrest stellen. Sagen wir ... für ein Jahr? In Ordnung? Lebensmittel werden dir geliefert. Aber wenn du den Turm verlässt ...« Nataljas Mundwinkel verzogen sich plötzlich erneut zu einem Lächeln, einem ziemlich falschen zwar, das aber dennoch gewinnend wirkte. »Ach was! Wollen wir mal nicht so sein! Ich gestatte dir den Zugang zum Reservat. Sonst versauerst du hier völlig. Einverstanden?«

»Ja«, stimmte ich rasch zu.

»Bei Andrej Petrowitsch musst du dich entschuldigen.« Natalja drohte mir tadelnd mit dem Finger. »Was hast du dir nur dabei gedacht? Seine Distanz von seinem Revier auszunutzen, dich mit ihm zu prügeln und ihm Körperverletzungen zuzufügen! So was gehört sich nicht! Außerdem nimmt dadurch die Autorität der Polizei insgesamt Schaden.«

»Ich werde mich entschuldigen«, versicherte ich. »Es ist mir sogar selbst peinlich. Er ist ... ein so intelligenter Mensch. Deshalb werde ich mich gern entschuldigen.«

Oben klapperte das Geschirr. Ich sah zur Treppe, Natalja ebenfalls. Schließlich seufzte sie.

»Kommen wir zum schwierigsten Punkt ...«

»Sie bleibt bei mir«, sagte ich wie aus der Pistole geschossen.

»Alles hat seine Grenzen, Kirill. Auch unser Mitleid. Es war ein Fehler, dieses Mädchen aus Nirwana wegzubringen, denn da gehört sie hin. Vielleicht hätten wir sie sogar selbst nach ein, zwei Monaten zurückgelassen. In dieser Zeit wäre sie vermutlich zur Besinnung gekommen.«