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Ich verstummte.

Verstummte, weil ich alles begriffen hatte. Das Wichtigste.

Ich wusste jetzt, warum sie mich in ein Funktional verwandelt hatten. »Wer sollte ich werden?«, fragte ich.

Vierundzwanzig

Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen großen Käfig, in dem kleine Versuchsmenschen lebten. Das ist schwer? Gut, dann nehmen wir einen großen Käfig, in dem kleine Versuchsmäuse leben.

Drum herum stehen noch viele andere Käfige, und in jeden ist irgendwann ein Mäusepaar gesetzt worden. Freilich, in dem einen Käfig hat sich das Männchen als steril herausgestellt, in dem anderen hat die Selbsttränke versagt und die Mäuslein ertränkt, in den dritten hat sich eine wilde Ratte geschlichen und sich an den Bewohnern gütlich getan, im vierten ist die Quarzlampe heruntergefallen, und aus dem fünften sind die Mäuse ausgebrochen und in alle Richtungen davongelaufen. Trotzdem bleibt noch eine stattliche Zahl von Käfigen bewohnt. Und wenn Sie das Leben der Mäuschen in Ihrem Käfig verbessern wollen, beobachten Sie die Nachbarkäfige. Die Mäuse da leben in einer großen Familie? Interessant. Schauen wir doch mal, ob wir auch die eigenen Mäuse an den Kollektivismus gewöhnen sollten. Und die Mäuse da hocken ständig in der Ecke? Na, dann wollen wir mal sehen, ob sie sich vielleicht wohler fühlen?

Das Schicksal der Mäuse in den anderen Käfigen kümmert Sie wenig. Sie sind kein Sadist, Sie haben nichts gegen diese lieben Puschelwesen, aber wichtig ist für Sie nur ein Käfig, nämlich der, den Sie als allerletzten eingerichtet haben. An den dort lebenden Tierchen hängen Sie wirklich.

Und mit den anderen kann man experimentieren.

In dem Käfig, in dem alle Mäuse in den Ecken sitzen, freunden sich einige Individuen an und versuchen, sich zusammenzurotten? Das gehört unterbunden! Diese Kontrollgruppe muss abgesondert werden! Natürlich wären Sie imstande, die aus der Reihe tanzenden Mäuse totzuschlagen oder im Klo runterzuspülen. Aber Sie sind kein Sadist. Sie stellen einfach in jeder Ecke des Käfigs ein gemütliches Häuschen auf, legen ein großes Stück Käse hinein, sperren die Delinquenten getrennt jeweils in eins der Häuser weg - und halten sie an der kurzen Leine. Sie können den Mäusen sogar schöne bunte Bänder umbinden und ihnen eine Extraportion Vitamine als Ausgleich für die eingebüßte Freiheit spendieren. Vermutlich werden sie sich an die Situation gewöhnen und sogar ganz zufrieden sein.

In einem anderen Käfig können Sie das Wasser mit einem chemischen Präparat versetzen. Mal sehen, ob die Mäuse eine gute Portion Lachgas glücklich macht? Nein, das tut es nicht, sie sterben. Wie schade.

Im dritten Käfig, in dem Sie die Mäuse dressiert haben, in einem Rad im Uhrzeigersinn zu laufen, isolieren Sie diejenigen, die stur gegen den Uhrzeigersinn laufen. Abermals kommen Ihre kleinen Häuschen, die Leine und besonders schmackhaftes Essen zum Einsatz.

Nach einiger Zeit wird Ihnen klar, dass Sie einen Teil der Sorgen bezüglich der Kontrollkäfige den Mäusen selbst überantworten können. Und zwar eben denjenigen, die es geschafft haben, die Reinheit des Experiments zu stören und die an die Leine genommen wurden. Mit einem lauten Pfiff lenken sie Ihre Aufmerksamkeit auf sich, wenn etwas passiert. Sie beißen ihre Artgenossen mit aller Gewalt, sobald diese versuchen, ihren eigenen Weg zu gehen. (Als ich gegen den Uhrzeigersinn losmarschiert bin, habe ich ein Häuschen und eine Portion Käse bekommen! Was ist, wenn ein anderer seine Laufrichtung ändert? Kriegt der dann meine Ration?)

Allmählich pendelt sich alles ein. Den Tieren in Ihrem Lieblingskäfig geht es prächtig. Sie sind der Pestepidemie entgangen, die Käfig acht heimgesucht hat, wo Sie den Müll nicht mehr beseitigt hatten. Sie sind nicht an Skorbut gestorben wie die Bewohner von Käfig fünfundzwanzig, wo Sie ein neues Futter getestet hatten. Sie haben einander nicht mit Atomwaffen umgebracht ... Nicht doch, Entschuldigung, was sollen denn hier Atomwaffen? Schließlich reden wir von Mäusen!

Alles pendelt sich ein.

Sie sind jetzt überzeugt davon, dass früher oder später sympathische und glückliche Mäuse entstehen werden.

Zumindest in dem einen auserwählten Käfig.

»Was sollte ich werden?«, fragte ich Natalja.

»Aha«, antwortete sie. »Hast du es endlich kapiert ... Ich weiß es nicht, Kirill. Das übersteigt meine Kompetenzen. Ich bin nur eine Hebamme und Gynäkologin, hast du das vergessen?«

»Eine Hebamme oder Gynäkologin assistiert nicht nur bei der Geburt.«

»Richtig, wir müssen auch Abtreibungen vornehmen. Aber warum ich dem einen helfen soll, auf die Welt zu kommen, den anderen aber daran zu hindern habe, wird mir nicht mitgeteilt. Es tut mir ja selbst leid, weißt du ...« Seufzend sah Natalja sich um. »Bei dir ist es so gemütlich gewesen. Man hat sofort gesehen, dass hier ein angenehmer Mensch wohnt ... schade. Schade, Kirill!«

Sie hob die Hand und fuhr mit ihr über die Wand.

Zunächst schlängelte sich nur ein feiner Riss durch den Putz. Dann knisterte etwas tief im Innern in der Wand, aus dem Riss rieselte ockerfarbener Ziegelstaub, gleichsam als sei dort ein gezähnter stählerner Wurm am Werk.

Mich stach etwas in die rechte Seite, unter den Rippen. Kurz und heftig. Schmerz loderte auf und erlosch sofort wieder.

Natalja verengte die Augen zu Schlitzen und fuchtelte mit der Hand, als dirigiere sie ein unsichtbares Orchester.

Der Turm wankte hin und her - gleichsam als krümme sich die Erde selbst, die Last von fünf Welten nicht aushaltend, unter ihm. Jeder Stein schien im Gemäuer auf und ab zu springen, als versuche er, seinen angestammten Ort zu behaupten.

Mein Atem setzte aus, und ich stürzte zu Boden. Mühevoll hievte ich mich hoch, bis ich auf allen vieren stand. Die sauberen gelben Dielen dunkelten zusehends ein, ein Netz aus Kratzern spannte sich über ihnen, sie verbogen und wölbten sich.

»Siehst du, Kirill«, brachte Natalja belehrend hervor, »nicht immer ist es einem vergönnt, stehend zu sterben.«

Sie zerstörte den Turm! Über mich hatte sie keine Gewalt, was jedoch nicht die geringste Rolle spielte. Denn sie war imstande, meine Funktion auszulöschen.

Und wenn meine Funktion verschwindet, dann sterbe auch ich.

Ich versuchte mich zu erheben. Es gelang mir, noch hielt das Gebäude stand. Folglich musste ich immer noch ein Funktional sein. Ich schaffte es sogar, einige Schritte auf Natalja zuzugehen. Jetzt die Hände nach ihr ausstrecken! Sie schlagen ... ihren Hals umschließen ...

Die Frau brach in schallendes Gelächter aus und zerhackte mit der Hand die Luft. Hinter ihr explodierte die Wendeltreppe förmlich - das hölzerne Geländer stob durch die Luft und loderte auf, die gusseisernen Geländerpfosten zersplitterten und hagelten krachend nieder, die Mittelsäule krümmte sich, als schmelze sie in großer Hitze.

Der Schmerz durchschoss meinen Rücken wie ein Feuerstab, dessen lodernde Rinnsale über meine Rippen strömten. Ich wirbelte herum, wollte dem meinen Rücken marternden Feuer entkommen, fiel dabei jedoch hintüber, Natalja direkt vor die Füße.

Sie beugte sich über mich und schaute mir in die Augen. »Was ist, Kirill?«, fragte sie. »Hältst du noch durch?«

Nichts jagte mir größeren Schrecken ein als das Fehlen jedweder Grausamkeit, Schadenfreude, sadistischer Erregung oder Verachtung in ihrer Stimme. Ganz im Gegenteiclass="underline" In ihr schwangen Mitleid und ein Hauch von Neugier mit. Während der Experimentator dem arglosen Mäuschen das tödliche Gift spritzt, kann er Tiere durchaus aufrichtig lieben.

Das Wichtigste war jetzt, Ruhe zu bewahren. Die klebrige Angst aus meiner Seele zu jagen. Wer in Panik verfällt, hat schon verloren.

Sie war stärker als ich. Sie konnte Menschen in Funktionale verwandeln, ihnen aber auch die Funktion entziehen. Doch nicht alles hängt davon ab, wie stark du bist. Die Gruppe von jungen Leuten um Illan hatte es fertiggebracht, das Funktional Rosa gefangen zu nehmen, weil diese von Natur aus keine Kämpferin war. Ich hatte einen Polizisten zu besiegen vermocht, weil ich näher am Zentrum meiner Kraft, dem Turm, gewesen war.