Ich wurde rot. »Hol der Kuckuck deine schwarze Seele! Bring mir eine Hose, und ich werde dir zeigen, wer hier simuliert.«
»Sachte!« Er nahm meine Krankenkarte und betrachtete sie.
»Schwester, bringen Sie diesem Mann eine kurze Hose. Von mir aus kann er wieder Dienst tun.«
Doris blickte wie ein krankes Huhn zu ihm auf. »Sie mögen zwar ein allgewaltiger Chef sein, aber hier haben Sie nichts zu befehlen.«
Sie lief empört hinaus. Einen Augenblick später kam sie mit dem Arzt zurück. Ohne die Ruhe zu verlieren, meinte der Alte. »Doktor, ich habe nach Beinkleidern verlangt, und nicht nach Ihnen.«
Worauf der Mediziner steif entgegnete: »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich in die Behandlung meiner Patienten nicht einmischten.«
»Er ist nicht mehr Ihr Patient, er tut wieder Dienst.«
»So? Mein Herr, wenn Ihnen die Art und Weise, in der ich meine Abteilung leite, nicht paßt, kann ich auch kündigen.«
Der Alte erwiderte: »Entschuldigen Sie. Manchmal bin ich so zerstreut, daß ich vergesse, den vorgeschriebenen Weg einzuhalten. Wollen Sie mir bitte den Gefallen erweisen, diesen Kranken zu untersuchen? Falls er wieder arbeitsfähig ist, wäre es mir sehr erwünscht, wenn er sofort wieder eingesetzt werden dürfte.«
In dem Gesicht des Arztes sah man die Muskeln arbeiten, aber er sagte nur: »Gewiß, mein Herr!« Mit gespielter Gründlichkeit studierte er meine Fieberkurve, dann prüfte er meine Reflexe. »Er hätte noch Erholung nötig, aber meinethalben können Sie ihn haben. Schwester, holen Sie für den Mann etwas zum Anziehen.«
Die Kleidung bestand aus einer kurzen Hose und Schuhen. Aber die anderen waren genauso ausgestattet, und es war tröstlich, all die nackten Schultern ohne Parasiten zu sehen. Ich erwähnte das dem Alten gegenüber. »Die beste Abwehr, die wir haben«, knurrte er. »Wenn auch die Bude hier wie eine Sommerfrische aussieht. Sollten wir das Spiel nicht gewinnen, ehe das Winterwetter einsetzt, sind wir erledigt.«
Er hielt vor einer Tür mit der Aufschrift: biologisches Laboratorium - Kein Zutritt!<
Ich blieb zurück. »Wohin gehen wir?«
»Wir schauen deinen Zwillingsbruder, den Affen, mit deinem Parasiten an.«
»Das habe ich mir gedacht. Ohne mich - nein danke!« Ich fühlte, wie ich zitterte.
»Aber, aber!« sagte er geduldig. »Überwinde deine sinnlose Angst. Das beste Mittel ist, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen. Ich weiß, es ist schwer, ich selbst habe diese Kreatur stundenlang angestarrt, um mich an den Anblick zu gewöhnen.«
»Nichts weißt du - du kannst es nicht verstehen!« Es schüttelte mich so arg, daß ich mich haltsuchend an den Türrahmen lehnen mußte.
»Geh wieder zurück, mein Sohn, und melde dich in der Krankenstube.« Er selbst schickte sich an, das Laboratorium zu betreten.
Ehe er drei bis vier Schritte gegangen war, rief ich aus: »Chef!«
Er blieb stehen und drehte sich um. »Warte, ich begleite dich«, erklärte ich ihm.
»Du brauchst nicht.«
»Ich tue es aber. Es dauert nur eine Weile, bis man wieder die nötige Kraft findet.«
Als ich ihn eingeholt hatte, nahm er mich herzlich und liebevoll beim Arm und hielt mich auch im Weitergehen noch fest. Wir traten ein, durchschritten eine zweite, versperrte Tür und gelangten in einen Raum, in dem es feucht und warm war. Dort befand sich in einem Käfig der Affe.
Sein Rumpf steckte in einem Mieder aus Metallbändern, das ihn stützte und gefangenhielt. Die Arme und Beine hingen schlaff herab, als habe er keine Herrschaft über sie.
»Gehen wir auf die andere Seite hinüber«, forderte der Alte mich sanft auf. Der Affe folgte uns mit den Augen. Von meinem Platz aus konnte ich nun >ihn< sehen - meinen Dämon, der während einer endlos langen Zeit auf meinem Rücken gesessen, mit meinem Mund gesprochen und mit meinem Gehirn gedacht hatte - meinen Beherrscher!
»Beruhige dich«, redete der Alte mir gütig zu. »Du wirst dich daran gewöhnen. Wende den Blick ein Weilchen davon ab. Das hilft.«
Ich befolgte den Rat, und er nützte wirklich. Ich zwang mich, das Geschöpf anzustarren.
Ich harrte aus, versuchte, mich daran zu gewöhnen und würgte mein Frühstück wieder hinunter, das mir hochkam. Dabei sagte ich mir dauernd vor, daß dieses Geschöpf mir nichts zuleide tun könne. Als ich wieder beiseite blickte, merkte ich, daß der Alte mich beobachtete. »Wie steht es?« erkundigte er sich. »Schon abgehärtet?«
Erneut betrachtete ich den Parasiten. »Ein wenig«, brummte ich wütend. »Ich habe nur einen Wunsch: das Scheusal zu töten! Alle möchte ich sie umbringen, ich könnte es zu meiner Lebensaufgabe machen, sie samt und sonders auszurotten.« Ein Schauer überlief mich.
Prüfend musterte mich der Alte. »Hier«, sagte er und reichte mir seine Pistole.
»Du möchtest den Schmarotzer töten. Wenn es sein muß, tu es. Vernichte ihn auf der Stelle.«
»Wie? Aber, Chef, du hast mir doch gesagt, daß du dieses Musterstück für Forschungszwecke brauchst.«
»Das schon, aber wenn du das Gefühl hast, du solltest es unbedingt aus der Welt schaffen, dann schieße. Dieser ganz besondere Vertreter seiner Art gehört dir. Wenn sein Tod erforderlich ist, um aus dir wieder einen vollwertigen Mann zu machen, dann laß dich nicht aufhalten.«
>Um aus mir wieder einen vollwertigen Mann zu machen< - der Gedanke ging mir nicht aus dem Sinn. Der Alte wußte, welche Arznei mir not tat, damit ich geheilt würde. Ich zitterte nicht mehr. Die Waffe lag in meiner Hand, bereit, Feuer zu speien und meinen Inkubus zu vernichten.
Wenn ich diesen Parasiten umbrachte, war ich wieder ein freier Mann, aber nicht, solange er lebte.
Ich hatte es jetzt in der Hand, ihm das Lebenslicht auszublasen!
Ich hatte keine Angst mehr, ich hob in wildem Triumph die Pistole.
Der Alte belauerte mich.
Ich senkte die Waffe und fragte unsicher: »Chef, wenn ich es nun täte. Besitzt du noch einen anderen?«
»Nein.«
»Aber du brauchst ihn doch.«
»Ja.«
»Aber warum hast du mir dann die Waffe gegeben?«
»Du weißt, warum. Wenn du nicht anders kannst, dann wende sie an. Bist du bereit, darauf zu verzichten, dann wird die Abteilung ihn für ihre Zwecke verwenden.«
Ich stand wie unter einem Zwang. Ich atmete ganz schnell und legte erneut an.
Dann wandte ich mich plötzlich um und warf dem Alten das Schießeisen zu; er fing es im Flug auf. »Was ist denn los?« fragte er.
»Ach, ich weiß nicht. Als ich soweit war, genügte es mir, daß es in meiner Macht stand.«
»Genauso hatte ich es mir vorgestellt.«
Ich hatte ein wohlig warmes und entspanntes Gefühl, als hätte ich etwas Großes vollbracht. Ich war sogar imstande, ihm den Rücken zuzukehren, und ich war auch nicht einmal dem Alten gram, daß er so gehandelt hatte. »Verdammt noch mal, du weißt doch immer alles im voraus. Wie fühlst du dich eigentlich, wenn du uns alle immer so gängelst - wie ein Marionettenspieler?«
Er nahm den Hohn nicht als Spaß auf, sondern antwortete ernst: »Du irrst. Ich leite höchstens einen Menschen auf den Weg, den er selbst einzuschlagen bereit ist. Aber auf jenen Parasiten dort paßt deine Bezeichnung >Marionettenspieler<.«
Ich blickte mich nach dem Scheusal um. »Ja«, pflichtete ich ihm leise bei. »Er läßt die Marionetten tanzen! Du glaubst zu wissen, wovon du sprichst, aber - du kannst es dir nicht vorstellen. Und, Chef ... Ich hoffe, daß du es nie am eigenen Leibe zu erfahren brauchst.«
»Das hoffe ich auch«, entgegnete er nachdenklich.
Ich konnte jetzt den Parasiten anblicken, ohne zu erschauern. Während ich ihn anstarrte, fuhr ich fort: »Chef, sobald du mit der Untersuchung fertig bist, töte ich ihn.«