»Und trotzdem verhält sich der Präsident ruhig?«
»Seine Ratgeber erklärten, er solle abwarten. Er kann nicht mit einer absoluten Mehrheit für sich rechnen, und in beiden Häusern gibt es Männer, die gern seinen Kopf auf einer Silberschüssel sähen. Parteipolitik ist ein rauhes Spiel.«
»Guter Gott, in einem solchen Fall darf doch Klüngelwirtschaft nicht den Ausschlag geben.«
Der Alte zog eine Augenbraue hoch. »Nach deiner Meinung nicht, wie?«
Ich brachte es endlich zuwege, mich nach Mary zu erkundigen.
»Merkwürdige Frage von deiner Seite«, brummte er. Als ich darauf nichts erwiderte, ließ er sich herbei, mir Auskunft zu geben. »Dort, wo sie hingehört. Sie bewacht den Präsidenten.«
Zuerst begaben wir uns zur geschlossenen Sitzung eines Sonderausschusses. Als wir hinkamen, lief gerade ein Film über meinen Freund, den Menschenaffen Napoleon. Man sah Bilder mit dem Titanbewohner auf seinem Rücken, dann Großaufnahmen des Parasiten.
Darauf zeigte man mich - an Stelle des Affen. Ich sah, wie ich an den Stuhl geschnallt wurde. Nur mit Widerwillen gestehe ich mir ein, daß ich einen jämmerlichen Anblick bot; echte Angst ist nicht schön. Ich erlebte es mit, als sie den Titanier von dem Affen lösten und mir auf den bloßen Rücken setzten. Dann wurde ich auf dem Bild ohnmächtig, und beinahe wäre ich es auch jetzt wieder geworden. Beschreiben möchte ich den Film nicht; es regt mich auf, davon zu erzählen.
Aber ich sah meinen Plagegeist sterben. Das war es wert, die übrigen Aufnahmen über mich ergehen zu lassen.
Der Film endete, und der Vorsitzende fragte: »Nun, meine Herren?«
»Herr Vorsitzender!«
»Der Abgeordnete aus Indiana hat das Wort.«
»Wenn ich vorurteilslos zu dem Gebotenen Stellung nehmen soll, so habe ich aus Hollywood schon bessere Trickaufnahmen gesehen.«
Die Anwesenden kicherten.
Der Leiter des biologischen Laboratoriums bezeugte die Echtheit der Darbietung, dann wurde ich ans Rednerpult gerufen. Ich gab Namen, Adresse und Beruf an, darauf erkundigte man sich ohne wirkliche Anteilnahme nach meinen Erfahrungen mit den Tita-niern. Die Fragen wurden von einem Blatt abgelesen.
Eines fiel mir daran auf: Sie wollten meine Antworten nicht hören. Zwei Abgeordnete vertieften sich in eine Zeitung.
Aus dem Zuhörerkreis meldeten sich nur zwei Leute. Einer sagte zu mir: »Herr Nivens - Ihr Name ist doch Nivens?«
Ich bestätigte es. »Herr Nivens, Sie behaupten, Agent im Geheimdienst zu sein?«
»Ja.«
»Nun, Herr Nivens, Sie sind doch ursprünglich Schauspieler von Beruf, nicht wahr?« Er schien in seinen Aufzeichnungen nachzusehen.
Ich bemühte mich zu sehr, bei der Wahrheit zu bleiben. So wollte ich sagen, daß ich zwar einmal in einem Kassenschlager einen Sommer lang Theater gespielt hatte, daß ich aber trotzdem ein waschechter Agent für Geheimsachen war. Doch dazu erhielt ich keine Gelegenheit. »Danke, das genügt vollauf, Herr Nivens.«
Die zweite Frage wurde von einem älteren Senator gestellt, der meine Ansicht darüber zu hören wünschte, ob man Steuergelder dazu verwenden sollte, andere Länder zu bewaffnen. Er benützte die Gelegenheit, um seine eigenen Ansichten darzulegen. Meine Meinung über dieses Problem war zwar geteilt, aber ich kam nicht dazu, sie auszusprechen. Die nächsten Worte, die ich hörte, stammten vom Protokollführer. »Sie können abtreten, Herr Nivens.«
Ich blieb an meinem Platz. »Sehen Sie, offensichtlich glauben Sie, es handle sich um einen gestellten Film. Also bringen Sie um Himmels willen einen Lügendetektor herein! Oder wenden Sie den Schlaftest an. Dieses Verfahren hier mutet wie ein Witz an.«
Der Vorsitzende schlug mit seinem Hammer auf den Tisch. »Treten Sie zurück, Herr Nivens.«
Ich gehorchte.
Der Alte hatte mir erzählt, daß die Versammlung einen Entschluß fassen sollte, auf Grund dessen der Notstand verkündet und dem Präsidenten Kriegsvollmachten erteilt werden sollten. Ehe es jedoch überhaupt zu einer Abstimmung kam, wurden wir verabschiedet. »Es sieht schlimm aus«, sagte ich zum Alten.
»Schwamm drüber«, meinte er. »Als der Präsident die Namen der Ausschußmitglieder hörte, wußte er, daß dieses gewagte Spiel schlecht ausgehen würde.«
»Und was wird aus uns? Sollen wir warten, bis die Biester auch noch den Kongreß in der Hand haben?«
»Der Präsident wird sich sofort an das versammelte Haus wenden und Vollmachten fordern.«
»Wird er sie bekommen?«
Der Alte machte nur ein finsteres Gesicht.
Die Sitzung war geheim, doch auf persönlichen Befehl des Präsidenten durften wir daran teilnehmen. Der Alte und ich saßen auf dem kleinen Balkon, der hinter der Rednertribüne liegt. Man eröffnete die Ver-
Sammlung mit reichlich viel Geschwätz und kündigte dann mit vollem Zeremoniell das Erscheinen des Präsidenten an.
Kurz darauf trat er, von einer Abordnung begleitet, ein. Seine Wachen waren auch dabei - alles unsere Leute.
Auch Mary befand sich darunter. Irgend jemand hatte dicht neben dem Präsidenten einen Klappstuhl für sie hingestellt.
Der Präsident schilderte mit wohldurchdachten Worten die Lage. Am Schluß legte er seine Aufzeichnungen beiseite. »Diese traurigen Umstände sind so merkwürdig und furchtbar, sie fallen so ganz aus dem Rahmen bisheriger Erfahrungen, daß ich weitgehende Vollmachten fordern muß, um ihnen gerecht zu werden. Über einige Gebiete muß der Kriegszustand verhängt werden. Tiefgehende Eingriffe in bürgerliche Rechte werden für einen gewissen Zeitraum notwendig sein. So muß das Recht auf Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Auch der übliche Schutz vor Haussuchung und Haft muß dem Recht auf Sicherheit für jeden einzelnen weichen. Denn jeder Bürger, ganz gleich von welchem Stand und Verdienst, kann zum unfreiwilligen Sklaven dieser geheimen Feinde werden, und daher müssen alle den Verlust einiger Freiheiten und persönlicher Vorteile in Kauf nehmen, bis diese Pest ausgerottet ist.
Wenn auch nur äußerst ungern, so muß ich Sie daher doch bitten, mich zu diesen notwendigen Schritten zu ermächtigen.« Mit diesen Worten setzte er sich nieder.
Der Senatspräsident blickte auf den Führer der Majorität; dem Programm nach sollte er die Entschließung beantragen.
Ich weiß nicht, ob der Mann den Kopf schüttelte oder ein Zeichen gab, aber er meldete sich nicht zum Wort. Die Verzögerung machte sich peinlich bemerkbar, und man hörte Rufe wie: »Herr Präsident!« und: »Wo bleibt die Geschäftsordnung?«
Der Senatspräsident überging einige andere und gab das Wort einem Mitglied seiner Partei, dem Senator Gottlieb, einem richtigen >Zugpferd<, das immer bei der Stange blieb.
Er begann damit, daß er die Verfassung wahren und dabei vor niemandem zurückweichen würde, und führte auch das Staatsgesetz an. Bescheiden wies er auf seine eigenen langjährigen Dienste hin und rühmte Amerikas Platz in der Geschichte. Ich dachte, er suche Zeit zu gewinnen, während seine Leute eine neue Redefolge ausarbeiteten, aber plötzlich wurde mir klar, daß seine Worte nur auf eines hinausliefen: er schlug vor, die Geschäftsordnung aufzuheben und den Präsidenten der Vereinigten Staaten des Hochverrats anzuklagen!
Ich begriff das so flink wie irgendeiner; der Senator hatte seinen Antrag in so gewundene Redensarten eingekleidet, daß man den Sinn kaum erfassen konnte. Ich sah den Alten an.
Der hatte Mary aufs Korn genommen.
Sie erwiderte den Blick mit einem Ausdruck, der zur höchsten Eile mahnte.
Der Alte zog schnell einen Notizblock aus der Tasche, kritzelte etwas auf ein Blatt, knüllte es zusammen und warf es Mary zu, die es auffing, las und dem Präsidenten weiterreichte.