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Was bleibt dir dann übrig?

Die Luft anzuhalten.

Oder dich damit abzufinden.

Wahrscheinlich war ich im Moment wirklich ziemlich stark. Wenn ich mit einer einzigen Kugel den Nicht-Engel hatte ausschalten können, dieses alte und starke Funktional. Wenn ich dem Briefträger eins hatte verpassen können, wenn ich die Anstrengungen des Polizisten ignoriert hatte. Und wenn obendrein unsere ganze Welt von meinem Wohlergehen abhing, dann war es in der Tat riskant, mich zu töten.

Sicherlich würde ich mit Kotja fertigwerden.

Und danach seinen vorgewärmten Platz einnehmen. Ich würde in Tibet ein- und ausgehen wie in meiner eigenen Küche. Ich würde von einer Welt in die andere springen, reisen und mich erholen. Die Arbeit schaffte ich mit links. Einfach ein paar Befehle der einen Funktionale an die anderen weiterleiten - was war das schon? Danach könnte ich es mir sofort wieder gutgehen lassen. Ich würde anfangen, etwas zu sammeln. Und ich würde Krimis oder philosophische Abhandlungen schreiben.

Falls mich Langeweile überkommen sollte, würde ich zur Heimat der Funktionale aufbrechen, zu Erde-16. Warum sie ihr am Ende doch eine Nummer zugeteilt haben? Noch dazu eine so komische? Zur Irreführung allzu neugieriger Zöllner? Oder gab es in diesem Fächer von Welten, in diesem Multiversum, eine Harmonie, die sich mir bislang nicht erschlossen hatte? Vielleicht ...

Die vulkanischen Wüsten reizten mich kaum, aber das Museum mit dem geflügelten Kustoden, das war schon was anderes.

Und wenn mir alle Welten zum Hals raushingen, dann würde ich nach Arkan gehen. Um weitere Welten zu verändern. Vielleicht würde es ja klappen, und ich bekam eine bessere hin? Eine Welt, in der niemand Funktionale brauchte. Wo alles gut war.

Schließlich hatte ich keine andere Wahl.

Ich starrte das Handy an und wusste mit hundertprozentiger Sicherheit, dass Kotja ebenfalls nicht schlafen konnte. Er würde auf meinen Anruf warten. Ich sollte also die sorgfältig gehütete Visitenkarte heraussuchen und die lange Nummer des Satellitentelefons wählen ...

Da klingelte es.

Ich nahm das Handy an mich und drückte auf »Empfang«. Langsam führte ich es ans Ohr.

»Hallo? Hab ich dich geweckt?«

»Nö«, antwortete ich. »Ich häng hier nur rum und gönn mir ein Käffchen.«

»Ich kann auch nicht schlafen«, tröstete Kotja mich. »Das Rumgesitze bringt mich noch um. Ich schreibe sogar schon Gedichte.«

»Lyrische oder feierliche?«

»Satirische. Wie der alte Veteran Wassili Tjorkin einen Einberufungsbefehl kriegt. Hör maclass="underline"

Na, da staunt Wassili Tjorkin,

Unverwüstlicher Soldat,

Dass er, wie es scheint, vom Wehrkreis

Einen Brief erhalten hat.

Und so liest er laut das Schreiben,

Das er in den Händen hält:

›Hiermit sind Sie, Bürger Tjorkin,

Zur Erfassung einbestellt.‹

Tjorkin legt den Brief beiseite,

Blinzelt übern Brillenrand:

Dass sie jetzt schon Alte ziehen -

Steht’s so schlimm ums Vaterland?

Tags darauf der junge Leutnant,

Glattrasiert und rot vor Scham,

Weiß sich gar nicht zu erklären,

Wie es zu dem Irrtum kam.

›Hier nach unsern Unterlagen

Sind Sie grad mal achtzehn Jahr.‹

Und mein lieber alter Opa

Lacht laut auf und sagt: ›Na klar!

Jungs, da hat sich der Computer

Wohl verzählt, er hat mir gleich

Hundert Jahre abgezogen.‹

Und der Leutnant wurde bleich.«

»Das ist witzig. Ich gratuliere dir zur Entdeckung eines neuen Hobbys«, sagte ich. »Weshalb rufst du an?«

»Weshalb hätte ich nicht anrufen sollen? Und wen kann ich sonst anrufen? Wenn ich Illan wecke, würde sie den Humor sowieso nicht zu schätzen wissen. Was weiß sie schon von Wassili Tjorkin? Schließlich hat sie das Gedicht von Twardowski noch nie gehört!« Er verstummte. Nach einer Weile fragte er sachlich: »Hast du noch keine Wahl getroffen? Oder weshalb zögerst du es sonst hinaus?«

»Du kannst das alles auf die leichte Schulter nehmen, das ist mir klar. Aber ich bin schließlich noch jung, mir bereitet noch jeder Tag Vergnügen.«

»Stimmt, daran hatte ich nicht gedacht«, gab Kotja zu. »Trotzdem sitz ich hier wie auf Kohlen ...«

»Wo hier? In Shambala? Die Verbindung ist gut, es gibt nur eine kurze Verzögerung ...«

»Hmm. Wenn du Lust hast, komm doch vorbei. Wir rufen einen temporären Waffenstillstand aus.«

Ich schaute zum Fenster raus. Es tagte bereits. »Nein, du hast recht. Es nützt nichts, es weiter auf die lange Bank zu schieben. Also ... heute, zwölf Uhr mittags. Aber an einem Ort, der nicht so pathetisch ist ...«

»Einverstanden. Passt dir die städtische Müllhalde?«

»Dass du nie etwas ernst nehmen kannst! Wir wollen uns außerhalb der Stadt treffen, auf dem Weg zu den Medweshji-Seen, wo wir im letzten Jahr Witalkas Geburtstag gefeiert haben.«

»Das ist doch total langweilig, mitten im freien Feld, wie zwei Recken ... Außerdem ist da jetzt alles aufgeweicht und voller Löcher. Treffen wir uns bei dir in der Nähe, in dem Kindergarten, den sie dichtgemacht haben. Da gibt es einen Innenhof, den von außen niemand sieht.«

»Da hängen immer Alkis rum.«

»Was heißt hier Alkis? Wir haben da doch auch schon rumgehangen. Wenn jemand auftaucht, kriegt er einen Tritt in den Hintern. Ist für uns doch ein Kinderspiel.«

Ich schaute zum Fenster raus. Der Kindergarten, ein zweistöckiges, quadratisches Gebäude, war vor fünf Jahren geschlossen worden. Damals hatten die Kinder etwas, wo sie spielen konnten, wenn der Wind durch die Straßen fegte.

»Trotzdem ... lieber nicht«, erwiderte ich. »Angeblich steigt ja die Geburtenrate, sie wollen den Kindergarten renovieren und wiedereröffnen.«

»Ja, und? Wer übrigbleibt, räumt auf. Und, wie gesagt, es ist in deiner Nähe.«

»Also gut«, lenkte ich ein. »Das ist wirklich kein Ort voller Pathos.«

»Dann wähl die Waffen.«

Während ich nachdachte, ließ ich meinen Blick ziellos umherschweifen. »Messer.«

»Sitzt du gerade in der Küche, oder was?«

»Hmm.«

»Kirill«, sagte Kotja sanft, »das ist wirklich keine gute Wahl. Hast du in letzter Zeit irgendwann einmal ein Messer in Händen gehalten?«

»Das ist noch gar nicht lange her. Vor zwei Wochen habe ich in dieser Küche die Hebamme Natalja mit einem Messer aufgespießt.«

»Ja, entschuldige. Aber ich will dich nur warnen, ich habe ...«

»Das weiß ich.«

»Soll ich dir eins mitbringen?«

»Ein Messer? Danke, nicht nötig.«

»Also dann ... um zwölf?«

»Abgemacht.«

Damit beendete ich das Gespräch. Ich schnappte mir eine weitere Zigarette, die ich zwischen den Fingern hin und her drehte. Meine Kehle kratzte bereits. Ich steckte die Zigarette zurück in die Schachtel.

Wie einfach das alles war! Wie unglaublich einfach.

Der Ort war in meiner Nähe, ich würde es nicht weit haben.

Waffen fand ich in meinem Haus mehr als genug.

Übrigens, ich sollte das Jagdmesser nehmen, das Dietrich mir geschenkt hatte. Das würde ihm gefallen, außerdem war es ein gutes Messer ...

Ich stellte den Wecker im Handy auf elf, schaltete das Licht aus und ging mit dem Mobiltelefon in mein Zimmer. Cashew bellte müde, als ich eintrat. Ich schob ihn vom Kopfkissen runter zum Fußende, legte mich hin und schlief auf der Stelle ein.

Natürlich wachte ich erst Viertel nach elf auf, und zwar nicht durch den unablässig piepsenden Handywecker, sondern durch Cashew, der mich ableckte. In der Wohnung war es kalt, die Heizung lief kaum, obendrein hatte ich in der Küche das Fenster aufgelassen, damit der Zigarettengestank abzog. Ich machte das Fenster zu, wechselte Cashews Wasser und stellte ihm das diätische Hill’s hin, was er überhaupt nicht begeistert aufnahm. Bei meinen Eltern hatte er garantiert seiner Gesundheit abträgliche, dafür jedoch schmackhafte Happen vom Esstisch gekriegt.