Sie wurde immer bleicher.
Dann holte sie tief Atem und sagte: »Und das glaubst du auch, Sam?«
»Was denn sonst?«
»Sam, so war es nicht. Mir war nicht bekannt, daß auch du dort sein würdest, und ich erschrak furchtbar darüber. Aber ich durfte nicht zurücktreten; ich hatte mein Wort gegeben.«
»Dein Wort«, wiederholte ich. »Das erklärt alles. Das Wort eines Schulmädchens.«
»Das war es kaum.«
»Spielt keine Rolle. Ebenso ist es gleichgültig, ob du die Wahrheit sprichst oder nicht und ob du wirklich nicht ahntest, daß ich anwesend war. Entscheidend ist eines: Du warst in jenem Raum, und ich ebenfalls, und du konntest dir ausmalen, wie sich alles notgedrungen weiterentwickeln würde.«
»Oh.« Sie hielt einen Moment inne, dann fuhr sie fort: »So also siehst du die Sache. Nun, die äußeren Tatsachen kann ich nicht abstreiten.«
Lange Zeit blieb sie reglos stehen. Schließlich meinte sie: »Sam, du hast einmal davon gesprochen, daß du mich heiraten wolltest.«
»Das war einmal.«
»Ich erwarte nicht, daß du dein Angebot erneuerst. Aber es war noch von einer anderen Möglichkeit die Rede. Sam, ganz abgesehen von deiner Ansicht über mich, möchte ich dir von ganzem Herzen für das, was du für mich getan hast, danken. Und ich bin bereit, es durch die Tat zu beweisen. Sam, verstehst du, was ich meine?«
Ich grinste. »Ehrlich gesagt, bin ich fürwahr entzückt und zugleich verblüfft, wie wunderbar der weibliche Verstand arbeitet. Ihr denkt immer, ihr könntet mit eurem einzigen Trumpf alles wiedergutmachen und das Spiel von vorn anfangen.« Ich grinste noch immer, während sie rot wurde. »Bei mir zieht der Trick nicht. Ich werde dich nicht in Verlegenheit bringen, indem ich dein großzügiges Angebot annehme.«
Mit ruhiger Stimme entgegnete sie: »Damit mußte ich rechnen. Trotzdem habe ich es ernst gemeint, ob es sich darum handelt oder um irgend etwas anderes, das ich für dich tun kann.«
Ich ließ mich zurückfallen und legte mich nieder. »Gewiß kannst du mir einen Gefallen erweisen.«
Ihr Gesicht leuchtete auf.
»Was denn?«
»Belästige mich nicht mehr. Ich bin müde.« Damit wandte ich mein Gesicht ab.
Am Spätnachmittag dieses Tages steckte der Alte den Kopf herein.
»Ich möchte mit dir reden«, sagte er und trat ein.
»Aber ich nicht mit dir. Geh hinaus.«
Er beachtete meine Worte nicht und kam herein. »Hast du etwas dagegen, wenn ich mich setze?«
»Du scheinst es auch ohne meine Einwilligung zu tun.«
Auch diese Abfuhr schien er nicht zu hören. »Weißt du, mein Sohn, du bist einer meiner besten Agenten, aber manchmal vorschnell in deinem Urteil.«
»Darüber brauchst du dir keinen Kummer zu machen«, antwortete ich. »Sobald die Ärzte mich aufstehen lassen, habe ich hier nichts mehr verloren.«
»Du ziehst übereilte Schlüsse; nimm einmal dieses Mädchen, die Mary ...«
»Welche Mary?«
»Du weißt schon, wen ich meine. Du bist über sie hergefallen, ohne den wahren Sachverhalt zu kennen, und hast sie völlig aus der Fassung gebracht. Vielleicht hast du mir eine gute Agentin verdorben.«
»Ach, ich zerfließe in Tränen.«
»Hör mal, du junger Bursche, du hattest keinen Anlaß, mit ihr so grob zu sein. Du weißt nicht, wie es wirklich war.«
Ich schwieg. Wer viel erklärt, verteidigt sich schlecht.
»Natürlich kann ich mir denken, was du glaubst«, fuhr er fort. »Du meinst, sie hätte sich wissentlich als Lockvogel benutzen lassen. Nun, damit bist du auf dem Holzweg. Sie wurde als Köder verwendet, aber das war ausschließlich mein Werk.«
»Das weiß ich.«
»Warum wirfst du es ihr dann vor?«
»Weil du deine Absicht ohne ihr Einverständnis nicht hättest ausführen können. Es ist außerordentlich großmütig von dir, die ganze Schuld auf dich zu nehmen, aber es gelingt dir nicht.«
Er sprach weiter: »Du hast alles richtig erfaßt - bis auf eines: Mary hatte keine Ahnung, und das ist das Entscheidende. Ich spreche die Wahrheit. Dieses Mädchen war ahnungslos. Sie wußte nicht, daß du dort sein würdest und warum ich dich mitgebracht hatte. Es war ihr auch nicht bekannt, daß noch nicht feststand, wer auf jenem Stuhl sitzen sollte. Sie vermutete nicht im entferntesten, daß ich den Versuch nicht mit ihr durchführen wollte, sondern bereits dich als geeignetes Opfer ausersehen hatte, selbst wenn ich dich mit Gewalt hätte anbinden müssen. Dazu war ich entschlossen. Doch ich hatte dabei noch eine gezinkte Karte im Spiel, mit der ich dich drankriegen wollte, sich freiwillig zu melden. Dich selbst kannst du zum Teufel wünschen, mein Sohn. Mary wußte nicht mal, daß du nicht mehr auf der Krankenliste standest.«
Ich hätte ihm so gerne geglaubt, um so mehr wehrte ich mich dagegen.
»Sieh mal an!« mahnte er. »Etwas möchte ich dir noch unter die Nase reiben. Erstens: jeder - mich selbst mit eingeschlossen - anerkennt, was du geleistet hast, ohne die Beweggründe zu berücksichtigen. Ich gedenke einen Bericht darüber einzureichen, und zweifellos wirst du einen Orden dafür erhalten. Das steht fest - ob du bei der Abteilung bleibst oder nicht. Aber gib nicht an wie der heldenhafte kleine Zinnsoldat ...«
»Bei Gott nicht!«
»... weil dieser Orden der falschen Person verliehen wird. Verdient hätte ihn Mary.«
»Aber ...«
»Sei still; ich bin noch nicht fertig. Du mußtest gezwungen werden. Das soll kein Tadel sein; du hast reichlich viel mitgemacht. Aber Mary hat sich aus ureigenstem Antrieb zur Verfügung gestellt. Als sie sich in jenen Stuhl setzte, rechnete sie nicht damit, in letzter Minute noch abgelöst zu werden. Sie hatte allen Grund zu glauben, sie werde dabei das Leben - oder was noch arger ist - den Verstand verlieren. Dennoch war sie bereit, sich zu opfern, weil sie eine Heldin ist, was man von dir nicht behaupten kann.«
Ich war so aufgewühlt, daß ich nicht beurteilen konnte, ob er die Wahrheit sprach oder mich nur wieder so lenkte, wie es ihm paßte. So entgegnete ich: »Vielleicht bin ich gegen die falsche Person ausfallend gewesen. Doch wenn das, was du sagst, stimmt ...«
»Das ist der Fall!«
»... versüßt mir das keineswegs das angetane Unrecht, es verschlimmert alles nur.«
Er steckte den Hieb ein, ohne aufzumucken. »Mein Sohn, ich bedaure es, wenn ich deine Achtung verloren habe. Aber ich kann in meinen Mitteln genauso wenig wählerisch sein wie ein General in der Schlacht. Wenn du jemals in meinen Schuhen stecktest, müßtest du auch so handeln.«
»Der Fall wird nie eintreten.«
»Willst du dich nicht lieber erst ausruhen und dir die Sache durch den Kopf gehen lassen?«
»Ich werde Urlaub nehmen - für immer.«
»Gut.«
Er schickte sich an zu gehen.
»Warte«, sagte ich.
»Ja?«
»Du hast mir ein Versprechen gegeben, und ich nehme dich nun beim Wort. Es geht um den Parasiten. Du hast mir erlaubt, ihn persönlich zu töten. Benötigst du ihn noch?«
»Nein, aber ...«
Ich richtete mich auf. »Kein >Aber<! Gib mir deine Pistole, ich werde ihn auf der Stelle erschießen.«
»Das kannst du nicht. Er ist bereits tot.«
»Was? Du hast es mir doch versprochen.«
»Ganz recht. Aber er ging zugrunde, als wir versuchten, dich das heißt ihn zu zwingen, uns Auskunft zu geben.«
Ich begann zu lachen, daß es mich schüttelte.
Der Alte faßte mich unsanft an. »Hör auf! Du schadest dir damit. Es tut mir leid. Doch das ist kein Anlaß zur Heiterkeit.«