»Wo ist Mary?« fragte ich.
»In der Krankenstube. Dort wird sie behandelt und diktiert ihren Bericht. Laß deine Hände sehen.«
»Danke, ich werde sie dem Arzt zeigen«, entgegne-te ich. »Was ist denn los?«
»Wenn du dich bemüht hättest, auch nur einmal Nachrichten zu hören, würdest du es wissen«, brummte er.
24
Ich war froh, daß ich im Fernsehen keine Nachrichten eingeschaltet hatte. Wir hätten dann keine Flitterwochen feiern können. Während wir einander erzählten, wie wundervoll wir uns fanden, war der Krieg beinahe verlorengegangen.
Meine Vermutung, die Schneckenwesen könnten sich auf jedem Körperteil verbergen und trotzdem den Wirt beherrschen, hatte sich bestätigt. Daher war anstatt des Befehls, den Rücken zu entblößen, die Losung ausgegeben worden, den ganzen Körper der Sonne auszusetzen. Alle zogen sich bis auf die Haut aus.
Aber die Leute scherten sich anfangs nicht darum! Als der Scranton-Aufstand ausbrach, wurde die Angelegenheit immer noch als > streng geheim< behandelt. Man frage mich nicht, weshalb. Wenn die neunmalklugen Staatsmänner beschließen, daß wir noch nicht erwachsen genug sind, etwas zu erfahren, dann pflegt man einen solchen Fall als tiefstes Geheimnis zu hüten - nach der Methode: Mutter weiß am besten, was uns not tut. Der Scranton-Aufstand hätte jedem darüber die Augen öffnen müssen, daß sich in der grünen Zone Schmarotzer herumtrieben, aber selbst das war noch nicht Grund genug, ernstlich den Körper frei zu machen.
Nach meiner Rechnung wurde am dritten Tag unserer Flitterwochen der falsche Luftalarm an der Ostküste gegeben; nachher brauchte man eine ganze Weile, um zu klären, was los war, obwohl auf der Hand lag, daß die Beleuchtung in so vielen Schutzräumen nicht nur aus Zufall überall gleichzeitig versagen konnte. Das Gruseln kommt mich an, wenn ich mir vorstelle, wie alle Menschen sich in der Dunkelheit zusammenkauerten und auf die Entwarnung harrten, während Handlanger der Titanier unter ihnen umherschlichen und ihnen Parasiten aufhalsten. Offensichtlich waren in manchen Bunkern bis zu hundert Prozent der Anwesenden zu Sklaven des Feindes gemacht worden.
Daher brachen am nächsten Tage noch weitere Unruhen aus, und wir waren nahe daran, unter die Terrorherrschaft zu geraten. Freiwillige Wachen wurden aufgestellt. Nachdem ein verzweifelter Bürger die Pistole gegen einen Schutzmann gezogen hatte, griff man zu dieser Selbsthilfe. Es war ein gewisser Maurice T. Kaufman aus Albany, und der Polizist hieß Malcolm McDonald. Kaufman war eine halbe Sekunde später tot, und McDonald erlitt das gleiche Schicksal. Er wurde gemeinsam mit seinem Parasiten in Stück gerissen. Aber die Wachtposten wurden erst zu einer ständigen Einrichtung, als die Luftschutzwarte sich dieser Aufgabe annahmen.
Die Leute, die während der Angriffe über der Erde blieben, entrannen zum Großteil den Titaniern, aber sie fühlten sich für ihre Schützlinge verantwortlich. Nicht alle Wachtposten waren zugleich Luftschutzwarte. Wenn man jedoch einen splitternackten bewaffneten Mann auf der Straße sah, trug er zumeist eine Luftschutzarmbinde mit dem Wachabzeichen. Jedenfalls durfte man damit rechnen, daß er auf jeden natürlichen Auswuchs an einem menschlichen Körper gleich schoß und erst nachher untersuchte.
Während meine Hände verbunden wurden, teilte man mir die neuesten Vorkommnisse mit. Der Arzt gab mir einen kleinen Schuß Tempus, und ich verbrachte die Zeit, die mir statt drei Stunden drei Tage zu dauern schien, indem ich mit einem Zeitraffer Stereobandaufnahmen betrachtete.
Es hatte sich unglaublich viel ereignet. Ich brauchte nur an die Hunde zu denken. Sichtete ein Wachtposten einen Hund, tötete er ihn sofort, selbst wenn er keinen Schmarotzer trug. Denn todsicher war er vor Sonnenuntergang von einem befallen, ging auf einen Menschen los, und der Titanier wechselte im Dunkeln den Reiter.
Eine höllische Welt, in der man Hunden nicht mehr trauen konnte!
Offensichtlich wurden Katzen selten benützt. Der arme alte Pirat bildete eine Ausnahme. Aber Hunde erblickte man in der grünen Zone bei Tage kaum mehr. Sie drangen nachts vereinzelt aus der roten Zone ein, wanderten bei Dunkelheit weiter, und wenn der Morgen dämmerte, versteckten sie sich wieder.
Dutzende von Streifen ließ ich an mir vorüberziehen, die aus der roten Zone stammten. Sie zerfielen in drei Gruppen: den Anfang bildete die Periode der >Maskerade<, als die Parasiten die üblichen Sendungen noch weiterlaufen ließen; dann folgte ein kurzer Abschnitt der Gegenpropaganda, in dem die Titanier die Bürger der grünen Zone zu überzeugen suchten, daß ihre Regierung verrückt geworden sei. Und gegenwärtig verzichtete man bereits völlig darauf, den Schein zu wahren.
Nach Dr. McIlvaine besaßen die Titanier keine echte Kultur; sie waren sogar in dieser Hinsicht Schmarotzer und eigneten sich nur die Sitten und Bräuche an, die sie vorfanden. Vielleicht ging McIlvaine in seiner Annahme zu weit, aber in der roten Zone hatten sie sich tatsächlich so verhalten. Die Schneckenwesen mußten die vorhandene Wirtschaftsform ihrer Opfer in den Grundzügen übernehmen, denn hätten die Wirte nichts mehr zu essen gehabt, wären ihre Gebieter ebenfalls verhungert. Mit geringen Abweichungen ging das Leben weiter.
Aus den Streifen ging eindeutig hervor, daß wir al-lerorten an Boden verloren; unsere Methoden verhinderten lediglich, daß sich die Pest weiter ausbreitete; aber nicht einmal damit hatten wir vollen Erfolg. Wollten wir den Feind unmittelbar bekämpfen, mußten wir unsere eigenen Städte bombardieren, ohne die Gewähr zu haben, daß die Parasiten dadurch ausgerottet würden. Was wir dringend brauchten, war eine Waffe, die den Schmarotzer vernichtete, den Menschen aber am Leben ließ, oder ein Mittel, das den Wirt kampfunfähig machte und ihm das Bewußtsein raubte, ohne lebensgefährlich zu sein. Nur dann war es möglich, unsere Landsleute zu befreien. Eine derartige Waffe stand uns nicht zu Gebot, obwohl die Gelehrten sich mit diesem Problem eingehend beschäftigten.
Wir konnten nur stillhalten und - die Zeit für die Feinde arbeiten lassen.
Nordamerika war immer noch der einzige bekannte Ansteckungsherd, was die Vereinten Nationen veranlaßte, nach Genf umzuziehen, nachdem sie uns noch die Weltraumstationen anvertraut hatten. Man genehmigte einen Antrag, unsere mißliche Lage als >Bürgerkrieg< zu bezeichnen und jedes Mitglied dringend aufzufordern, nur den gesetzlich anerkannten Regierungen der Vereinigten Staaten, Mexikos und Kanadas Hilfe zu gewähren. Dreiundzwanzig Nationen enthielten sich bei diesem Entscheid der Stimme.
So blieb der Überfall eine schleichende Pest, ein lautloser Krieg, bei dem Schlachten verloren wurden, ehe wir merkten, daß sie begonnen hatten.
Als die Menge Tempus, die ich erhalten hatte, allmählich zu wirken aufhörte, war ich über die Lage in den Vereinigten Staaten im Bilde. Es herrschten Zustände, von denen ich mir, als ich seinerzeit nach Kanada fuhr, nicht hätte träumen lassen. Das Land stand unter einer Schreckensherrschaft. Ein Freund konnte den anderen erschießen, eine Ehefrau ihren Mann anzeigen. Das Gerücht, ein Titanier sei gesichtet, trommelte im Nu auf jeder Straße einen johlenden Haufen zusammen, der bereit war, Lynchjustiz zu üben.
Nachts an eine Tür klopfen hieß einen Schuß heraufbeschwören, der sie durchschlug. Anständige Leute blieben zu Hause; nachts streunten nur die Hunde umher.
Die Tatsache, daß die meisten Gerüchte über entdeckte Schneckenwesen grundlos waren, machte sie nicht weniger gefährlich. Es war nicht die Sucht aufzufallen, die die Menschen dazu trieb, lieber ganz nackt als in der engen und spärlichen Bekleidung, die nach der Vorschrift gestattet war, auf die Straße zu gehen; selbst die bescheidenste Verhüllung konnte andere verlocken, sie ein zweites Mal mißtrauisch zu mustern, und dieser Verdacht führte oft zu einem allzu jähen Entschluß. Der Panzer für Kopf und Wirbelsäule wurde jetzt nie mehr getragen. Die Parasiten hatten ihn, kurz nachdem er erfunden worden war, selbst angewendet. Einen Sonderfall stellte die Geschichte eines Mädchens in Seattle dar, es trug nichts als Sandalen und eine große Handtasche, aber ein Wachtposten, der offenkundig eine Spürnase für den Feind entwickelt hatte, folgte der Kleinen und bemerkte, daß sie die Tasche niemals von der rechten Hand nahm, selbst wenn sie Kleingeld herausholte.