»Gut. Wir sind Verbündete.«
»Ich brauche die Hilfe eines Menschen.« Der Roboter erhob sich. »Der Eingang zu dem Gebäude öffnet sich nur für Menschen. Und ich falle nicht unbedingt unter den Begriff Mensch. Ich musste warten, bis Menschen kamen, damit ich eventuell zusammen mit ihnen ins Gebäude gelangte.«
»He!« Ich sprang ebenfalls auf. »Dann hast du es also schon mal versucht?«
»Ja. Manchmal kommen Menschen hierher. Abenteurer, Glücksritter und Schatzsucher. Wenn es mir gelang, sie aufzuhalten, habe ich auf ihre Fragen geantwortet und ihnen vorgeschlagen, gemeinsam zum Turm zu gehen.«
»Waren es viele?«
»62 Menschen. Die Übereinstimmung mit der Zahl der Jahre, die ich schon hier bin, ist purer Zufall. Manchmal kam drei oder vier Jahre lang niemand. Die längste Pause ging deinem Erscheinen voraus, neun Jahre.«
»Und? Was haben diese Leute gefragt? Was hast du ihnen geantwortet?«
»Sie haben unterschiedliche Fragen gestellt: Ob es im Turm einen Schatz gibt, ob die Chance besteht, in den Turm hineinzugelangen und lebend aus ihm herauszukommen. Ich habe geantwortet, dass es einen Schatz gibt und die Chance besteht.«
»Und sie haben sich alle einverstanden erklärt?«
»Sie hatten keine Wahl. Ich habe ihnen klipp und klar gesagt, ich würde es nicht zulassen, dass Informationen über mich bekannt würden. Entweder wir gehen gemeinsam - oder sie würden auf der Stelle sterben. Sie haben es vorgezogen, zum Turm zu gehen.«
»Und dann sind sie gestorben?«
»Ja.«
»Na großartig!« Ich starrte in die ausdruckslosen Glasaugen. »Du bist kein guter Roboter, nicht wahr?«
»Ich habe ein Ziel. Bist du immer gut?«
»Aber ich ...« Ich verstummte. Wer war denn dieses Ich überhaupt? Ein Mensch? Dann hatte ich auch einen Menschen vor mir, nur in einem Metallkörper. Und diesen Menschen banden keine Gesetze, er war frei.
»Sie sind hierhergekommen und wussten genau, welches Risiko sie eingehen und dass sie sterben können. Sie waren auf der Suche nach Abenteuern und Schätzen. Sie haben ihr Abenteuer bekommen, und sie hatten die Chance, einen Schatz zu finden. Ich habe ein ehrliches Spiel gespielt.«
»Hättest du mich auch vor diese Wahl gestellt?«
»Wenn du abgelehnt hättest, natürlich. Aber du hast nicht abgelehnt. Du willst selbst dahin. Stimmt doch, oder?«
Logik ist eine feine Sache. Wenn auch eine zweischneidige.
»Warum sind sie gestorben?«
»Ich weiß es nicht genau. Im Gebäude gibt es ein Kontrollzentrum am Eingang. Es lässt Menschen ein und unterzieht sie einer Prüfung. Diese Situation habe ich nur teilweise unter Kontrolle. Der eine hält sich länger, der andere wird auf der Stelle getötet. Da du ein Funktional bist ...«
»Ein ehemaliges!«, widersprach ich sofort.
Der Roboter sagte zunächst gar nichts. Nach einer Weile wiederholte er nur hartnäckig: »Ehemalige gibt es nicht. Du bist ein Funktional, und du hast wesentlich bessere Chancen durchzukommen. Ich schätze deine Chancen auf eins zu drei.«
»Vielen Dank, das tröstet mich ... Und auf welcher Grundlage fußt diese Prognose?«
»Die ist mir einfach so eingefallen.«
Ich konnte nicht anders, ich brach in Gelächter aus. Ein sterbender, aber rachedurstiger Metallklotz mit Sinn für Humor und der festen Absicht zu scherzen! Ein großartiger Verbündeter! Der hatte mir gerade noch gefehlt!
»Fühlst du dich jetzt besser?«, fragte der Roboter, der geduldig abgewartet hatte, bis mein Lachanfall verebbt war.
»Ja, ein bisschen ...« Ich hob die MPi vom Boden auf. »Ist es weit?«
»Fünf Minuten. Du bist fast bis zum Gebäude gelangt.«
»Kannst du mir noch einen guten Tipp geben? Wie ich dieses ... Kontrollzentrum überstehe?«
»Nein. Ich weiß nicht einmal, ob du besser lügen oder die Wahrheit sagen solltest.«
»Also werden mir Fragen gestellt?«
»Anscheinend ja. Anscheinend verfügt das Gebäude über einen eigenen Verstand.«
»Einfach toll! Wir diskutieren das in aller Seelenruhe in der Nähe von diesem Ding ... Was, wenn es uns belauscht?«
»Ich glaube, das wäre bedeutungslos.«
»Dann lass uns gehen«, verlangte ich scharf. »Ich hab genug davon ... hier Phrasen zu dreschen.«
»Wenn du das Kontrollzentrum passiert hast, musst du einen Befehl erteilen, dass man mich durchlässt«, sagte der Roboter.
»Nur mal angenommen, ich erteile den Befehl nicht? Was machst du dann?«
»Dann bleibe ich draußen«, erwiderte der Roboter niedergeschlagen. »Wenn die Frist meiner Existenz abläuft, werde ich zu diesem Abgrund zurückkommen, denn er entspricht meinen Zielen am ehesten, und mich in die Tiefe stürzen. Es wäre unvernünftig, etwas zurückzulassen, das die Einwohner entdecken könnten. Außerdem würde ich nicht wollen, dass die hiesigen Genies meinen Körper sezieren. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als dir zu vertrauen.«
»Gehen wir«, sagte ich.
»Folge mir.«
Dem Roboter nachzustiefeln war einfach. Egal, was für eine Kraft und Geschicklichkeit sich in dem Metallkörper verbarg - er war nun mal groß und schwer. Daher wählte er automatisch breite und sichere Wege.
»Gibt es hier Tiere?«, fragte ich.
Aus irgendeinem Grund antwortete der Roboter nicht gleich.
»Ja. Früher lebten hier Wölfe, aber jetzt sind sie verschwunden. Am gegenüberliegenden Hang lebt eine Fuchsfamilie. Die beobachte ich gern.«
»Haben sie keine Angst vor dir?«
»Sie haben sich an mich gewöhnt. Ich bewege mich zwar wie ein Mensch, aber ich rieche nicht so.«
Ich stellte mir vor, wie dieser komische Metallklotz irgendwo völlig erstarrt neben einem Fuchsbau hockt. Stundenlang, tagelang. Absolut unbeweglich. Seine Augen schimmern matt. Irgendwann verlieren die Füchse ihre Angst vor ihm und springen furchtlos an ihm vorbei. Ein alter weiser Fuchs, das Oberhaupt der Familie, nähert sich ihm als Erster und markiert den Metallfuß mit seinem Urin, womit er den Roboter zu einem harmlosen Detail in der Umgebung macht. Der Roboter bewegt sich nicht. Im Frühjahr spielen die jungen Füchse um die in die Erde abgesackten Beine herum. Der Roboter bewegt sich nicht. Nur die Augen, aus denen Regentropfen sickern, funkeln schwach in der Nacht ...
»Es muss hier traurig für dich gewesen sein.«
»Der Krieg ist nirgends ein heiterer Zeitvertreib.«
»Und wer waren die beiden anderen? Deine Freunde?«
»Roboter.«
»Auch ... auf der Grundlage eines menschlichen Bewusstseins?«
»Ja. Auf der Grundlage meiner Kinder, die von den Funktionalen umgebracht worden sind.«
Danach traute ich mich nicht, noch eine Frage zu stellen.
Nach ein paar Minuten zeichnete sich im Nebel allmählich der Wolkenkratzer ab. Zunächst spürte ich Kälte, als ob ein großes schweres Etwas, das teilnahmslos und schweigend in der Luft hing, die im Nebel nicht auszumachende Sonne von mir abgeschirmt hätte. Der Roboter verlangsamte den Schritt.
Die Türme des Wolkenkratzers fasste unten eine Art Stylobat zusammen, ein bogenförmig geschwungenes Fundament, dessen Größe und Form an das Gebäude des Generalstabs auf dem Palastplatz in Petersburg erinnerte. In der Mitte dieses Bogens, dort, wo beim Generalstab die Tordurchfahrt liegt, befand sich hier eine durchsichtige Tür, die so groß war, dass ein Lkw durchgepasst hätte, die sich im Gebäude aber dennoch klein ausnahm. Natürlich war dieses Fundament nicht aus Stein erbaut. Das fugenlose graue Material konnte Beton sein, aber vielleicht gab es in meiner Welt auch gar keine Bezeichnung dafür. Zehn Meter über dem Boden waren Fenster eingelassen.
Ich schaute hoch - und sah im Nebel die einzelnen, gegeneinander verdrehten Türme. Wir standen jetzt mitten in einer gigantischen Röhre, die sich in die Wolken hineinbohrte. Ich hatte den Eindruck, über uns würde, genau wie über dem Auge eines Taifuns, wolkenloser Himmel liegen.