Ich stöhnte auf, als diese Informationen, gezogen aus Energie, entstanden aus dem Nichts, mein Hirn überfluteten. Ich hatte zu viel auf einmal gewollt. Ich ertrug das nicht, bewältigte und verstand die Informationen nicht, die die Datenbank der Funktionale mir so bereitwillig zur Verfügung stellte. Wenn ich etwas stärker gewesen wäre, etwas erfahrener - hätte ich bewusst auf diese Datenbank zugreifen können. Und zum Beispiel die Anfrage eingeben können, was ich anstellen musste, um die Funktionale zu besiegen.
Aber diese Kraft hatte ich nicht.
»Ja, du hast eine Wahl, deren Folgen wichtig sind.«
»Desinfizier mich!«, verlangte ich und rammte die Zähne ins Mundstücke.
Das war immer noch erträglicher. Besser diesen giftigen Müll, der mir den Mund ausspülte, als jenes flimmernde Nervennetz des Gebäudes, das sich zwischen der Realität und dem Nichts spannte. Besser dieser Mist als der Versuch zu verstehen, was ich nicht verstehen konnte. Wenn sie mich schon vollpumpten, dann lieber mit Gift als mit Informationen ...
Aah!
Ich hätte aufgeschrien - wenn ich gekonnt hätte! Aber das Mundstück bohrte sich mir tief in den Mund hinein, nicht mal meinen Kopf konnte ich noch bewegen. Eine ekelhaft bittere Flüssigkeit fraß sich in meine Lippen, ein dickes klebriges Etwas rann mir die Kehle hinunter. Sobald ich merkte, dass ich diese Lauge oder Säure schluckte und all meine Geschmacksnerven explodierten und wütend »Gift!« schrien, versuchte ich, mich vom Tresen loszureißen.
Mit krampfartigen Bewegungen pumpte mir der Schlauch mindestens einen halben Liter Flüssigkeit in den Mund, bevor er versiegte und in den Tresen zurückglitt. Gleichzeitig wurden meine Hände freigegeben. Ich fiel auf die Knie, drehte den Kopf und wollte das Gift ausspucken. Mein Magen krampfte sich zusammen, aber der klebrige Scheiß hatte nicht die geringste Absicht, meinen Organismus wieder zu verlassen. Ich spürte, wie mir das Gift die Speiseröhre und den Magen verbrannte, ins Blut eindrang, mein Herz und meine Leber wegätzte ...
Ein Mensch würde diese Prozedur nie überstehen.
Entweder würde er in Sekunden an den entsetzlichen Schmerzen sterben, an einem Infarkt, oder er würde in wenigen Stunden sterben, bei lebendigem Leibe verfault.
Ich war zum Teil ein Mensch, zum Teil eine lebende Maschine, genau wie der geduldig draußen ausharrende Roboter Anatol Lars. Mein Körper war in ein instabiles System verwandelt worden, das zwischen den Realitäten balancierte, genau wie meine Zollstelle, genau wie dieses fächerförmige Gebäude. Mein Körper brachte einiges zustande. Er ließ eingebüßte Extremitäten nachwachsen, spuckte Gift aus, ertrug Feuer. Er war zu allem fähig, weil es im unendlichen Ozean der Zeit, im aufgeklappten Fächer der Realitäten alles Mögliche gab - neue Körper, ungiftige Gifte, sich regenerierende Organe, Menschen, die zum Frühstück Säure tranken, und Menschen, die zum Dessert Glas aßen -, weil man in diesem Meer der Wahrscheinlichkeiten Kugeln mit bloßen Händen abfing und eine Berührung von Daumen und Zeigefinger Blitze aus den Nägeln schießen ließ, weil in diesen unzähligen Welten, von denen die Funktionale gerade mal den Rand erfasst hatten, Undenkbares möglich und Mögliches unmöglich war. Was war verwunderlich daran, dass die lebend verbrannten Zellen meines Körpers sich erneuerten? Was war seltsam daran, dass das ätzende Gift sich in Wasser verwandelte, das sich mit meiner Spucke vermengte?
Aber vielleicht war auch alles ganz anders. Komplizierter und einfacher zugleich. All die Abermilliarden von Welten - die zugleich eine einzige Welt bildeten. All die Abermilliarden von Kirill Maximows - die ein und derselbe Kirill Maximow waren. Einem Einzigen kannst du nichts anhaben, solange er Teil einer Gemeinschaft ist, denn dann erneuern sich die ermordeten Zellen, wenn auch nur, weil in der Waagschale auf der anderen Seite Abermilliarden von gesunden, lebenden, völlig unvergifteten Kirills liegen. Gibst du einen Tropfen Gift in den Ozean, löst er sich einfach im Wasser auf, verdampft ein Tropfen Meerwasser, ersetzt ihn ein neuer. Man konnte mich nicht umbringen, wenn man nicht alle Kirills auf einmal umbrachte, wenn man nicht alle Welten auslöschte, wenn man das Universum nicht bis in die Grundfesten erschütterte ...
Einen kurzen Moment lang erfasste ich, dass es etwas Unmögliches tatsächlich nicht gab. Dass alle Spielregeln, die in unseren Welten aufgestellt worden waren, alle Axiome - Feuer brennt, der Himmel ist blau, Wasser nass - bloß einen Zufall darstellten.
Der Himmel dröhnt.
Feuer wiegt schwer.
Wasser ist kratzig.
Alles ist möglich.
Ich spuckte dicken, blau-rosafarbenen Speichel aus und wischte mir die Lippen ab. Dieser beschissene Sabber!
»Wasser?«, vernahm ich eine desinteressierte Stimme.
Auf dem Tresen erschien ein Glas. Ein ganz normales Trinkglas mit Wasser. Ich stand auf und trank es in einem Zug aus.
»Noch mehr Wasser?«
»Danke, nicht nötig«, krächzte ich. »Ein zweites Glas würde mir auch nicht helfen, diesen widerlichen Geschmack loszuwerden ...«
Obwohl meine Kehle noch brannte, ließ der Schmerz bereits nach. Ich hörte wieder auf, ein Funktional zu sein, hatte aber immerhin überlebt. Ich hatte gewonnen.
»Kann ich reinkommen?«
»Sie sind ein Funktional. Sie haben das Recht, das Museum zu betreten. Der Kustode ist informiert.«
»Ein Museum? Welcher Kustode?«, fragte ich.
Eine Antwort erhielt ich nicht.
»He ...« Ich blickte zur Tür. »Mich hat ein Roboter begleitet. Er soll reinkommen!«
»Der Roboter kann eintreten!«
Ich trat zur Tür, die lautlos aufging, genau wie die Tür in einem Supermarkt. Ich winkte ihn heran.
Der Roboter setzte sich in Bewegung und wechselte so abrupt, wie es kein Lebewesen vollbrächte, von der Reglosigkeit in den Sprint. Die schweren Schritte ließen die Erde beben. Ich trat zur Seite - und der massive Metallberg flog an mir vorbei, stoppte, drehte sich langsam um und betrachtete das Foyer.
»Sie haben uns reingelassen, Anatol.«
»Woher weißt du meinen Namen?«
»Ich musste zum Funktional werden, um durchzukommen. Zöllner sind an eine Datenbank angeschlossen. Eine verdammt gute Datenbank.«
»Mich hat schon lange niemand mehr beim Namen genannt.« Der Roboter wandte sich ab, als hielte er unser Gespräch für beendet, umrundete den Tresen und lief die Wände ab. »Nenn mich lieber Roboter.«
»Gut. Ich weiß, wo wir sind. Das ist ein Museum.«
Der Roboter sagte nichts. Er beendete seine Inspektionstour und baute sich an der Wand gegenüber der Tür auf.
»Komm her«, verlangte er. »Hier gibt es eine Geheimtür, die muss sich vor dir öffnen.«
Ich stellte mich neben ihn, und die Wand teilte sich und glitt genauso seitlich auseinander wie eine Tür.
Der Roboter stürmte sofort durch den Spalt, als fürchte er, er könnte daran gehindert werden. Ich folgte ihm.
Ich hatte den Eindruck, der gesamte Stylobat sei im Innern hohl. Eine Schachtel ohne Deckel, ganz ohne Stockwerke, aus der die Türme herauswuchsen. Ich blieb stehen, um nach rechts und nach links zu sehen. Der Roboter stapfte nach rechts, ich aus Protest nach links.
Ein sehr breiter Gang. Fünfzehn Meter über mir die Decke. Gleichmäßige graue Wände, Lampen warfen ein kompliziertes Muster an die Decke. In gleichmäßigen Abständen voneinander waren oben offene, rechteckige Plattformen über den Boden verteilt, die etwa drei mal fünf Meter maßen und in Hüfthöhe eine Haltestange aufwiesen.