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Die Daunenjacke hatte eine ordentliche Kapuze, weshalb mir der alberne, dünne Hahn sowieso gestohlen bleiben konnte.

»Du hast nicht vielleicht auch Handschuhe?«, bat ich. »Du kannst meine Fäustlinge haben.« Wassilissa streckte mir Handschuhe aus Leder und Fell hin, die ziemlich abgetragen und von außen ganz verrußt waren. »Du hast dann zwar extrem monströse Pranken, aber immerhin warme Hände.«

»Du bist wie das kleine Räubermädchen, das Gerda ausstattet, als sie Kay sucht«, murmelte ich.

Zu meiner Überraschung wurde Wassilissa daraufhin knallrot. Und sie gab mir einen reichlich unbeholfenen Kuss auf den Mund. »Danke, Kirill« flüsterte sie.

Was um alles in der Welt hatte sie denn da als Kompliment aufgefasst? Den Vergleich mit dem kleinen Räubermädchen? Oder reichte womöglich schon das Wort »klein«?

Auf einmal kam mir in den Sinn, dass sie vermutlich einen Liebhaber unter den Einwohnern Nirwanas hatte. Irgendeinen Mann, der noch relativ gut beieinander war und einigermaßen aussah. Aber Komplimente dürfte der ihr wohl kaum machen ...

»Dank dir«, sagte ich.

Wir standen an der Tür, die nach Janus führte. Ich war komplett ausgerüstet, angezogen und beschuht. Wassilissa hatte sogar noch einen Rucksack ausgegraben, wenn auch keinen zum Wandern, sondern eher einen für die Stadt, der aber trotzdem bequem auf dem Rücken zu tragen war. In ihn hatten wir meine dünne Jacke, Proviant und allerlei Kleinkram gepackt, den ich vielleicht brauchen könnte. Prompt fiel mir wieder Kotja ein, wie er sich auf die Suche nach Illan gemacht hatte.

»Hast du meinen Dolch noch?«, fiel es Wassilissa plötzlich ein.

»Nein.«

»Hier.«

Offenbar hatte sie überall Klingen herumliegen. Diese nahm sie von dem Tisch, der neben der Tür nach Nirwana stand, und überreichte sie mir feierlich. Ein anständiger Dolch. Nicht schlechter als der erste. Gebe Gott, dass er sich als ebenso überflüssig herausstellt wie sein Vorgänger.

»Und wenn sie nicht zum Angriff blasen?«, fragte ich. Ich musste selbst über den Unsinn schmunzeln, den ich da von mir gab.

»Warten wir’s ab«, entgegnete Wassilissa. Ich hatte den Eindruck, sie wirkte erleichtert.

In dem Moment klopfte es auf der Charkower Seite an die Tür. Zurückhaltend, freundlich und respektvoll. Nur diejenigen, die Macht und Stärke hinter sich wissen, klopfen auf diese Weise an.

»Geh jetzt.« Wassilissa riss ohne weiteres Zögern die Tür nach Janus auf. Es roch nach Frost, in der Türfüllung tanzten Schneeflocken. »Geh Richtung Sonnenuntergang! Ich lasse sie nicht gleich rein, das verschafft dir ein oder zwei Stunden Vorsprung.«

»Dann kriegst du aber Probleme«, wandte ich ein.

»Gehen wir einfach davon aus, ich sei auf Nirwana.« Wassilissa grinste. »Das klingt ja fast nach Puschkin ... Ich bin auf Nirwana gewesen, habe die Armen besucht. Und dass ich dich nach Janus durchgelassen habe, das ist schließlich meine Funktion, Leute von der einen Welt in die andere zu schleusen! Leider hatte ich noch gar keine Zeit, die Zeitung zu lesen, sodass ich nichts weiß, gehört habe ich auch noch nichts ... Und jetzt ab mit dir!«

Sie berührte mit den Lippen kurz meine Stirn, diesmal ohne jeden erotischen Hintergedanken. Ein schwesterlicher oder mütterlicher Kuss. Dann stieß sie mich ins Schneegestöber hinaus.

Sanft, fast lautlos, schlug die Tür hinter mir zu.

Ich drehte mich noch einmal um.

In dieser Welt erinnerte Wassilissas Haus an eine Burgruine, in der auf wundersame Weise ein einziger gedrungener Turm erhalten geblieben war. Aus dem einzelnen Fenster im ersten Stock fiel ein mattes, zitterndes Licht, das von einer Fackel oder Kerze zu stammen schien. Das Haus stand an einem Abhang, an dessen Fuß ich ein eisverkrustetes und zugeschneites Flussbett erahnte.

Um mich herum tobte ein Schneesturm. Flocken wirbelten durch die Luft, unter meinen Füßen knirschte der Schnee, der zum Glück tatsächlich nicht sehr tief war. Die Sonne drang kaum durch die Schneewolken hindurch. Die Berge, die ich überqueren musste, ragten als dunkle, abweisende Wand vor mir auf.

»Das werd ich schon schaffen«, versprach ich mir selbst.

Dann stapfte ich in Richtung Hügel los.

Vier

Seit der Mensch zählen kann, sind Erklärungen wesentlich einfacher geworden. »Eine Handvoll Recken hielt den überragenden Kräften des Gegners stand« - bei so einer Aussage kannst du nur mit den Achseln zucken. Eine Handvoll, das ist reichlich vage. Aber »dreihundert Spartaner gegen Zehntausende von Persern« - da sind die Größenverhältnisse sofort deutlich.

Ein »Geldsack« ist eine Sache, ein Multimillionär eine andere. Genau wie fürchterliche Kälte und minus vierzig Grad. Oder die Marathonstrecke und zweiundvierzig Kilometer.

Kein Wort, kein expressives Epitheton kann es mit der Kraft einer Zahl aufnehmen.

Zweiundzwanzig Kilometer.

Minus zehn Grad Celsius.

Diese Arithmetik jagte mir ehrlich gesagt nicht den geringsten Schrecken ein.

Den Winter liebte ich. Sogar den Winterurlaub. Ausländer mögen der unerschütterlichen Ansicht anhängen, »russische Mann sitzen in Winter in Hütte und trinken heiße Wodka aus Samowar«. Denn eigentlich ... eigentlich ist es ein ungeheures Vergnügen, im Winter in eines der Hotels im Moskauer Umland zu fahren. Selbst wenn du kein fanatischer Wintersportler bist, hat so ein Ort einiges zu bieten: Von Fahrten im Schneemobil oder Schlitten bis hin zu ganz banalen Spaziergängen an der frischen Luft. Und wie dir der heiße Tee danach schmeckt! (Gut, seien wir ehrlich, ein, zwei Gläschen Wodka sind dann auch nicht zu verachten.) Oder du ziehst im Schwimmbad deine Bahnen, wobei du durch die Glaswände auf die verschneiten Bäume schaust, schwitzt in der Sauna oder im Dampfbad ... Was ist? Eine Sauna oder ein Dampfbad gibt es nicht? Dann hast du das falsche Hotel ausgesucht ...

Zweiundzwanzig Kilometer - das ist nicht mehr als ein ausgedehnter Spaziergang an der frischen Luft.

Ich marschierte von Wassilissas Haus los und brachte dreihundert Meter hinter mich, bevor ich mich ein zweites und letztes Mal umdrehte. In dem Schneegestöber ließ sich das Licht in dem kleinen Fenster kaum noch erkennen. Etwa eine Minute wartete ich noch, dabei auf meiner Lippe herumkauend. Die Entfernung war im Grunde halb so wild. Die würde ich bewältigen. Es kam alles darauf an, mich nicht zu verirren. Hier konnten mir jedoch die Berge helfen. Laut Karte erstreckten sie sich als gleichmäßiger breiter Streifen zwischen den beiden Portalen. Sobald ich diese Kette überwunden hatte, bräuchte ich bloß noch geradeaus auf den Turm der anderen Zollstelle zuzuhalten. Die Sonne, die kaum durch die Wolken brach, stand noch nicht sehr hoch, folglich drohte mir die Gefahr absoluter Finsternis nicht. Ich würde es bis zum Turm schaffen.

Im Nachhinein wunderte ich mich allerdings über die Naivität, die wir beide, Wassilissa und ich, an den Tag gelegt hatten. Bei Wassilissa, die im warmen Charkow lebte, war diese Naivität ja verständlich, bei mir aber kaum.

Schuld war im Grunde der Wind, der den Schnee von den Hängen Richtung Flussbett trieb. Doch solange ich den ersten Gipfel noch nicht überquert hatte, bereitete mir der Weg wirklich keine Schwierigkeiten. Der Wind wurde zwar immer stärker und böser, aber ich erklomm unverdrossen den hart überfrorenen Hang. In der Senke, die hinter dem Berg lag, versank ich dann jedoch sofort knietief im Schnee. Noch ein Schritt, und ich steckte bis zur Taille in der Wehe.

Ich holte tief Luft und schaute mich verzweifelt um. Die vor mir liegende, fast runde Talsohle hatte einen Durchmesser von zwanzig bis dreißig Metern. Lächerlich! Nur dass ich sie eben unter einer dicken Schneeschicht durchqueren musste ...