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Wie sollte ich hier eine Frau namens Wassilissa finden? Als ich noch ein Zöllner gewesen war, hatte ich einen Richtungsinstinkt besessen, der es mir erlaubte, zu dem als alten Wasserspeicher getarnten Turm an der Kreuzung der Welten zurückzufinden. Fremde Portale hatte ich jedoch selbst damals nicht gespürt. Und auch Funktionale hatte ich erst erkannt, wenn sie mir direkt gegenüberstanden.

Meine Idee, nach Charkow zu fahren, Wassilissa zu finden und sie um Hilfe zu bitten, hatte von Anfang an nicht viel Aussicht auf Erfolg. Gut, wir hatten uns damals auf Anhieb gemocht. Und den unsichtbaren Puppenspielern, die uns zu Funktionalen gemacht hatten, brachten wir beide nicht allzu viel Sympathie entgegen. Soweit ich es verstanden hatte, war Wassilissa mehr oder weniger freiwillig in die Verbannung gegangen und kontaktierte ihre Kollegen nicht allzu oft.

Aber wie kam ich darauf, dass sie mir helfen würde - und damit riskierte, alles zu verlieren?

Nur weil ich sie besser kannte als die anderen Zöllner? Hmm, genau genommen stimmte auch das nicht. Die Begegnung mit dem deutschen Zöllner war nicht weniger herzlich verlaufen, beinahe hätten wir sogar Brüderschaft getrunken ...

Während ich rauchend diesen eher unerfreulichen Gedanken nachhing und im Regen durchweichte, driftete ich nach und nach in eine Depression ab. Was machte ich hier? Wäre es nicht wesentlich gescheiter, die Funktionale wissen zu lassen, dass ich nicht die geringste Absicht hatte, gegen sie zu kämpfen? Weshalb sie mich getrost in Ruhe lassen konnten? Vielleicht würden sie mir ja glauben ... Ich würde einfach nach Hause fahren. Bei Bit und Byte würde man mir zwar den Kopf für die unentschuldigt gefehlten Tage waschen, aber vermutlich würde man mich trotzdem wieder einstellen. Und selbst wenn nicht! Schließlich hatte ich weiß Gott nicht die Absicht, bis ins hohe Alter pickligen Teenies die neuesten Videokarten anzudrehen oder Buchhaltern fortgeschrittenen Alters vorzuführen, dass der und der Rechner extrem leistungsstark ist und mit Maus, Monitor und Internetanschluss verkauft wird! Ich würde an die Uni gehen, an die Fakultät für Physik und Mathematik. Um ... um eine Maschine zu erfinden, mit der man von einer Welt in eine andere gelangte. Um auf Erde-1 zu landen ... Nein, besser gleich auf Erde-0, die meiner Ansicht nach hinter alldem stecken musste. Denen würde ich Feuer unterm Arsch machen! Mit zwei Schwertern auf dem Rücken und einer MPi im Anschlag! Nachdem ich mich mit heiligem Wasser besprengt und tibetanische Kampfmagie studiert hatte! Ein Szenario, ganz im Geiste des SF- und Fantasy-Schriftstellers Melnikow ...

Sobald mir Melnikow einfiel, musste ich unwillkürlich an Kotja denken.

Das gab mir den Rest. Ich stand auf und trat die zweite Zigarette aus, die ich mir gleich nach der ersten angesteckt hatte. Missmutig durchquerte ich den Hof.

Charkow ist eine große Stadt. Mit einer Metro und allem, was statusbedingt sonst noch dazu gehört. In erster Linie halt eine Unmenge von Häusern. Platz hatten sie hier nicht gespart, weshalb es nur stellenweise Hochhäuser gibt.

Komisch, dass Wassilissa ausgerechnet aus dieser Stadt stammte. Zu ihr hätte viel besser ein gemütlicher kleiner Ort wie Bobruisk gepasst ...

Die nächsten Höfe - feuchte, graue, traurige Plätze - durchquerte ich völlig in Gedanken versunken und ohne irgendetwas wahrzunehmen. Die Häuser zogen sich einen Hügel hinauf, zwischen ihnen schlängelte sich eine asphaltierte Straße entlang, die an bezäunten Vorgärten vorbeiführte, fast schon kleinen Gemüsegärten, eine für eine Millionenstadt befremdliche und vermutlich nicht erlaubte Erscheinung. Aber im Süden war eben alles unkomplizierter. Weiter weg von diesem idiotischen Schema von »Das gehört sich und das nicht«, dichter dran an der Realität. Es konnte durchaus sein, dass die Bewohner hier unbehelligt Zwiebeln und Dill vor der eigenen Haustür anpflanzten.

Plötzlich zwang mich etwas stehenzubleiben. Und zwar in einer schmalen Gasse, direkt am Ausgang eines dieser Höfe.

Dieses Etwas ließ sich nur schwer mit Worten beschreiben. Es lag an der Grenze zwischen Realem und Märchenhaftem, Gesehenem und Eingebildetem, eine Art huschender Schatten, aus den Augenwinkeln erfasst und ins Nichts verschwunden.

Ich schaute mich um. Lauschte.

Und wenn ich auf meine durch die Zigaretten verdorbene Nase vertraut hätte, hätte ich auch noch geschnuppert!

Dieser Hof war anders.

Hier hatten die Bäume noch nicht alle Blätter verloren. Die Gardinen in den Fenstern waren knalliger. Auf den Fensterbrettern leuchteten die Blumen triumphaler und fröhlicher, fast als seien sie Nachkommen des Rosenstocks von Gerda und Kay. Ein dicker schwarzer Kater, der sich auf dem Kofferraum - pardon, auf der Motorhaube - eines Saporoschez putzte, bis sein Fell glänzte. Er hatte Maße, die dich stutzen ließen: Thronte da eine Rohrkatze oder ein kleiner Luchs?

Auch der alte Saporoschez sah erstaunlich gut in Schuss aus, nicht wie ein restaurierter Oldtimer, nicht wie ein Haufen Schrott, sondern genau wie das, was er war: ein kleines, wendiges Auto.

Bei dem Zaun vor einem der Häuser handelte es sich um ein schmiedeeisernes Gitter. Es war mit einer widerlichen Farbe gestrichen, außerdem schmutzig, aber dennoch eine echte Schmiedearbeit. Kunstvoll rankten sich Weinreben um Blätter von Erdbeerpflanzen. Als Tüpfchen auf dem i bekrönte das Dach eine schmiedeeiserne Wetterfahne, kein banaler Hahn, sondern ein Drache, der die Flügel spreizte, die Zähne fletschte und gezackte Flammen spie. Ein Lattenzaun aus Fernsehantennen ragte um ihn herum in den Himmel auf wie die Piken einer Armee in der Verteidigung, die einen ungebetenen Gast entdeckt hatte.

Ich lachte los. Wenn das keine Visitenkarte von Wassilissa war, dem Zöllnerfunktional, das so großzügig Schmiedearbeiten verschenkte!

Wie hatte ich mir ihre Zollstelle in einer anderen Welt denn vorgestellt? Damals hatte sie eine ironische Bemerkung gemacht über die Türme, die Männer immer bewohnen würden ... Genau, etwas über Freud oder in der Art. Und jetzt handelte es sich bei ihrer Zollstelle tatsächlich nur um ein einfaches kleines Häuschen. Ganz ohne jede Exotik.

Die Gebäude, an die unsere Funktion gekoppelt ist, fallen an sich nicht weiter auf. Jeder normale Mensch kann sie sehen, tut das ja auch. Aber sehen und wahrnehmen, das ist nicht dasselbe. Das ehemalige Zimmermädchen und heutige Hotelierfunktional Rosa Weiß entdeckte in den Hungerjahren des Bürgerkriegs ein Lebensmittelgeschäft nur deshalb, weil man sie zu dieser Adresse bestellt hatte. Alle anderen - all die hungernden Rotarmisten, die vor nichts zurückschreckenden Banditen und die ihre Schätze hortende Bourgeoisie - gingen daran vorbei, träumten von einem Stück Brot und sahen nichts von dem eingelegten Gemüse, den Anchovis, dem roten und schwarzen Kaviar oder den Kalbfleischfilets.

Auch meinen Turm in der Nähe der Metrostation Alexejewskaja hatten nur diejenigen bemerkt, denen gesagt worden war, es sei eine neue Zollstation entstanden, ein höchst bequemer Übergang in andere Welten.

Nun hatte ich buchstäblich zwei Schritte von Wassilissas Zollstation gestanden, ohne sie überhaupt wahrzunehmen!

Das einstöckige Ziegelhaus zwängte sich zwischen größere und höhere Gebäude, schien sie förmlich auseinanderzusprengen, um sich einen Zugang zur Straße zu erkämpfen. Das Haus, das eindeutig Wassilissas Stempel trug und von ihr mit einem Zaun und einer Wetterfahne ausgestattet worden war, verschmolz mehr oder weniger mit den beiden höheren Nachbarbauten und wurde von ihnen nur durch einen schmalen, zugemüllten Spalt getrennt.